Süddeutsche Zeitung

Rosa von Praunheim wird 70:Was die Sphinx lehrt

Provokateur und Charmeur, Hexe und gute Fee: Der Filmemacher Rosa von Praunheim wird heute 70 Jahre alt. Zu seinem Geburtstag zeigt das Enfant terrible des Jungen Deutschen Films seine eher unbekannten Seite: die des Lehrers und Mentors.

Rainer Gansera

Rosa von Praunheim ist eine Sphinx. Schwer zu ergründen. Provokateur und Charmeur, Hexe und gute Fee. Immer wenn man glaubt, sein Geheimnis gelüftet zu haben, verrätselt er sich neu. Von seinen Filmen sagt er: "Sie sind bunt und haben ein Geheimnis: das Geheimnis der Liebe!" Seine öffentliche Persona ist leicht zu skizzieren: Enfant terrible des Jungen Deutschen Films, Ikone und Protagonist der deutschen Schwulenbewegung, bekannt geworden mit dem programmatischen Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" (1970).

Etwa 70 Filme verzeichnete seine Filmografie bis vor Kurzem. Zu seinem 70. Geburtstag, den er am Sonntag feiert, hat er noch mal siebzig draufgelegt: eine imposante Galerie liebevoll gezeichneter Porträts und spielerischer Ausschweifungen, "Rosas Welt", uraufgeführt bei den Hofer Filmtagen, präsentiert mit den Worten: "70 Filme zum Siebzigsten. Was für ein Wahnsinn, sagen die einen, und die anderen rümpfen die Nase und stellen Blumen in die Vase."

Zuerst aber soll von einem kaum bekannten Aspekt seines Wirkens die Rede sein, seiner Rolle als Mentor und Lehrer. Im aktuellen Kinoprogramm finden sich zwei Filme, die derart verschieden sind, dass sie extremste Gegensätze der Produktionslandschaft bezeichnen: "Cloud Atlas" von Tom Tykwer & den Wachowski-Geschwistern und Axel Ranischs "Dicke Mädchen". "Cloud Atlas" durchquert Jahrhunderte und spektakuläre Genres, mit internationalem Staraufgebot und geschätzten Produktionskosten von 100 Millionen Euro. Für "Dicke Mädchen" verfügte Ranisch über ein Herstellungsbudget von 517,23 Euro, was ihn nicht hinderte, seinem Film Zauber, Intimität und Home-Movie-Charme zu verleihen. Nun das Erstaunliche: Tykwer und Ranisch sind beide "Rosa-Kinder", Schützlinge und Schüler Rosa von Praunheims.

Finde deine eigene Stimme

Wie können Kinder in derart verschiedene Richtungen ausschwärmen? Lässt sich in der Verschiedenheit auch die Gemeinsamkeit sehen? Kann man sagen: les extrèmes se touchent? Wo sich die Extreme berühren, ist für Rosa und seine Kinder ein bevorzugter, weil inspirierender Aufenthaltsort. Ranischs Arbeiten spinnen vieles von dem fort, was das Rosa-Universum charakterisiert: partisanenhafte Produktionsweise, das Schwulen-Thema, muntere Improvisation, die Suche nach existenzieller Wahrhaftigkeit. Aber Tykwer? Was hat seine Art des Filmemachens mit Rosa von Praunheim zu tun?

Tykwer erläutert das in "Rosakinder", einer in Hof uraufgeführten Rosa-Hommage von Julia von Heinz, Chris Kraus, Ranisch, Tykwer und Robert Thalheim. Fünf Filmemacher, die entscheidende Anstöße von Mentor Rosa erhielten. Der wichtigste Impuls: Erzähle von dir, finde deine eigene Stimme! Offenbar geht Rosa von Praunheim mit seinen Schützlingen gerade so um, wie mit den Menschen, die er porträtiert oder zum Spiel animiert. Er will sie ermutigen, aus sich herauszugehen, sich zu zeigen. Verblüffende Pädagogik bei jemandem, der selbst so sphinxisch erscheint.

Heute intensiver denn je

Geboren wurde Rosa von Praunheim in Riga, in einem Gefängnis, wie man aus seiner biografischen Selbsterkundung "Meine Mütter" (2008) weiß. Gleich nach der Geburt freigegeben zur Adoption, wuchs er als Holger Mischwitzky am Stadtrand von Berlin/DDR und in Frankfurt am Main auf. Studium der Malerei an der Hochschule für bildende Künste in Berlin: "Als ich Ende der sechziger Jahre begann, Filme zu machen, geschah das aus einer Wut heraus. Ich hatte es satt mitanzusehen, wie Schwule in den Parks davon laufen oder Parteien wählen, deren Politik gegen sie selbst gerichtet ist." Nach dem aufsehenerregenden "Nicht der Homosexuelle ist pervers . . ." folgte der grandios exzentrische, bis heute als Kultfilm verehrte "Die Bettwurst". Entsprungen aus dem Geist des Underground-Kinos reihten sich seine Filme, mit Vorliebe auch in New York gedreht. Provokationen und Pamphlete, Poeme und Meditationen.

Der Kinematograf hat zwei Augen, ein dokumentarisches und ein fiktives. In diesem Sinne sieht Rosa von Praunheim immer stereoskopisch. Er liebt die skizzenhafte Zeichnung, das große Gemälde ist nicht seine Sache. Sein Œuvre erscheint als buntes "work in progress", an dem unermüdlich gearbeitet wird. Heute intensiver denn je. Als er in Hof "Rosas Welt" vorstellte, erzählte er von dem Glück ungebrochener Produktivität: "In jungen Jahren dachte ich, dass man mit Siebzig nur noch tatterig und unzurechnungsfähig ist. Glücklicherweise stellt sich nun heraus, dass das keineswegs der Fall ist!"

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Quelle:
SZ vom 24.11.2012/vks
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