Hölderlin-Biografie:Göttliches Feuer

Blick von Neckarbrücke auf Hölderlinturm und Altstadt mit Stocherkähnen Tübingen Baden Württemberg

"Die Liebe zwingt / All uns nieder":Blick auf den Hölderlinturm.

(Foto: imago/Michael Weber)

Die Poesie ist nicht an die Wirklichkeit gefesselt, sie schafft neue Wirklichkeiten: Rüdiger Safranskis beeindruckende Dichterbiografie "Hölderlin: Komm! ins Offene, Freund!".

Von Hedwig Richter

Und verstehe die Freiheit / Aufzubrechen" - darum geht es in dieser Biografie. Friedrich Hölderlin auf dem Weg von Tübingen nach Stuttgart, von Heidelberg nach Frankfurt und über die Schwäbische Alb in die Schweiz. Am Neckar entlang nach Nürtingen. Und von dort nach Jena, dem Sehnsuchtsort, wo Hölderlin aber auch nicht zu bleiben vermag.

Rüdiger Safranski schreibt eine konventionelle Biografie, die 1770 mit der Geburt in Lauffen am Neckar beginnt, bis zu Hölderlins Tod 1843 im Tübinger Turm, einige Kilometer den Fluss hinauf. Das Werk schließt mit einem letzten Kapitel über die Rezeption des Dichters. Und doch ist dieses Buch so ungewöhnlich schön und "trunken", voll des "göttlichen Feuers", das Friedrich Hölderlin nicht loskommen lässt von der Sehnsucht nach der neuen Freiheit. "Göttliches Feuer auch treibet, bei Tag und bei Nacht, / Aufzubrechen, So komm! daß wir das Offene schauen", heißt es in einer Elegie. "Was also ist das für ein Feuer, das in Leben und Poesie Hölderlins brennt? Das ist die Frage, der dieses Buch nachgeht", schreibt Safranski einleitend.

Der Autor bietet keine originellen Thesen und keine schlichten Antworten. Safranski erzählt mit großer Meisterschaft und entfaltet die merkwürdig schöne und ungeheure Welt des Aufbruchs in die Moderne. Und wie ließe sich diese Geschichte besser erzählen als am Neckar, wo die hoffnungsfrohen Jünglinge in Seminaren saßen und Kant feierten und die Welteroberung planten, insbesondere die geistige? In seinen Text flicht Safranski die Hölderlin-Verse und Strophen und Hymnen. Ihr eigentümlicher Glanz beleuchtet die Landschaften zwischen Neckar, Rhein und Main und die gewaltigen Geisteswelten zwischen Himmel und Erde. "In deinen Tälern wachte mein Herz mir auf. / Zum Leben, deine Wellen umspielten mich." In der schwäbischen Enge schien das Licht des Neuen einfach besonders hell zu strahlen.

Die Jünglinge saßen im Seminar am Neckar, feierten Kant und planten die Welteroberung

Safranski erzählt vom Herkunftsmilieu des Dichters, der "Ehrbarkeit", diesem selbstbewussten Bürgertum im armen Württemberg, in dem sich die Stände schon früh ein beträchtliches Maß an Mitbestimmung erstritten hatten. Die anmutige Landschaft ist voller Sonderlinge, Pfarrerskinder und Genies. Im Tübinger Stift, wo nach der Reformation begabte Landeskinder während ihres Theologiestudiums gehegt und gerüstet wurden, lebte Hölderlin bekanntermaßen in einem Zimmer mit Hegel, den seine Kommilitonen für schwerfällig hielten, und dem frühreifen Schelling. Noch genialer freilich war der Primus Karl Christoph Renz, von dem das Dreigestirn Hegel, Schelling, Hölderlin die größten Dinge erwartete; doch Renz wurde Dorfpfarrer und ließ sich auch nicht durch verschiedene Rufe auf eine Professur von seinem Glück abbringen.

Renz ist eine kleine Miniatur in dieser reichen Biografie, ein Gegenbild zu Hölderlin. Denn dieser glüht vor Ehrgeiz, es quält ihn der "Durst nach Männervollkommenheit", wie Hölderlin es selbstkritisch und selbstbewusst auf den Punkt brachte. War das sein göttliches Feuer? "Nur Einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen! / Und einen Herbst zu reifem Gesange mir", fleht er. Dem Ehrgeiz opfert er die Liebe, die Lebenspläne der Mutter, die Häuslichkeit und die Anmut des Daseins, die allesamt für ihn in der Kindheit versunken bleiben.

Allerdings verfällt Rüdiger Safranski nicht der Versuchung, Hölderlins Biografie als die Geschichte des revolutionären Märtyrers zu erzählen, die seit den Sechzigern präsentiert wurde und jene vielfältige Kompliziertheit der Aufbruchs- und Freiheitssehnsüchte auf ein politisches Motiv dezimiert. Württemberg war nicht schlicht ein Hort der Tyrannei - ein ahistorisches Urteil. Die Studenten im Stift machten aus ihrer freiheitsliebenden Gesinnung keinen Hehl, verehrten den geschassten Schiller, Hölderlin besuchte Schubart, der nach seiner Haft als Freiheitskämpfer gefeiert und verehrt wurde.

Dozenten und Professoren brachten den Studenten die neueste Philosophie nahe, Spinoza, Leibniz und immer wieder Kant. Denn tatsächlich: Der Aufbruch und das göttliche Feuer zeigten sich vor allem hier, in der "revolutionären Denkungsart" der neuen Philosophie, von der ganz Tübingen erfüllt war. Kant brachte "die Kathedralen der Metaphysik zum Einsturz", so Safranski. Den Verboten zum Trotz trafen sich die jungen Männer abends zum Singen und Saufen, Politisieren und Renommieren. Für Hölderlin und seine Freunde jedenfalls traf zu, was 1790 in einem herzoglichen Reskript gegen die Stiftler vorgebracht wurde: "Geringschätzung der Theologie, Abneigung gegen den Pfarrerberuf, Hang zur Frivolität und Wohlleben, Unbotmäßigkeit und falscher Freiheitssinn". Der Herzog mochte das nicht, aber seine Macht hatte Grenzen. Als er Schelling zur Rede stellte, weil dieser die Marseillaise ins Deutsche übersetzt haben soll, antwortete der in pietistischer Manier: "Durchlaucht, wir fehlen alle mannigfaltig."

Auch der Pietismus der Mutter, der schönen Witwe, und der ganze protestantische Glaubensapparat lassen sich nicht nur als Bedrängnis des großen Geistes Hölderlin verstehen. Er lebte in dieser Frömmigkeit, und er ist nie von ihr losgekommen. Schelling, Hölderlin und Hegel greifen auf die lutherischen Sprach- und Vorstellungswelten zurück, sie reden vom "Reich Gottes" als einem Jugendtraum, der das Religiöse transzendierend bis ins Politische reicht. Das göttliche Feuer der Liebe, die Sehnsucht nach einem "Absoluten", was auch immer damit gemeint war: Sie treiben zur Freiheit. Hölderlin findet in der antiken Götterwelt nicht nur gelehrten Stoff, vielmehr entdeckt er hier echte Religion. Und selbst in seinem frommen Griechenland verehrt er die Republik. "Rauschte dort die Stimme des Volks, die stürmisch-bewegte, / Aus der Agora nicht her"? Hölderlin, notiert Safranski, ist "revolutionsfromm".

Die Beziehung mit Susette Gontard, der Bankiersgattin aus Frankfurt, scheitert

Fieberhaft verfolgen die Tübinger die Französische Revolution und wissen: Hier ist Aufbruch, hier brennt das Feuer. Politik macht sich auf von den Höfen und kehrt ein in die Herzen der Menschen. Die "Vaterlandsliebe" ist für sie die Freiheitsliebe in den Landschaften ihrer Heimat. Safranskis Hölderlin erweist sich auch nicht als der im tumben Deutschland verkannte Genius. Frauen und Männer suchten die Nähe des geistvollen schönen Dichters. Man nannte ihn den Apoll. Hölderlin hatte Glück und zahlreiche Freunde, die ihm ehrenwerte Stellungen besorgten, ihn verehrten und ihm Gedichtausgaben besorgten oder einfach Kost und Logis schenkten. Schiller präsentierte Hölderlin der Welt: "Das ist mein liebster Schwabe". Und doch blieb er ein Geheimtipp für die Kennerinnen und Eingeweihten, ein Autor des Nachruhms. Das Ende im Wahnsinn, in dem Hölderlin die Hälfte seines Lebens, 36 Jahre, verbrachte, muss gleichwohl nicht als ein verzweifeltes erzählt werden; auch das wird bei Safranski deutlich. Schon gar nicht bedarf es der empiriefernen Thesen des Germanisten Pierre Bertaux: Der Jakobiner Hölderlin habe sich im simulierten Wahnsinn der deutschen Kleingeisterei entzogen. Studenten besuchten den Dichter in den späten Jahren und lauschten seiner Rede. Die verachtete Obrigkeit zahlte eine Rente, er hatte ein gutes Auskommen und fand Ruhe. Bei der Familie des Tischlermeisters Zimmer konnte er von seinem Turmzimmer hinunter auf den Neckar gucken.

Und doch, es ist eine Zeit im Übergang, der Aufbruch schmerzt und allzu oft gelingt er nicht. Nicht nur für Frauen bleibt der Lebenslauf eng; sie haben ihren Auftritt als Liebende, Mahnende, Pflegende und Bewundernde. Auch das Männerleben ist beschränkt.

Hölderlin misslingt der Weg in die Selbständigkeit, er kann sich nicht als Dichter ernähren; er hätte, wie von der Familie vorbestimmt, heiraten und Pfarrherr werden sollen. Auch seiner Liebe mit Susette Gontard, der Frankfurter Bankiersgattin, glückt nicht der Aufbruch. Sie können nicht aus den Verhältnissen ausbrechen, das wissen sie. Doch in der Dichtung lebt die Liebe und wird versöhnt: "Größers wolltest auch du, aber die Liebe zwingt / All uns nieder; das Laid beuget gewaltiger; / Doch es kehret umsonst nicht / Unser Bogen, woher er kommt."

Und auf die Poesie kommt es an! Hier brennt das Feuer! Hier geschieht das "wirklich 'freie Handeln'", so der Biograf, "Poesie ist nicht an die Wirklichkeit gefesselt, sie schafft neue Wirklichkeiten; sie ist nicht einfach nur weltabbildend und welterklärend, sondern sie ist im eminenten Sinne weltschaffend."

Selbst da, wo der Aufbruch gelang, erwies er sich oft genug als fragwürdig. Die Menschen sind sich selbst entfremdet. In Hölderlins einzigem Roman "Hyperion" ist der Held ein Suchender. Hölderlin bricht auf - und leidet daran. Es ist ihm, dem "mehr von Göttern ward, als er verdauen konnte", zu viel. Er liebt die Revolution und ist entsetzt über den Terror und die Raubzüge des Revolutionsheeres. Hölderlin nutzt die Säkularisierungstendenzen, und doch wird dem frommen Sohn die Welt ohne Götter zu kalt. Brechung und Beschränkung sind in dieser neuen Welt inhärent.

Safranski erzählt uns Hölderlins Leben als das des modernen Menschen in seiner Zerrissenheit und in seiner Schönheit. Es ist nicht eine Geschichte der Dekadenz, sondern die Geschichte des göttlichen Feuers, das erleuchtet - und verbrennt. Ein Abenteuer. "Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen, / Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern', / Und verstehe die Freiheit, / Aufzubrechen, wohin er will".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: