Ruhemöbel:Die Kunst des Sitzenbleibens

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Schlafende Hunde soll man nicht wecken. Oder besser doch? (Foto: Getty/PR)

Sofas hart wie Nagelbretter? Diese Zeiten sind vorbei. Polster und Kissen feiern gerade ein Comeback. Das ist eine Abkehr von der Entsagungs-Ära der Moderne - und womöglich ein Gesundheitsproblem.

Von Gerhard Matzig

Zwei Nachrichten sind es, die der Disney-Film "Wall-E" für die deutsche Polstermöbelindustrie bereithält. Eine gute und eine nicht ganz so gute Botschaft. Die gute zuerst. (Denn die nicht ganz so gute heben wir uns für den Schluss auf.) Also, Disney zufolge werden die Menschen in 700 Jahren in höchst komfortabel eingerichteten, extrem gut gepolsterten Raumschiffen durch das Universum schweben. Irre bequem. Superweich. Extraterrestrisch lax. Das Weltall wird zur universellen Leistungsschau der Polsterer.

Airbagrund und adipös wie die Nana-Plastik von Niki de Saint Phalle

Unter medialer Dauerberieselung und umgeben von einer Art digitalem Rundumservice lagert dann die gesamte Menschheit 24 Stunden am Tag in Luftkissensesseln. Weich wie auf Marshmallows. Oder man ruht auf Wellnessliegen und kuschelt sich ins Stressless-Mobiliar. Jedenfalls ist man umgeben von Polstern, Kissen und allgemeiner Wurstigkeit. "Laufen muss hier niemand": Das ist das Motto dieser zukünftigen Welt.

Die Menschen werden deshalb in Folge ihrer zunehmenden Bewegungslosigkeit bald so airbagrund und adipös, als stammten sie nicht von Adam und Eva ab, sondern von Barbapapa und der Nana-Plastik von Niki de Saint Phalle. Wobei möglicherweise auch noch Botero und das Michelin-Männchen mitgemischt haben in diesem erotischen Reigen der Ringe. Die Zukunft würde demnach einfach das werden, was die Österreicher in ihrer Schlagobershaftigkeit so bezeichnen: "kommoood".

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Allzu realitätsfern ist die möbelhafte Verdisneyfizierung eines utopischen Schlaraffenlandes nicht. Das belegen nun kurz vor der Eröffnung der Kölner Möbelmesse am 16. Januar die neuesten, hoffnungsfroh stimmenden Zahlen der immer umsatzstärkeren Polstermöbelbranche einerseits - und die dazu kontrastierenden, eher pessimistischen Warnrufe der Gesundheitsbehörden andererseits.

Tatsächlich kommt man schon seit einiger Zeit nicht mehr umhin, die Renaissance des lange verschollen geglaubten Polstermöbels zu begrüßen. Die Mode ist vorbei, sich auf ein Sofa oder in einen Sessel zu begeben, als habe man ein Nagelbrett vor sich. Man versinkt stattdessen wieder im weichen Wolkenmeer der Stoffe und Draperien. Selbst die Stühle werden wieder gepolstert. Und die mit rundlichen Lehnen ausgestatteten Sessel, Sofas und ausladenden Sitzlandschaften sehen wieder so aus, als wollten sie den Menschen nicht unterjochen und seine Anatomie verhöhnen - sondern als wollten sie ihn umgarnen, betten, kosen, verzärteln, beschmusen und auch sonst: flachlegen.

Das gepolsterte Ruhen ist wieder da. Unübersehbar quillt es aus den Interiorläden und Design-Blogs. Diese Form des Neowattezismus illustriert die Wiederentdeckung einer Errungenschaft, die gar nicht so alt ist, sondern aus dem 16. Jahrhundert stammt. Zuvor gab es als Weichmacher vor allem Felle und Stroh. Die Sprungfeder ist eine Erfindung des 18. Jahrhunderts. Ebenso wie die bürgerliche Ambition der "Polstergarnitur", die aus einem Sofa und zwei Armlehnstühlen besteht und fortan die "gute Stube" definiert.

Im Segment "Comfort" der Möbelmesse, das schon in den letzten Jahren ständig ausgebaut wurde, werden 2017 mehr Aussteller als je zuvor ihre Beiträge zur Polsterschlacht präsentieren. Die sogenannten "Highend-Polstermöbelhersteller" (doch, das gibt's) sind allerdings auch im Messebereich "Pure" vertreten. Mit dabei unter anderem: Minotti, Cassina, Rolf Benz, Roche Bobois oder Cor Sitzmöbel.

Wobei sich die deutsche Polstermöbelindustrie im internationalen Vergleich nicht verstecken muss. Im Gegenteil. Die Unternehmen, die sich auffälligerweise im Raum Ostwestfalen-Lippe konzentrieren, markieren dort so etwas wie den sozusagen alteingesessenen, immobilen Gegenentwurf zur Rasanz der süddeutschen Auto-Mobilitäts-Industrie von Stuttgart bis Ingolstadt. Deutsche Polstermöbel sind ein weltweit begehrtes, hochwertiges Gut. Sitzenbleiben können wir.

Weniger Sofa ist mehr Gesundheit

Bemerkenswerterweise wird auf der Messe in Köln auch das modulare Sofa "Kerman" von e15 debütieren. Samt Sitzmodulen, Armlehnen und Poufs. E15, eine deutsche Möbelfirma der Avantgarde, die auch die Elbphilharmonie in Hamburg aktuell bestückt, wurde bekannt mit Chiffren harter Orthogonalität. Lange Zeit definierte sich e15 durch radikal puristische, grundsätzlich kantige und stets der skulpturalen Ästhetik eher als dem Sitzvergnügen verpflichtete Möbel. Wenn e15, zwanzig Jahre nach dem ikonischen Sitzhocker "Backenzahn", nun erstmals auch einen sofahaft betont gemütlichen (und, siehe Kerman, gleichwohl sehr gelungenen) Eindruck vermittelt, darf man von einem Paradigmenwechsel des Sitzens sprechen.

Hart sind die Zeiten ja auch ohne Backenzahn-Möbel. Es ist, als schlüge das Pendel nun endgültig zurück. Weshalb die "Less-is-more"-Möbel der Bauhaus-Ära nun plötzlich als das erscheinen, was sie sitztechnisch eben mitunter auch sind: Folterwerkzeuge. Der genialisch sardonische Schriftsteller Tom Wolfe meinte ohnehin, dass es sich dabei um Möbel für Insektizidsiedereien handele, die einen unweigerlich in ein sinnliches Entzugskoma treiben würden. Wer das nicht glaubt, der soll bitte mal den Versuch unternehmen, es sich einige Zeit auf dem berühmten "rot-blauen Stuhl" von Gerrit Rietveld (De Stijl, Entwurf 1917) gemütlich zu machen. Oder auf dem "Zig-Zag", 1932, der einem Blitzschlag ähnlicher erscheint als einer Ruhezone. Oder der möchte es sich bequem machen auf dem Stahlrohr-Latex-Sofa "Monte Carlo" von Eileen Gray (1929). Herrliche Skulpturen sind das. Möbel, die man lieben kann. Die Frage ist, ob man sich auch draufsetzen kann - oder will.

Es ist natürlich eine bösartige Rache des Hinterns, wenn jetzt nicht nur stilvoll Gepolstertes, sondern auch watteweiche Stilverbrechen den Markt beherrschen. Doch beinhaltet die eingangs in Aussicht gestellte schlechte Nachricht für die Polsterbranche auch wieder etwas Gutes für die Menschheit. Der Film "Wall-E" endet nämlich so: Die Menschen erheben sich aus ihren allzu bequem gewordenen Möbel-Kokons. Sie erfahren das Glück der Bewegung. Und da die Deutschen dem jüngsten Gesundheitsreport zufolge siebeneinhalb Stunden am Tag sitzend verbringen, im Büro, aber eben auch auf dem Sofa und im Stressless-Sessel, was nicht unbedingt gesund ist, muss das Gebot der Stunde wohl heißen: Weniger Sofa ist mehr Gesundheit. Noch besser wäre es allerdings, man müsste nicht sein Leben in unterwürfiger Stellung vor einem Monitor im Büro verbringen, dann könnte man sich abends auch wieder so richtig auf die Kunst des Sitzenbleibens freuen.

© SZ vom 31.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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