"Ruby Sparks" im Kino:Mein Partner, das Haustier

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Schriftsteller Calvin erfindet eine Romanfigur namens Ruby, die ihn sowohl inspiriert als auch motiviert. (Foto: dpa)

Welcher Mann träumt nicht davon, seine Traumfrau einfach selbst erschaffen zu können? So auch Schriftsteller Calvin, der sich im Film "Ruby Sparks" in die Protagonistin seines neuen Romans verliebt. Plötzlich steht sie vor ihm, doch die Komödie wandelt sich bald in ein Drama. Denn die Traumfrau wird renitent.

Von David Steinitz

Dass menschliche Beziehungen oft mehr mit Käfig- als mit Freilandhaltung zu tun haben, dafür konstruiert der wunderbare Film "Ruby Sparks" eine anschauliche Versuchsanordnung. Der Schriftsteller Calvin (Paul Dano) hatte seinen großen Durchbruch schon zu Schulzeiten, sein Debüt ist ein neuer "Fänger im Roggen", mindestens. Nur sind seitdem bald zehn Jahre vergangen. Die Sonne über Los Angeles scheint Tag für Tag fröhlich vor sich hin, während Calvin, angelegt als wilder Jung-Mix aus Woody Allen und Jonathan Franzen, deprimiert und einsam in seinem riesigen, verglasten Hipster-Haus sitzt und keinen Satz mehr zustande bringt. Bis ihm im Traum ein Mädchen namens Ruby (Zoe Kazan) erscheint, das er zwar im magischen Gegenlicht des kalifornischen Sonnenuntergangs nicht richtig erkennen kann - aber von da will er nicht mehr weg vom Schreibtisch, will dieses bezaubernde Wesen mit Leben füllen, hat sich plötzlich in seine Protagonistin verliebt und sie schreibend zu seiner Freundin gemacht. Bis Ruby eines Morgens wirklich vor ihm steht, die Müslischüssel in der Hand, als sei sie schon immer dagewesen.

Eine ideale Frau modellieren zu können, das ist eine männliche Obsession, spätestens seit der misogyne Pygmalion übellaunig seine Galatea modellierte. Im Kino hat das dann besonders genüsslich Hitchcock zelebriert, als er in "Vertigo" James Stewart seine makellose Kim Novak basteln ließ. Nur zum Liebesglück hat es bei aller Modellierung leider nie gereicht - eine Lektion, die auch Calvin lernen muss: Er verbringt mit seiner Ruby Momente schönster Pärchenzweisamkeit: Kochen, Knutschen, Kino. Doch sie ist renitent, weigert sich, eine devote Romanfigur abzugeben, beharrt auf eigener Persönlichkeit. Da hilft nur eins: umschreiben.

Das Projekt entwickelt sich zum Frankenstein-Komplex

Hauptdarstellerin Zoe Kazan, die mit "Ruby Sparks" auch ihr Drehbuchdebüt gibt, karikiert mit einer Treffsicherheit Beziehungsneurosen, wie man es so humorvoll und gleichzeitig so brutal selten im Kino sieht. Akribisch demontiert sie die Besessenheit des männlichen Egos - für eine Schauspielerin ist das Gefühl fremdgesteuert zu werden, durch Regisseure und Autoren, fast eine Berufskrankheit. Ihr Drehbuch ist zudem eine Parodie auf die standardisierten Helden der Popkultur - die selbstgerechten, beziehungsgestörten Jungs aus dem Kosmos von "High Fidelity" & Co., und auf ihre überdrehten Traumfrau-Konstruktionen. Geballte Pärchen-Power hat Kazans Ruby-Versuchsmodell in einen Film verwandelt: Sie und Paul Dano sind auch wirklich ein Paar, wie auch die Regisseure Jonathan Dayton und Valerie Faris - es ist ihr zweiter Spielfilm nach ihrem Riesenhit "Little Miss Sunshine" vor sechs Jahren.

Ein Schriftsteller, der mit seinen Gedanken eine reale Frau erschaffen kann, was der nicht alles schaffen könnte für die Männer dieser Welt . . . beschwört Calvins Bruder ihn begeistert und hat vor allem erotische Optimierungsvorschläge. Doch Calvins Projekt entwickelt sich mehr und mehr zum Frankenstein-Komplex. Nach einem gemeinsamen Ausflug zu seiner Mutter und ihrem neuen Freund (Annette Bening und Antonio Banderas als infernalisches Späthippie-Pärchen) wird Calvin immer unzufriedener und verwandelt die eigenen Probleme in Fehler des Partners. Immer stärker will er seine hübsche Schöpfung kontrollieren, und irgendwann ist die Komödie keine Komödie mehr. Eine kleine Mitternachtsgrausamkeit nach einer Party, auf der sie sich gestritten haben, der Traum wird zum Albtraum, das Buch muss fertig werden, die Liebesgeschichte soll aber nicht enden. Calvin hockt hinter seinem Schreibtisch, haut erbittert in die Tasten, mehr Dompteur als Liebhaber. Mein Partner, das Haustier.

Ruby Sparks, USA 2012 - Regie: Jonathan Dayton, Valerie Faris. Buch: Zoe Kazan. Kamera: Matthew Libatique. Mit: Paul Dano, Zoe Kazan, Chris Messina, Annette Bening, Antonio Banderas. Fox, 104 Min.

© SZ vom 03.12.2012/jufw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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