Rückblick:Ideen, die unser Denken verändert haben

Von der #MeToo-Debatte bis zur Weltherrschaft von Micky Mouse: Eine Auswahl von Ideen aus dem Jahr 2017, die auch die Zukunft bestimmen werden.

Von SZ-Autoren; Illustrationen: Jörg Dommel

Rückblick: undefined

Nation Branding

Was braucht es, damit das Bild einer Nation entsteht? Jahrhundertealte Traditionen? Bauten, die seit Generationen einer Gesellschaft ein Zuhause bieten? Kunstwerke, in denen sie sich ihrer selbst vergewissert? Ach wo! Tatsächlich ist es viel einfacher und vor allem schneller zu haben, das Bild einer Nation - wenn deren Herrscher das nötige Kleingeld mitbringen. Abu Dhabi führt es gerade vor: Mit dem Louvre-Ableger hat sich der Wüstenstaat nicht nur eines der spektakulärsten Museen der Welt erschaffen, sondern sein erstes überhaupt. Kurz darauf orderte das Emirat noch das bislang teuerste Gemälde der Welt, den "Salvator Mundi", angeblich von Leonardo da Vinci, sicher jedoch für 450 Millionen Dollar versteigert. Was die Christusfigur mit dem arabischen Volk der ehemaligen Perlenfischer und Nomaden verbindet? Egal, dafür passt sie zu einer Nation, die ihr Seelenheil in glitzernden Superlativen findet. Laura Weißmüller

Rückblick: undefined

Das Regieren

Wer regiert, verliert die Freiheit, alles Mögliche wollen zu dürfen. Regieren heißt entscheiden, also Optionen zu reduzieren. Außerdem ist man ja nie allein mit seinem Wollen. Koalieren heißt Wünsche stückeln. Darum kann man verstehen, dass derzeit so viele, die zum Regieren gewählt wurden, so wenig Lust auf das kleingehäckselte Wollen haben. Sondieren ist da viel netter, man bleibt im Traumreich der Wünsche. Daran ist aber auch ein Publikum schuld, das in jedem Moment genau weiß und sagt, wie es nicht geht. Dabei bietet die repräsentative Demokratie dem Bürger eine unschätzbare Erleichterung an: nicht selbst regieren zu müssen. Berufspolitik ist eine Entlastung, und die regelmäßige Kündigungsdrohung - alle vier Jahre! - ist doch viel komfortabler. Die Gewählten aber mögen sich an eine alte Weisheit aus Italien erinnern: Die Macht verschleißt - und zwar den, der sie nicht hat. Gustav Seibt

Rückblick: undefined

Fetisch Akustik

Kaum jemand weiß, dass Nemesis, die Rachegöttin, einen kleinen boshaften Bruder hat, der Akoustikos heißt. Musiker wie Musikhörer müssen sich mit seiner Heimtücke herumschlagen. Besonders übel hat er in der vor Jahresfrist eröffneten Hamburger Elbphilharmonie gewütet, mit deren Klangtücken sich alle seither tapfer arrangieren. Dass das Murren nur manchmal laut wird, hängt damit zusammen, dass Akustik einerseits als schicksalsergeben hingenommen, andererseits neuerdings gern überbewertet wird. Beides muss nicht so sein. Mit Schallsegeln und anderen Vorrichtungen lässt sich einiges erreichen, auch durch veränderte Orchesteraufstellung. Das setzt Zeit und Interesse voraus, durchreisende Stardirigenten bringen beides oft nicht mit. Vor allem aber hilft eine eigenständige Interpretation, die spieltechnisch genial vorgetragen wird. Dann wird der kleine Gott Akoustikos von niemandem mehr als störend wahrgenommen. Reinhard J. Brembeck

Rückblick: undefined

Social-Media-Entzug

Den Ruf nach Bildschirmpausen und Konzentration gibt es schon länger. Neu ist, dass er von Silicon-Valley-Größen kommt. Facebook-Mitgründer Sean Parker bereut, ein Monster geschaffen zu haben. Der frühere Facebook-Manager Chamath Palihapitiya sagt: "Es zerreißt die Grundlagen unserer Gesellschaft", und er lasse seine Kinder "diesen Scheiß nicht nutzen". Google-Aussteiger programmieren jetzt Apps zur Einschränkung der Smartphone-Abhängigkeit. Es ist mit den "Aufmerksamkeitshändlern" (Tim Wu) wohl ein bisschen wie mit dem Islam: Die Reform kann nur von innen kommen. Abmelden ist keine Option, Mäßigung schon - soziale Netzwerke sind ja nicht nur Verblödungsmaschinen, sondern auch praktische Kommunikations- und Debattenmedien. Man könnte sie etwa immer nur eine halbe Stunde vormittags nutzen. In der übrigen Zeit lässt man sich die künstlichen Intelligenzen einfach gegenseitig liken. Johan Schloemann

Einwanderungsland Deutschland

Rückblick: undefined

Fair Architecture

Wer heute ein T-Shirt für fünf Euro kauft, hat ein schlechtes Gewissen. Gut so, denn ein solcher Preis ist nur durch die Ausbeutung von Mensch und Natur zu erzielen. Weil selbst Luxusmarken zum Teil unter erbärmlichen Bedingungen produzieren, hilft bei der Mode ein Fair-Trade-Label um sicher zu gehen, dass das neue Kleidungsstück auch fair hergestellt wurde. Auch in der Architektur wird es so etwas geben müssen. Neue Gebäude können nämlich großartig sein - und gleichzeitig für die Menschen, die sie gebaut haben, ihr Todesurteil. Weil es ungelernte Arbeiter waren, die da auf der Baustelle hantierten. Weil sie keine Sicherheitsausrüstung trugen. Oder keine Mittagspause hatten und bei 40 Grad im Schatten dehydriert vom Gerüst fielen. In Katar ist das beim Bau der Stadien für die Fußball-WM 2022 unzählige Male so passiert. Bei anderen Großbaustellen dieser Welt, egal ob im arabischen Raum, in China oder Russland zahlen die Bauarbeiter, meist Migranten, zwar nicht immer mit ihrem Leben, dafür verdient kaum einer den gerechten Lohn. Im Gegenteil: Viele müssen ein Jahr arbeiten, um "Vermittlungsgebühren" abzahlen zu können, sind in Baracken untergebracht, ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne Rechte, oft müssen sie den Pass abgeben. Initiativen wie "Who Builds Your Architecture?" wollen das ändern. Gerade die führenden Architekten dieser Welt werden nicht mehr lange darüber hinwegsehen können, wie ihre spektakuläre Architektur entstanden ist. Ein Fair-Architecture-Label wird dafür sorgen. Laura Weissmüller

Rückblick: undefined

Einwanderungsland Deutschland

Als 2015 die Flüchtlinge nach Deutschland kamen, war die Aufregung groß. Würde man sie "integrieren" können? Man vergaß darüber, wie selbstverständlich Einwanderung in Deutschland längst ist. In München etwa haben 45 Prozent der Bevölkerung "Migrationshintergrund", bei Jüngeren sind es bis zu 60. Für den Staat haben auch die "Migrationshintergrund", die nur ein nicht-deutsches Elternteil haben. Nach gängiger Vorstellung ist damit auch eine Klassenzuschreibung benannt - verkörpert wird er vom anatolischen Gemüsehändler. Dass man sich in Deutschland Einwanderer nur als Fürsorgefälle vorstellen kann, ist schlimm für die Flüchtlinge. Es ist aber auch frustrierend für "bürgerliche" Einwanderer, die von Bürokratie, Kultur und Medien oft ignoriert werden. Doch am meisten schaden sich die Deutschen selbst, die an der genealogischen Definition des Deutsch-Seins festhalten, obwohl die Realität längst weiter ist. Jörg Häntzschel

Rückblick: undefined

#MeToo

Es begann mit Harvey Weinstein. Im Oktober berichteten New York Times und New Yorker, dass Dutzende Schauspielerinnen, darunter weltberühmte Hollywood-Stars, dem Filmproduzenten vorwarfen, sie sexuell belästigt oder sogar vergewaltigt zu haben. Am 15. Oktober schrieb dann die Schauspielerin Alyssa Milano auf Twitter: "Wenn alle Frauen, die schon einmal sexuell belästigt oder vergewaltigt wurden, als ihren Status "Me too" ("ich auch") angeben, können wir der Öffentlichkeit vielleicht einen Eindruck verschaffen vom Ausmaß dieses Problems." Innerhalb von 24 Stunden wurde der Hashtag #MeToo millionenfach verwendet, und das Jahr hatte sein großes, überfälliges Thema: den strukturellen Missbrauch männlicher Macht zur Herabwürdigung von Frauen. Jetzt muss die Hälfte der Menschheit nur noch verstehen, warum sie selbst dann ein Teil des Problems ist, wenn sie sich noch nie etwas hat zu Schulden kommen lassen. Jens-Christian Rabe

Rückblick: undefined

Eine Bodensteuer

Die Mieten explodieren, der Kampf um bezahlbaren Wohnraum in den Städten wird immer härter - statt diese Entwicklung aber für eine Naturgewalt zu halten, wird jetzt gegengesteuert. Nicht mit Pseudoaktivismus wie der Mietpreisbremse, sondern mit einem Werkzeug, das da ansetzt, wo alles beginnt: beim Boden. Dass dieser immer teurer wird, hat wenig mit den privaten Bodenbesitzern, aber viel mit dem Boom der Städte zu tun. Und den wiederum zahlt die öffentliche Hand, indem sie Straßen, Nahverkehr, Kitas, Schulen, Universitäten und Museen finanziert. Vom großen Reibach mit dem Boden hat die Gesellschaft trotzdem nichts. Deswegen heißt es jetzt: öffentlichen Grund nicht mehr verkaufen, sondern nur noch im Erbbaurecht vergeben und vorschreiben, was darauf im Sinne des Gemeinwohls entstehen soll. Außerdem muss der Boden in Privatbesitz endlich angemessen besteuert werden und zwar mit einer Bodenwertzuwachssteuer. Laura Weißmüller

Sitzen ist das neue Rauchen

Rückblick: undefined

Das chinesische Zeitalter

Erst wirtschaftliche Öffnung, Aufstieg der Mittelklasse, dann Menschenrechte, Demokratie, Liberalismus. So hatte man es sich ausgemalt. Doch es kam anders: China ist zurückgekehrt zu längst überholt geglaubter Orthodoxie. Und während Europa an sich zweifelt und die USA sich aus der Weltverantwortung verabschieden, baut China rund um die Welt seinen Einfluss aus. Es hat in den Hafen von Piräus investiert und verlegt Bahnschienen bis nach Duisburg, es steckt Milliarden in afrikanische Infrastruktur und baut ein britisches Atomkraftwerk. Und immer unverhohlener erwartet es für seine Investitionen politisches Entgegenkommen. Früher hieß Globalisierung, dass Chinesen von westlichen Ideen infiziert werden, demnächst heißt es wohl, dass China dem Westen diktiert, welche Blockbuster gedreht werden und wie abhörsicher ihre Smartphones sind. Vieles deutet darauf hin, dass nun tatsächlich das chinesische Jahrhundert beginnt. Jörg Häntzschel

Rückblick: undefined

Sitzen ist das neue Rauchen

Eigentlich müsste man jetzt raten: Setzen Sie sich mal besser hin, denn es gibt gleich schlechte Nachrichten. Doch in diesem Fall muss man eher etwas Militaristisches fordern. Also, aufstehen, aber zackig, nehmen Sie gefälligst Haltung an! Okay? Dann sind sie jetzt halbwegs sicher. Sicher vor einem zu geringen Stoffwechsel und zu viel Blutzucker, vor schlechten Blutfettwerten, Thrombosen, Krampfadern, Schmerzen im Nackenbereich und sowieso... immer diese Abgeschlafftheit. Es ist nämlich so: Sitzen ist das neue Rauchen. Es ist ungesund und gehört eigentlich verboten. Natürlich hat die Möbelindustrie darauf reagiert. In diesem Jahr sind Stehpulte und Stehkonferenztische glänzend gelaufen, obwohl sie meistens dann doch nur herumstehen. Weshalb es nächstes Jahr wohl heißen wird: Stehen ist das neue Sitzen. Dann laufen wir alle zu Hause und im Büro ständig herum, weil das noch viel gesünder als das Stehen ist. Hamster in ihrem Rad wissen das. Gerhard Matzig

Rückblick: undefined

KI als Schöpfer

Bisher waren Leistungen der künstlichen Intelligenz Triumphe ihrer Programmierer, egal ob Deep Blue das Schachgenie, Watson den Quiz-Champion oder Alpha Go den Go-Weltmeister besiegte. Sie alle waren von ihren Schöpfern mit immer besseren Algorithmen und Unmengen an Daten gefüttert worden. In diesem Jahr kam Alpha Go Zero, die erste künstliche Intelligenz, die ihre Leistung ohne Big Data erreichte. Das Programm lernte lediglich die Regeln des chinesischen Brettspieles Go und besiegte seinen datengeschulten Vorgänger Alpha Go einhundertmal hintereinander. Wenige Wochen später meldete Google, seine künstliche Intelligenz AutoML habe selbst eine künstliche Intelligenz für Bilderkennung geschaffen, die besser sei als jede menschengemachte. Diese Emanzipierung der künstlichen Intelligenz von ihren Schöpfern ist der Moment, an dem man genau hinschauen muss. Denn nur wer KI versteht, kann sie auch kontrollieren. Andrian Kreye

Rückblick: undefined

Erstklassiges Mittelmaß

"Premium Mediocre", der Begriff ist jetzt seit einem halben Jahr in der Welt, und jeder, der ihn einmal gehört hat, weiß sofort, dass er uns auch 2018ff. nicht wieder verlassen wird, schon weil das Phänomen so omnipräsent, so typisch, so bezeichnend ist für unsere Gegenwart. Premium Mediocre, also Mittelmäßigkeit der Premiumklasse, ist zum Beispiel Trüffel-Öl, der XL-Sitz in der Economy Class, "Game of Thrones" oder Starbucks. Es ist am oberen Ende von O. K., aber es ist eben nicht wirklich Trüffel, die Business Class, der "Ring des Nibelungen" oder Kaffee im Café. Soziologisch relevant wird diese Alltagsableitung, wo sie die Mischung aus Exklusivitätsverlangen und Exzellenzverzicht einer Generation erfasst, die die Grenzen nach oben als unüberwindbar zu empfinden gelernt hat und die Luft nach unten als Gratifikation. Venkatesh Rao heißt der Mann, der zuerst darüber geschrieben hat, ein 1974 geborener Blogger mit Abschluss in Raumfahrttechnologie, der in Amerika lebt. Für indische Ohren sei sein Name, schreibt er, übrigens nicht einmal Premium Mediocre, sondern nur medioker. Aber es scheint so, als würde man ihn sich trotzdem für die nächsten Jahre mal merken müssen. Peter Richter

Mit Rechten reden

Rückblick: undefined

Pannen-Geduld

Es bringt nichts, sich aufzuregen? Oh doch. Kollektive Empörungen haben sich schon immer gelohnt. Und sehr oft haben sie etwas verändert, siehe #MeToo auf dieser Seite. Köpfe sind gerollt, Gesetze wurden verbessert, Geld wurde investiert oder gestrichen. Katharsis durch Kampagne. Beim Thema Bahn aber bleiben die Deutschen erstaunlich cool. Hier mal ein Witzchen über ihre längst sprichwörtlichen Pannen, da mal ein Hinweis, dass Züge in der Schweiz und in Japan pünktlich fahren. Der allgemeine Empörungsgrad bleibt auf "Wir hätten mal eine Beschwerde"-Niveau. Warum genießt der desolate Schienenverkehr einen Geduldsbonus? Man kann sich nur noch wundern, mit welch mediterraner Gelassenheit Bahnkunden auf winterkalten Bahnsteigen Verspätungs- und Ausfalldurchsagen hinnehmen, sofern es überhaupt Durchsagen gibt. Wie und wann man ankommt, ist nicht wichtig? Hoffentlich ist diese Lethargie noch keine Folge von Resignation. Wer aufgibt, kommt nie an. Rudolf Neumaier

Rückblick: undefined

Mit Rechten reden

Die Idee ist größer als das Buch, das so heißt. Dabei steht in "Mit Rechten reden" von Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn durchaus Bedenkenswertes: Auf demonstrative Empörung über Rechtspopulisten verzichten, besser versuchen, sie ernst zu nehmen. Alle Gegenaggression, aller Ausschluss aus dem Diskurs (oder gar aus der Demokratie) nutzt eher der Gegenseite, weil sie so in ihrer seltsamen Mischung aus Opfer- und Überheblichkeitsgefühlen bestärkt wird. Wo es geht, soll man AfD und Identitären lieber sachlich klarmachen, dass die Flucht aus einer pluralistischen, verflochtenen Welt nicht möglich ist. Mag alles stimmen. Nur leider ist das Verfahren auf der Frankfurter Buchmesse, wo jenes Werk vorgestellt wurde, schon mal gehörig schiefgegangen. Es gab Krawall und Gesprächsverweigerung. Mit einem tänzerischen, literarischen, intellektuell arroganten Handbuch kann man jedenfalls in der politischen Auseinandersetzung keinen Blumentopf gewinnen. Mit Rechten reden? Die wahre Probe davon findet im neuen Jahr nicht auf Buchmessen statt, sondern im Deutschen Bundestag und beim AfD-Wähler nebenan. Ob das etwas bringt, wird sich zeigen; fest steht aber: Es muss sein, und es wird unangenehm. Johan Schloemann

Rückblick: undefined

Weltherrschaft der Micky Maus

Zu den großen Hollywood-Legenden gehört das Gerücht, Walt Disney habe sich nach seinem Tod einfrieren lassen. Die Geschichte ist zwar falsch, er wurde eingeäschert, die Überreste befinden sich auf dem Forest Lawn Friedhof in Glendale, wo er in bester Nachbarschaft zu Michael Jackson, Humphrey Bogart und Elizabeth Taylor ruht. Aber könnte man den Alten heute auftauen, er würde bestimmt zufrieden in die kalifornische Sonne blinzeln und sich darüber freuen, wie sein Reich gewachsen ist. Zu seinen Lebzeiten gehörte Disney zu den kleineren Firmen, heute ist die Company das mächtigste Filmstudio der Welt. Marvel, Pixar, Lucasfilm, zuletzt kaufte die Firma auch noch große Teile des Konkurrenten 21st Century Fox für 52,4 Milliarden Dollar. Die Disneyfizierung des Kinos, der Spielzeugläden, der Vergnügungsparks, ja überhaupt der ganzen Popkultur nimmt damit eine Form an, die den Micky-Maus-Skeptiker Adorno vermutlich noch nachträglich im Grab rotieren lässt. Die Produktionspläne des Studios sind für die kommende Dekade so prall gefüllt, dass man als Zuschauer schon mal darüber nachdenken könnte, sich bis zur Post-Disney-Ära einfrieren zu lassen. David Steinitz

Rückblick: undefined

Gesichtserkennung

Selten, dass diese drei Protagonisten sich über dasselbe freuen. Von "freuen" würden sie nicht sprechen, eher von: "Mehrwert". So bewerben der Bundesinnenminister Lothar de Maiziere, der Apple-Boss Tim Cook und der Facebook-Chef Mark Zuckerberg eine 2017 umgesetzte Idee, die mit dem Begriff "Gesichtserkennung" harmlos umschrieben ist. De Maiziere, der eine Gesichtserkennungsanlage am Berliner Bahnhof Südkreuz installieren ließ, sieht "Mehrwert" bei der Fahndung nach Terroristen. Tim Cook hat mit dem iPhone X ein biometrisches System vorgestellt, das sein Telefon auf ein Preisniveau von über 1000 Dollar liftet. Klarer Mehrwert. Und Zuckerberg? In sein Facebook-Netz gehen nun alle Bilder, um sie von einer Software scannen zu lassen. Wird eine Person erkannt, so wird sie benachrichtigt. Hier liege der "Mehrwert" in erhöhter Nutzer-Kontrolle. Was tatsächlich "Mehrwert" für alle ist: Sie benötigen nicht einmal mehr die physische Berührung eines Fingerabdrucks, um erkennen zu lassen, wer wer ist. Klar, dass die Protagonisten sich da freuen. Bernd Graff

Rückblick: undefined

Die Männer

Wer keine Frau ist, ist ein Mann. So war es bisher. So ist es nicht mehr. Wer keine Frau ist, muss kein Mann sein, sondern ist womöglich intersexuell, richterlich anerkannt, ein drittes Geschlecht. Für Zehntausende in Deutschland ist das eine feine Sache. Für die Männer bedeutet es wieder mal einen Distinktionsverlust. So wie die Ehe für alle: Wenn nicht ein Bräutigam vor den Altar tritt, sondern vielleicht zwei oder gar keiner, kann man das anders begreifen als Entwertung? Nein, es ist nicht übermäßig gönnerhaft festzuhalten: 2017 war kein gutes Jahr für die Männer. Die Grobmotoriker der Weltpolitik von Kim bis Trump: Männer. Der Verlierer der Bundestagswahl: ein Mann. Moderne Männlichkeit - das klingt nach diesem Jahr fast wie ein Widerspruch in sich (siehe #MeToo). Aber fassen Sie Mut, meine Herren! Drei Geschlechter sind besser als keines. Ein Mann ist mehr als nur Bräutigam. Männer werden auch im nächsten Jahr wichtige Aufgaben erfüllen, über die sich klar zu werden alle noch ein paar Stunden Zeit haben. Tatkraft, räumliches Denken, ach ja, und höhere Einkommen bei billigeren Preisen für Rasierer gelten auch 2018 als ausgesprochen männlich. Sonja Zekri

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: