Roy Anderssons Kino:Im Wohlstandselend

Roy Anderssons Kino: Das filmische Museum des Roy Andersson: Es gibt keinen Unterschied zwischen den Schaustücken hinter und vor den Glasscheiben.

Das filmische Museum des Roy Andersson: Es gibt keinen Unterschied zwischen den Schaustücken hinter und vor den Glasscheiben.

(Foto: Neue Visionen)

Erschreckend komisch sind die Albträume des schwedischen Regisseurs Roy Andersson. In seinem neuen Film "Eine Taube sitzt ..." geht es um Lachsäcke, Lebenslügen und Todesangst. In Venedig bekam er dafür den "Goldenen Löwen".

Von Tobias Kniebe

Eine typische Szene aus der Werkstatt Roy Anderssons platziert die Kamera, also den Betrachter, ans Ende eines größeren, ziemlich kahlen Raums. Dort hat man einerseits alles im Blick, andererseits darf man sich dann nicht mehr wegbewegen oder wegschauen - egal was passiert. Wie im Traum oder wie in Trance ist man den kleinen Katastrophen ausgeliefert, die nun - provozierend leise, langsam und oft fast irreal - ihren Lauf nehmen.

So befindet man sich etwa plötzlich in einem tristen Krankenhauszimmer, wo drei Menschen um das Bett einer sehr alten, reglosen Frau versammelt sind. Es geht auf den Tod zu. Ungewöhnlich ist nur, dass auch die Lebenden - zwei Söhne, eine Tochter, selbst schon fast im Rentenalter - verdächtig wächsern und fahl aussehen. Und dass die Alte sich mit Gichthänden an einer großen braunen Lederhandtasche festklammert, die auf ihrem Bauch liegt.

"Wisst ihr denn überhaupt, was in der Tasche drin ist", fragt der Sohn im Anzug, der offenbar neu dazugekommen ist. "Natürlich", sagt der andere. Es wird aber trotzdem noch mal aufgezählt: der ganze Schmuck, Papas goldene Taschenuhr, sein Ehering, das Geld damals für das Auto, über 70 000 Kronen. Das gehe doch nicht, dass das alles hierbleibt, empört sich der eine. "Dann versuch's doch selbst", antwortet der andere genervt.

So wird man Zeuge, wie die Brüder nun auf ihre Mutter einreden, ihr vom Himmel erzählen und davon, dass sie dort neuen Schmuck bekommen wird, dass man Taschen dorthin aber nicht mitnehmen darf. Und wie sie vergeblich an der Handtasche zerren, während aus dem Mund der Alten ein krächzendes, schrecklich anzuhörendes "Ahh" kommt, während sich ihr Rollbett langsam durch den Raum bewegt.

Insgeheim sehr komisch

Der Film "Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach" enthält 39 solcher Szenen, die keine zusammenhängende Geschichte erzählen. Viele sind genauso schrecklich oder noch schrecklicher, viele sind insgeheim auch sehr komisch.

In Roy Anderssons Trance-Räumen kommen die alltäglichen Gefühle einer steifen, kalten Wohlstandsgesellschaft - hier etwa die Angst vor der Demenz und die uneingestandene Habgier, die jeder drohende Erbfall weckt - unter eine Art Brennglas, wo sie sich ins Existenzielle und Monströse, aber auch ins Lachhafte vergrößern. Und Anderssons Mittel, diese Dinge zum Vorschein zu bringen, sind im Kino absolut einzigartig.

Nun hat der 71-Jährige im letzten Herbst für "Eine Taube sitzt . . ." den Goldenen Löwen des Filmfestivals Venedig gewonnen. Das ist mehr als eine hohe Auszeichnung für den aktuellen, genauso verstörenden wie brillanten Film.

Der Holocaust, bis ins Detail kopiert

Es ist die Würdigung einer ganzen kinematografischen Weltsicht und einer künstlerischen Methode, die Andersson seit den späten Achtzigerjahren entwickelt, konsequent verfolgt und immer weiter verfeinert hat. Alles, was man in "Eine Taube sitzt . . ." sieht, steckt auch schon in seinem monumentalen Kurzfilm "World of Glory" von 1991, der den Beginn dieses gewaltigen Werkblocks markiert - und seines zweiten künstlerischen Lebens.

Das erste nämlich ging viel konventioneller los. Andersson, geboren 1943 in Göteborg, trat erstmals 1970 als Regisseur auf den Plan, mit einer freundlich-erotischen Feier schwedischer Gegenwart: "A Swedish Love Story". In der Heimat ein Riesenerfolg, der ihn aber in tiefe Depressionen stürzte - das nächste Projekt wurde prompt ein Flop.

Jahrzehntelang überlebte er dann mit Werbefilmen über komisch-brutale Missgeschicke, sein bester Auftraggeber war ein Versicherungskonzern. Darunter aber reifte eine sehr viel härtere künstlerische Philosophie heran.

"World of Glory" etwa beginnt mit einer Trance-Sequenz für die schlimmsten Albträume. Da steht ein altertümlicher Kastenlastwagen in öder Vorstadtlandschaft, ein Haufen ganz normaler, aber leichenfahler Bürger drumherum.

Im Inneren des Lasters sind nackte Menschen, zusammengepfercht, die beiden letzten, eine Mutter und ein Kind, werden gerade die Rampe heraufgeführt. Hinter ihnen verschließen sich luftdicht die Türen. Der Motor wird gestartet. Statt eines normalen Auspuffs hat der Laster allerdings eine Art Feuerwehrschlauch, der nun böse schwarze Abgase spuckt, während er an ein Loch in der Hintertür angeflanscht und sorgsam festgeschraubt wird.

Der Tod ist hier nicht mehr nur ein Meister aus Deutschland

Sobald die Abgase ins Innere strömen, kommen von dort schrille, durch das Metall gedämpfte Entsetzensschreie. Dann fährt der Wagen los, aber immer nur im Kreis herum. Die Bürger schauen zu, stumm und zufrieden.

Sicherlich ist das die Schlüsselszene für alles, was Andersson seitdem macht. Eine tatsächliche Episode des Holocaust, bis ins Detail kopiert mit den Vergasungs-Lastwagen der Nationalsozialisten, verlagert er in die eigene Heimat - und auf einmal ist der Tod nicht mehr nur ein Meister aus Deutschland, sondern auch aus Schweden.

Lautlose Schreie, wie in den Bildern von Edvard Munch

Roy Anderssons Kino: Hat seine Methode seit Ende der Achtzigerjahre ständig verfeinert: Regisseur Roy Andersson.

Hat seine Methode seit Ende der Achtzigerjahre ständig verfeinert: Regisseur Roy Andersson.

(Foto: Neue Visionen)

Im weiteren Verlauf folgt der Kurzfilm einem der Bürger vom Anfang, der die Zuschauer direkt anspricht und kalt und steif sein schrecklich banales Leben vorstellt, in einer kalten und steifen Gesellschaft der Verdrängung, der Lebenslüge, des heimlichen Horrors. Nur die erstickten Todesschreie, die er nachts hört, lauern immer im Hintergrund. Für Andersson sind sie nie mehr wirklich verstummt.

Auch wenn in seinen Filmen inzwischen oft eher lautlos geschrien wird, ungefähr so wie in den Bildern von Edvard Munch. Man spürt das in dem ersten Spielfilm, den er in diesem Stil vollendet hat, "Songs from the Second Floor" (2000). Darin verstärkt sich auch der absurde Humor, der trotz allem in dieser Welt präsent ist und in "You, The Living" (2007) weiter ausgebaut wird.

"Eine Taube sitzt . . ." bietet nun beinahe Slapstick-Sequenzen: Wenn etwa die beiden traurigsten Handelsreisenden, die man sich vorstellen kann, ausgerechnet Scherzartikel wie Vampirzähne oder Lachsäcke an den Mann bringen wollen - und in verschiedenen Szenen immer wieder auftauchen.

Zugleich aber findet sich eine Episode in dem Film, die das Echo des Holocaust-Albtraums wieder aufnimmt. Diesmal hat Roy Andersson sie in die Zeit der englischen Kolonialherrschaft nach Afrika verlegt, ins gänzlich Imaginierte. Das Szenario aber ist noch grausamer, denn auch die Todesschreie sind nun Teil eines größeren Plans.

Durch eine absurde, kupferglänzende Apparatur werden sie in eine Art Sphärenmusik verwandelt, der man dann - als Mitglied der weißen, herrschenden Klasse - mit Champagnerglas in der Hand lauschen kann. Kulturgenuss und Völkermord fällt hier vollkommen in eins.

Entscheidend für die Wirkung dieser Szenen ist auch, dass sie im Studio entstehen. Jedes Zimmer und nahezu jede Landschaft, die man sieht, sind gebaut und auf Kulissen gemalt, all diese Welten erschafft Andersson gewissermaßen im eigenem Keller.

Fast echt, aber auch verstörend irreal

So verlangt ein Film etwa vier Jahre Bastelarbeit, aber der Regisseur behält die Kontrolle über jede Schattierung von Mausgrau, Grüngrau, Fahlgrau und Schimmelgrau in seinen Tapeten und Kleidungsstücken, über jeden Ton von Krankheit, Übelkeit, Blutleere und Verzweiflung in den Gesichtern seiner Akteure. Das Ergebnis wirkt fast echt, aber auch auf verstörende Weise irreal, ähnlich wie die Papierwelten in der Kunst von Thomas Demand.

Und so sollte man diese Filme vielleicht auch betrachten: als Kunstinstallationen, als lebende Bilder, die nach dem besten, dem gültigen Take wieder zerstört werden. Zurück bleibt nur eine beinah schattenlose, gestochen scharfe Reproduktion. Wer sich darauf einlässt, sie anzuschauen, dem werden diese Bilder lange Zeit im Kopf herumspuken. Vielleicht sogar für immer.

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