Süddeutsche Zeitung

RTL: Jugendschutz:Doktor Trash

Reality-Fernsehen im Brennpunkt: Ein Besuch bei Dieter Czaja, der immer dann eingreift, wenn bei RTL mal wieder der Jugendschutz in Gefahr ist.

Lars Albaum

In den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr ist es im Haupthaus von RTL gespenstisch ruhig. Auf den Fluren und in den Büros trifft man kaum einen Menschen. Fast die richtige Kulisse für einen Horrorfilm. Etwa einem Streifen, in dem sich ein psychopathischer Produzent für ein abgesetztes Format am Sender rächen will: "Faster, Producer, Kill Kill!" oder etwas in der Art. Einer, dem man diesen Film direkt zur kritischen Prüfung vorlegen könnte, ist trotz der Brückentage im Haus und bei der Arbeit. Sein Name: Dieter Czaja. Seine Profession: Jugendschutzbeauftragter von RTL.

Der ruhige Mann, der auf den ersten Blick so gar nichts von einem typischen Medienmenschen besitzt, leitet im ersten Stock gemeinsam mit drei Mitarbeiterinnen das Ressort mit dem etwas kryptischen Namen "Standards und Practices". Ein Begriff, den RTL Mitte der Neunziger vom amerikanischen Sender ABC übernommen hat. Dort bedeuten die beiden Worte nichts anderes als Jugendschutz - in seinen Richtlinien (Standards) und in seiner Umsetzung (Practices).

Bei unserem Eintreffen flackert auf dem Bildschirm in Czajas Büro gerade ein Magazin-Beitrag über eine Sex-Messe, die der 59-Jährige heute noch sichten muss. Im Regal befinden sich jede Menge Bücher über ethische Fernsehfragen und an der Bürotür ein netter Dieter-Bohlen-Cartoon.

Bevor Czaja seine Karriere bei RTL begann, hatte der gebürtige Sachse schon eine bewegte Tele-Vita in der ehemaligen DDR hinter sich. Nach einem Job als Aufnahmeleiter beim DDR-Fernsehen studierte er bis 1975 an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg. Danach wurde er in die Programmplanung des Staatssenders zurückgeholt.

Schmunzelnd erzählt Czaja ein paar Anekdoten, die verdeutlichen, warum dieses System nur untergehen konnte: Einschaltquoten wurden - nach telefonischer Erhebung bei ausgewählten Zuschauern - nur mündlich weitergegeben. Mitschreiben war strengstens untersagt! Imperialistische MAZ-Geräte aus dem Westen durften von Redakteuren nicht in Augenschein genommen werden, daher war ein Kontakt mit den Cuttern nur über Wechselsprechanlage möglich. Jedenfalls hatte Czaja 1989 genug vom ewigen Stress mit den Herren aus der Abteilung Agitation & Propaganda und setzte sich in den Westen ab. Vier Monate später fiel zufällig und völlig unerwartet die Mauer.

Czaja zeigte sich neugierig auf Fernsehen-West, wollte sehen, "was so ging". Der Sachse bewarb sich bei diversen Sendern. Einer davon lud ihn zu einem Vorstellungsgespräch an einem Samstagabend um 21 Uhr ein. Das konnte kein normaler Sender sein - es war RTL.

Jugendschutz muss verbessert werden

Wie wird man als ehemaliger "Programmplaner Ost" ausgerechnet Jugendschutzbeauftragter eines wilden Privatsenders, Herr Czaja? "Nun, ich begann 1989 eigentlich als RTL-Redakteur für den Spielfilmbereich. Schnell gerieten wir damals unter Beschuss, was die Darstellung von Sex und Gewalt anbelangt. Mein Aufgabengebiet verlagerte sich darum sehr bald schon in den Bereich der FSK-Prüfung und der Kommunikation mit den Landesmedienanstalten."

Und da gab es für Czaja eine Menge zu tun. Denn in seinen Anfangstagen ließ RTL nichts aus, um seinem Image als bunter und innovativer Sender mit Vorliebe für B-Movies und Trash gerecht zu werden. Unter der Ägide des Tele-Zirkusdirektors Helmut Thoma und seines smarten Adlatus Marc Conrad wurde ein Programm erschaffen, das im damaligen Feuilleton mit Verve als Untergang des Abendlandes gedeutet wurde. Der Sender reagierte, in dem er einen Jugendschutzbeauftragen installierte, noch bevor das später durch den Rundfunkstaatsvertrag vorgeschrieben wurde.

Dies sah in der Umsetzung dann so aus, dass der neue Jugendschützer einen Schnittplatz bekam, an dem er unter anderem die gewagtesten Szenen aus den sogenannten Lederhosen-Filmen herausschneiden musste; Filme, die bislang nur in Bahnhofs-Kinos gelaufen waren. Das Filmlexikon meint dazu nur: "In den Lederhosenfilmen werden meist gestandene Mannsbilder bayerischer Provenienz gezeigt, die häufig als Bürgermeister oder andere höhergestellte Persönlichkeiten nichts anderes im Sinn haben, als alleinstehende Frauen, Hausmädchen oder sonstige Damen zum Geschlechtsverkehr zu verführen." Ja, servus.

In jener Zeit konnte Czaja seinen Schnittplatz kaum noch verlassen. Während der Jugendschutzbeauftragte im Haus den nicht ganz schmeichelhaften Ruf eines "Zensors" hatte, kam es im wiedervereinten Deutschland zu zahlreichen Novellierungen des Rundfunkstaatsvertrags: Jugendschutz sollte im Gesetz laufend verbessert werden.

Die Privatsender wurden indes selbst initiativ: Basierend auf den Erfahrungen der Filmwirtschaft mit der FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) im Kinobereich, wurde deren Prinzip in der Gründung der FSF Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. auf den TV-Bereich übertragen. Die jugendschützerischen Leitlinien und die Auswahl der heute mittlerweile etwa 100 Prüfer übernahm dagegen ein unabhängiges Kuratorium. Schon deshalb handelt es sich um eine von den Veranstaltern organisierte neutrale Vorabkontrolle. Heute gehören dem Verein 25 Sender an.

Lesen Sie auf Seite 2, warum die KJM, wenn überhaupt, erst nach der Ausstrahlung aktiv wird.

Für die FSF galt ab sofort die Maxime, sich die Programminhalte der privaten Sender aus den Blickwinkel eines Jugendlichen anzusehen, und Inhalte auf der Grundlage gesetzlicher Vorgaben abzuwägen: Was für Rollenbilder, Lebenswelten und Problemlösungen werden geboten? Und vor allem, welche ästhetischen Mittel werden dafür eingesetzt?

Wie muss man sich die Arbeit der Fachleute bei der FSF vorstellen? Czaja: "Im Prinzip gibt es da zwei Bereiche. Der erste ist die unabhängige Prüfung von Programmen vor ihrer Ausstrahlung, hier werden durch zumeist fünfköpfige Prüfausschüsse Sendezeitgrenzen oder andere Auflagen festgelegt, an die sich die FSF-Mitglieder halten müssen. Mindestens genauso wichtig ist der Bereich Beratung: Die FSF bringt regelmäßig Mitarbeiter der Sender, Prüfer, Wissenschaftler und die interessierte Öffentlichkeit zusammen. So wurden beispielsweise in Gesprächen mit Redakteuren und Produzenten die ethischen Koordinaten für Formate wie Dschungelcamp oder DSDS möglichst vorab definiert."

Keine Frage: Allein um die rechtlichen Zusammenhänge des Jugendschutzes erschöpfend zu verstehen, bedarf es eines einwöchigen Lehrganges. Mindestens. Fakt ist: Anders als in Frankreich oder Großbritannien gibt es bei uns keine zentrale Behörde, was Czaja bedauert. Immerhin wurde 2003 ein Jugendmedienschutz-Gesetz verabschiedet, das für das Internet und das private Fernsehen eine einheitliche Aufsicht schuf. Im selben Jahr wurde die FSF offiziell anerkannt. Ihre Entscheidungen sind heutzutage verbindlich und können durch die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) der aufsichtsführenden Landesmedienanstalten nicht in Frage gestellt werden.

Die KJM wird, wenn überhaupt, nach der Ausstrahlung aktiv. Dank Czajas engagierter Arbeit - stets Hand in Hand mit der FSF - sind die Fälle, die dann doch die KJM rückwirkend auf den Plan rufen, selten geworden. Spektakuläre und pressewirksame Bußgelder wie die 100000 Euro für den "problematischen Umgang" mit DSDS-Kandidaten sind eher die Ausnahme.

Überhaupt hat Czajas Jugendschutzarbeit im RTL-Programm heute einen anderen Focus als in den Anfangstagen. Sex ist kaum noch ein Thema, dafür steht das Reality-Fernsehen jetzt gerne mal im Brennpunkt. Vor allem am Nachmittag hat der Sender neue Quotenrenner wie Mitten im Leben etabliert, in denen sich Prekariats-Familien streiten, bis die Fetzen fliegen. Diese von Laiendarstellern gespielten Scripted Reality-Dialoge hören sich dann etwa so an: Nachbarin A (übergewichtig, fettiges Haar): "Hau ab, du alte... (ihr fällt kein Wort ein)...Ich hasse dich" Nachbarin B (übergewichtig, überschminkt): "Nee, nee nee, Frau Malinowski, Sie sind nicht nur dumm und arm, Sie sind auch noch irre". Der Jugendschützer sieht in diesen aparten Konflikten aus der Welt einer Gesellschaftsschicht, die, so Czaja, "tagsüber zu Hause ist", keine Probleme, "solange die Geschichten so erzählt werden, dass unter ethischen Gesichtspunkten eine Moral transportiert wird". Er sagt dies so couragiert, dass man es ihm sogar glaubt.

Frau Durchleuchter

Doch Czaja hat es nicht nur mit Widerständen von außen zu tun. Seit Beginn seiner Karriere als RTL-Jugendschützer hat er auch im eigenen Haus nicht nur Freunde. Talkmaster Hans Meiser wollte ihn Anfang der Neunziger gar telefonisch entlassen. Und weil Czaja seinerzeit die Ausstrahlung des TV-Movies "Die Heilige Hure" um 20.15 Uhr für keine gute Idee hielt, griff Programmdirektor Marc Conrad zu einer List, in dem er ein Gutachten eines katholischen Geistlichen besorgte, das den besonderen Wert dieses Films hervorhob.

Zum Glück wird Czaja und seine Truppe mit ihrer Arbeit heute bei den RTL-Redakteuren viel ernster genommen als damals. Czaja: "Man kann sagen, dass es mittlerweile ein viel ausgeprägteres Bewusstsein für Jugendschutzfragen bei Machern und Entscheidern gibt. Wir werden immer öfter schon von den Redakteuren selbst mit Szenen oder Beiträgen konfrontiert, bei denen wir um Rat gefragt werden".

Eine von Czajas Mitarbeiterinnen heißt übrigens Frau Durchleuchter. Als wir gehen, setzt sich der Chef zu ihr, und beide schauen eine neue Folge CSI - und zack!, ist eine Stelle gefunden, die raus muss. Tagesgeschäft zweier Jugendschützer.

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Quelle:
SZ vom 05./06.01.2010/iko
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