Süddeutsche Zeitung

Zeitgenössische Kunst:Katastrophal

Die Künstlerin Rosa Barba filmt titanische Umformungen im Verhältnis von Mensch und Natur. Und sie fliegt gerne mit dem Helikopter. In diesem Sommer darf sie die sanierte Neue Nationalgalerie in Berlin eröffnen.

Von Till Briegleb

In Rosa Barbas Studio ist das Analoge noch das Natürliche. Überall stehen Filmprojektoren herum, von kleinen portablen bis zu einer riesigen Kinomaschine mit tischgroßer Aufspulplatte aus der DDR, Marke "Pentacon Dresden 2". Dazu mehrere alte Steenbeck-Schneidetische für 16- und 35-mm-Filme. Skurriles Gerät in mattem industriellen Grau, dessen Zweck sich nur Filmtechnik-Fans erschließt, reiht sich an Archivregale mit verpacktem Zelluloid.

Im Ambiente der denkmalgeschützten Uferhallen in Berlin-Gesundbrunnen, einem großen Kulturstandort in einem Straßenbahndepot aus dem 19. Jahrhundert, könnte Rosa Barbas Sammlung mechanischer Filmkultur wirken wie ein nostalgischer Geräte-Sesam der Kinowelt vor der digitalen Wachablösung. Würde sie damit nicht absolut zeitgenössische Kunst produzieren.

Barba, die sich in den zwanzig Jahren seit ihrem Abschlussfilm an der Kunsthochschule für Medien Köln, "Panzano", zu einer international so gefragten Projektkünstlerin entwickelt hat, dass sie im August zusammen mit den Mobiles von Alexander Calder die sanierte Neue Nationalgalerie von Mies van der Rohe in Berlin mit einer eigenen Retrospektive eröffnen darf, beschäftigt sich trotzdem mit dem Vergangenen. Sie schaut ins All und auf gesunkene Schiffe, die Spuren, die Uran-Abbau oder eine verlassene Rennstrecke in der Wüste hinterlassen haben. Sie besucht das Archiv des amerikanischen Kongresses, in dem die Vergangenheit der Nation in Tonaufnahmen bewahrt wird, oder sie trifft Überlebende des letzten Vesuv-Ausbruchs von 1944. Ihr Fahrplan ist historisch geprägt.

Ihr Markenzeichen ist die Vogelperspektive

Aber nostalgisch ist an ihrer Perspektive trotzdem wenig. Denn Rosa Barba, die 1972 in Agrigent auf Sizilien geboren wurde, beschäftigt sich meist mit Gewalten, natürlichen und menschlichen, die "Einschreibungen" in der Welt hinterlassen, wie sie es nennt. Und um die mächtigsten dieser landschaftlichen Prägungen erfahrbar zu machen, fliegt sie gerne Helikopter. Die Vogelperspektive, oder vielleicht auch die Sicht des Göttlichen hinab auf eine ambivalente Schöpfung, ist das Markenzeichen ihrer Filmarbeiten.

"Mich interessiert das Losgelöste", sagt sie zu dieser extremen Distanzierung, "dass man die Maßstäbe nicht mehr versteht, die Verankerungen in Kontexte nicht herstellen kann. Vielleicht verstehen wir dann Dinge noch einmal anders." Zum Beispiel die Dimension großer Umwälzungen, die Barba in fast abstrakt zeichenhafte Bilder überträgt. Der Schöpfer, dem sie dabei auf die Finger sieht, ist der Ingenieur, der unerschöpfliche Hunger nach Energie sein plastisches Werk. Mit ihrer prädigitalen Arri-ST-Filmkamera nimmt sie wie eine "Wochenschau"-Reporterin aus den Wolken diese titanischen Umformungen der Natur durch Rohstoffgewinnung auf, sei es für Öl oder Uran, oder sie umkreist riesige Flächen mit Solaranlagen in der Wüste.

Der Mensch ist in diesen dystopischen Filmgemälden, deren Strukturen eine bizarre und anziehende Schönheit besitzen, meistens völlig abwesend. "Wenn es die menschliche Referenzen nicht mehr gibt, verlieren wir unser Kodierungssystem", sagt Rosa Barba. "Vielleicht versteht man unser Sein und unsere mögliche Zukunft in dieser distanzierten Betrachtung von landschaftlichen Zeichnungen besser, wenn der Maßstab ,Mensch' nicht sichtbar ist." Dafür ist er meistens hörbar. Barba erforscht bei ihren Projekten in aller Welt zunächst die Geschichte des Ortes, an dem sie arbeitet, recherchiert ausführlich und führt dazu zahlreiche Interviews. Aus dieser Vorarbeit verwendet sie dann fragmentierte Informationen, die als akustische oder visuelle Schnipsel in die Filme gewebt sind. Diese sind allerdings nicht immer sofort verständlich oder im gemessenen Lesetempo eingefügt, denn Barba ist keine Dokumentarfilmerin.

Ihr geht es um "Transformation", um vielfache Perspektiven, und um die Vermeidung von Hierarchien und Manipulation. Und das meint auch die eingeübten Hierarchien von Wissendem und Unwissendem, von Erzähler und Zuhörer. So wie die klassischen Medien die klare Ordnung von Sender und Empfänger zur Manipulation benutzen, indem sie so tun, als gäbe es eine objektive Deutung von Ereignissen, will Rosa Barba nicht arbeiten. Wollte sie noch nie. Seit ihren Studientagen in den Neunzigern, als sie begann darüber nachzudenken, wie sich Tanz und Theater mit Film und Skulptur so verbinden ließen, dass eine neue, nicht frontale Erzählform entsteht, sucht sie nach offeneren Kommunikationssituationen, in denen "Wahrnehmung beweglich bleibt".

Deswegen baut sie ihre Filme in Installationen mit mehreren Leinwänden auf, sodass Besucher sich ihre eigene Perspektive suchen müssen. Sie ersetzt die rationale Ebene des Textes oft durch die subjektive Sprache experimenteller Geräuschmusik, die, meist komponiert von dem "Mouse on Mars"-Musiker Jan St. Werner, eine starke und irritierende Suggestionsebene hinzufügt. Ihre Kamerabewegungen sind nicht statisch und fokussiert, wie im didaktischen Film, sondern unruhig, körperlich bewegt und einer subtilen Choreografie folgend. Und um jeder vorschnellen Festlegung zu entgehen, sucht Rosa Barba sich auch Themen, die von selbst ausdrücklich vielschichtig sind.

Man sieht lauter "Zeichen, wie stark das Leben ist"

Sie sei "fasziniert von komprimiertem Wissen, das übereinander gelagert" ist, sagt sie. Eben wie in einer ökonomisch benutzten Landschaft, wo die Aktivität von Natur und Gesellschaft sich zeichenhaft vermischt und die Entzifferung dessen, was man sieht, kompliziert bleibt. Oder wie in den Lagern, Archiven und Depots, mit denen sie sich ebenfalls intensiv beschäftigt. Skulpturen aus den unterschiedlichsten Epochen und Weltgegenden, die sie in den Kellern der Neuen Nationalgalerie, in der sie demnächst ausstellt, in den Kapitolinischen Museen und in der Tate in London für ihre Serie "The Hidden Conference" gefilmt hat, verbindet sie etwa zu einem Weltparlament der Plastik, in dem niemand vorangeht. Sie filmt diese Sammlungen wie die Schichten einer Informations-Geologie, deren Abtragung eine Mischung aus Zufall und Systematik ist.

Wenn Lebewesen in Rosa Barbas Filmen auftauchen, dann als Kontrast, als Ruhepol. Ein störrischer Imker, der sich inmitten des monströsen Umbaus des Rotterdamer Maasufers in neue Containerflächen nicht verjagen lässt ("Somnium", 2011), eine Gruppe Indios in Peru, die sich spirituell-gelassen mit der Gletscherschmelze in den Anden befasst ("Aggregate States of Matters", 2019), oder ein Schwarm Flamingos, der an dem seit der türkischen Besetzung 1974 verlassenen Flughafen von Nikosia auf Zypern vorbeifliegt ("Inside the Outset", 2021), sind in all den dystopischen Bildern Rosa Barbas "Zeichen, wie stark das Leben ist". Womit sie auch Einspruch gegen den Eindruck erhebt, ihre Filme über das erhaben Zerstörerische seien pessimistisch.

"Maschinen", sagt sie, "behalten immer ein Eigenleben."

Wie erfolgreich Rosa Barba mit ihren "losgelösten" Erzählungen über Gewalten und Katastrophen ist, zeigt ein babylonischer Turm in der Ecke ihres Studios. Das sind gestapelte Modelle ihrer bisherigen Ausstellungen, darunter auch die Konzeptarchitektur für die Schau in der Neue Nationalgalerie: eine horizontale Bühne, die mit dem Grundriss eines unrealisierten Hauses von Mies van der Rohe korrespondiert. Bestückt wird das Gerüst mit Leinwänden und den kinetischen Skulpturen aus Projektoren, Zelluloidschlangen und Licht, die Rosa Barba parallel zu ihren Filmen immer entwickelt hat. Dieses Objekttheater für die Präsentation ihres Werkes ist ein weiterer Versuchsschritt bei ihrer Suche, wie sich ein unhierarchischer Zusammenhang von Film und Skulptur, bewegten und statischen Elementen herstellen lässt.

Und das erklärt dann schließlich auch, warum Rosa Barba einfach nicht mit Video arbeiten will. Pixel sind kein Material, nichts Körperliches, und außerdem viel zu perfekt steuerbar. "Das Analoge lässt sich nie vollkommen mit einer Absicht synchronisieren", sagt Rosa Barba. "Und Maschinen lassen sich nie komplett manipulieren. Sie behalten immer ein Eigenleben." Manchmal führt dieses Eigenleben zur Katastrophe, manchmal zur Kunst, und manchmal zu Kunst über Katastrophen.

Die Ausstellung "Rosa Barba. In a Perpetual Now" wird vom 22. August an in der Neuen Nationalgalerie Berlin gezeigt.

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