Süddeutsche Zeitung

Eröffnung des Deutschen Romantik-Museums:Alle Menschen sollen thronfähig werden

In Frankfurt eröffnet das Deutsche Romantikmuseum. Höchste Zeit, einige lieb gewonnene Vorteile über die Epoche zu verabschieden.

Von Lothar Müller

Eben noch konnte der Blick durch eine Porträtgalerie schweifen, in der Johann Joachim Winckelmann auf den Betrachter herabblickt. Inmitten des Raums, auf einer runden Konsole, liegt eine jener Freundschaftsdosen, die aus dem Roman "A Sentimental Journey" des Engländers Lawrence Sterne in die Wirklichkeit einwanderten und als Lorenzodosen zur Mode der Empfindsamkeit im späten 18. Jahrhundert gehörten. Die Schriftstellerin und Salondame Sophie von la Roche, die auch im Raum ist, mag eine solche Dose besessen haben, oder ihre Tochter Maximiliane, deren schwarze Augen Goethe in die Physiognomie der Lotte im "Werther" einfließen ließ und die den Frankfurter Kaufmann Peter Anton Brentano heiratete. Maximiliane war die Mutter von Clemens und Bettina Brentano, die den romantischen Gutsbesitzer Achim von Arnim heiratete. Diese Porträts, manche in Pastell, passen zu der Lorenzodose. Aber dann, ein paar Schritte weiter, herrscht das pure Grauen. Der Nachtmahr des Schweizer Malers Johann Heinrich Füssli kennt kein freundliches Lächeln, der Pferdekopf hat knopfartige Leuchtscheinwerfer statt Augen, und die hingestreckte bleiche Gestalt sieht aus, als träume sie von Bela Lugosi oder einem anderen Filmvampir.

Als es in Frankfurt am Main vor gut einem Jahrzehnt galt, eine sich abzeichnende Leere mit einer suggestiven Idee zu füllen, besaß Anne Bohnenkamp, die seit 2003 Direktorin des Frankfurter Goethemuseums und seiner Trägerinstitution, des Freien Deutschen Hochstifts, war, Geistesgegenwart und Einbildungskraft genug, um die Errichtung eines Deutschen Romantik-Museums vorzuschlagen. Das gab es bisher nicht, und die Idee mochte etwas vermessen klingen. Aber sie war gedeckt durch die Sammlungsbestände des Freien Deutschen Hochstiftes und durch die Grundkonzeption, mit der sie von Beginn an verbunden war: die räumliche Nähe in einen anschaulichen Zusammenhang zu verwandeln, in dem die Romantik, statt als Widerpart des Erzklassikers Goethe zu erscheinen, im Beziehungsgeflecht mit ihm gemeinsam, im Wiederspiel von wechselseitiger Anziehung und Abstoßung, Epoche macht.

Es geht nicht allein um Literatur, es geht um das Zusammenspiel der Künste

Nun, da das Deutsche Romantik-Museum am Dienstag eine Tore für das Publikum öffnet, wird diese Grundkonzeption gleich in der ersten Etage sichtbar. Sie beherbergt die aus dem Nachbarhaus ausgezogene, aus Magazinbeständen reichhaltiger bestückte "Goethe-Galerie". Einer der Vorgänger Anne Bohnenkamps, Ernst Beutler, hatte sie seit den Zwanzigerjahren mit Energie aufgebaut, alle Bilder darin haben einen Bezug zu Goethe. Ihr chronologischer Fluchtpunkt ist in dieser neuen Präsentation die Italienreise Goethes, die kurz vor der Französischen Revolution stattfindet. In der Nähe der Italienansichten Johann Philipp Hackerts und zum Bildungserlebnis Antike, das in einem Abguss der Juno-Büste Gestalt gewinnt, hängt die Gitarre an der Wand, die Marianne von Willemer sich hat in Neapel anfertigen lassen, auf einer Reise, die sie auf den Spuren Goethes unternahm, ehe sie sich kennenlernten.

Mehr noch als zuvor lädt diese Bildergalerie dazu ein, auf ihre romantischen Echoräume hin gesehen zu werden. Zu den Bildern Füsslis hatte Goethe ein zunehmend zwiespältiges Verhältnis. Aber der Luftwirbel, der Füsslis "Wahnsinnige Kate" ohne Rücksicht auf physikalische Bewegungsgesetze des Windes umfasst, schlägt eine Brücke zwischen der sturmumtosten Ossian-Mythologie in Goethes "Werther" und der romantischen Entfesselung der Elemente.

Die Bildergalerie ist aber nicht nur ein Übergang, eine leuchtende Passage zwischen Goethehaus und Romantikmuseum. Sie ist zugleich eine Einstimmung auf die eigentliche Romantik-Ausstellung in den beiden Obergeschossen. Unmissverständlich führt sie vor Augen, dass es hier nicht allein um Schrift, um Literatur, um Texte gehen wird, sondern um das Zusammenspiel der Künste. Das erst vor wenigen Jahren erworbene Notenmanuskript Robert Schumanns zu seinen "Faustszenen" ist zu sehen - und die Musik zu hören. E.T.A. Hoffmann wird Beethoven in der Rezension seiner fünften Symphonie zum Inbegriff des romantischen Künstlers erklären.

Wer bei der Suche nach der blauen Blume auf die erste Seite des Romanmanuskripts stößt, über die Novalis den ursprünglichen Titel "Heinrich von Afterdingen" gesetzt hat, kann sich auf der Tonspur der Ausstellung die "Mondscheinsonate" vorspielen lassen. Und wer sich über Sophie Mereaus "Sonett auf eines Ungenannten Büste von Tieck" aus dem Jahr 1805 beugt, kann sich beim Blick auf die in einer künstlichen Nische aufgestellte Büste, die von Friedrich Tieck, dem Bruder des Dichters Ludwig Tieck, stammt, vergewissern, dass es sich bei dem Ungenannten um Clemens Brentano handelt, mit dem Sophie Mereau verheiratet war. Von irgendwoher fällt ein Licht auf die Büste, sodass sie einen Schatten wirft, der an die schwarzen Scherenschnitte der Epoche erinnert.

Das Freie Deutsche Hochstift verfügt über Teilnachlässe von Novalis und den Brüdern Schlegel, Ludwig Tieck und Joseph von Eichendorff, dazu über die Nachlässe von Clemens Brentano und seiner Schwester Bettina, ihrer Großmutter Sophie von la Roche und von Karoline von Günderrode, die sich 1806 im Alter von 26 Jahren das Leben nahm. Der Versuchung, diese reichen Bestände in enzyklopädischer Fülle auszubreiten, haben die Kuratoren zum Glück widerstanden. Aber sie setzen auf diese Bestände und haben von ihnen ausgehend ein Deutsches Romantik-Museum entwickelt, das auf die Prätention verzichtet, ein nationales Zentralmuseum zu sein, zu dem alle lokalen, einzelnen Figuren oder Konstellationen der Romantik gewidmeten Museen Dauerleihgaben beizusteuern hätten. Stattdessen werden in 35 Stationen im Rahmen einer lockeren Chronologie die wichtigsten Motive, Orte und Figuren der Romantik jeweils um ein Originaldokument aus den eigenen Beständen herum aufgeblättert.

Petra Eichler und Susanne Kessler haben dafür in Zusammenarbeit mit Anne Bohnenkamp und ihrem Team die Ausstellungsarchitektur und das Design des Parcours entwickelt. Aus den eher lichten Räumen der Bildergalerie führen sie die Besucher über die blaue Himmelstreppe in die Innenwelten der Romantik. Abgedunkelt sind sie nicht zuletzt aus pragmatischen, konservatorischen Gründen. Der Gang zu den Objekten führt durch einen Stelenhain, in dem eine kleine Anthologie zum Begriff der Romantik aufleuchtet, auf Deutsch und Englisch. Vom omnipräsenten, dämonisch-unverschämten Hausgeist des Hochstifts, Clemens Brentano, stammt ein Schlüsselsatz: "Das Romantische ist also ein Perspektiv oder vielmehr die Farbe des Glases und die Bestimmung des Gegenstandes durch die Form des Glases." Dem folgt die Ausstellung nicht nur in ihrer Lichtregie, sondern auch in ihrer Neigung, Wahrnehmungskonstellationen zu inszenieren, etwa im Blick auf den "Farbenkreis", den Goethe gezeichnet hat, und die Farbkugel, die Philipp Otto Runge als Harmonielehre für Maler entwarf.

"Die Welt muss romantisiert werden."

Das wichtigste Element der Ausstellungsarchitektur ist das eigens für sie entwickelte Mobiliar. Es ist aus hochwertigem Holz gearbeitet und setzt an die Stelle von Glasvitrinen die Anmutung eines seltsamen Mischwesens aus Pult und Schrank. Nur wenn sich der abgeschrägte Deckel eines Pultes öffnet, in dem ein empfindliches Original ruht, ist es von sanftem Licht umgeben. Eine unsichtbare Registratur misst, wie lange. Von außen kommendes, seinerseits gebündeltes Licht trägt zum Ausgleich von Lesbarkeit und Schutz der Objekte bei. Das Aufklappen öffnet das auratische Zentrum jeder Station, das Original, die medialen Inszenierungen, von denen es umgeben ist, sind seine Übersetzung, als Transkription, die eine Handschrift lesbar, als Audiostation, die einen Autograph oder ein Druckwerk hörbar macht, als Gemälde, das Personen zeigt, von denen die Rede ist, wie bei "Glauben und Liebe" von Novalis das preußische Herrscherpaar Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise.

Zugleich zeigt eine Schriftinstallation, dass zum Programm "Die Welt muss romantisiert werden" nicht nur dieser Herrscherkult gehört, sondern auch die Parole "Alle Menschen sollen thronfähig werden". Wie das Perspektiv Brentanos ist die Formel von der Romantisierung der Welt ein Leitmotiv der Ausstellung. Es führt bei Johann Wilhelm Ritter zur romantischen Wissenschaft als Verbindungsglied zwischen Salon und Experimentalphysik. Eine Station zeigt die aus dem Deutschen Museum in München gekommenen Reste der von Ritter gebauten Batterie. Die Experimente zur "tierischen Elektrizität", mit denen er den Galvanismus als allgemeines Lebensprinzip zu erweisen suchte, demonstriert eine interaktive Installation.

Das Mobiliar zu einer Art Dingsymbol und Leitmotiv der Ausstellungsarchitektur zu machen, war eine gute Idee. Denn die Romantik unterhält so exzellente wie abgründige Beziehungen zum Interieur. Dem kommen die an Geheimfächer erinnernden Schubladen entgegen, die an jeder Station das Leitexponat mit "Fußnoten" versieht, die nicht unbedingt aus Schrift bestehen müssen. Sie passen zur Intimität der romantischen Briefkultur, aber auch zu ihrer Aufladung mit reflexiven, poetologischen Energien wie in der Korrespondenz zwischen Clemens Brentano und Caroline von Günderrode. Unpolitisch bleibt die Romantik nicht. Fluchtpunkt des ersten Ausstellungsteils ist das Gegenüber der "Kinder und Hausmärchen" der Brüder Grimm und der Politisierung des Volksbegriffs in der Zeit der antinapoleonischen Freiheitskriege. Eher dezent, aber wahrnehmbar ist hier auch der Antisemitismus der "Deutschen Tischgesellschaft" in Berlin ab 1811 dokumentiert, zu dem Clemens Brentano und Achim von Arnim beitrugen.

Das zweite Etage der Ausstellung zeigt die Ausbreitung der Romantik ins Europäische, etwa durch August Wilhelm Schlegel und Madame de Stael nach Frankreich, und zugleich den romantischen Literaturimport durch das Übersetzen, als dessen Theoretiker Friedrich Schleiermacher auftritt. Als kritischer Begleiter taucht auf kleinen Klapptafeln Heinrich Heine mit seinen Kommentaren zur Romantischen Schule auf. Postkarten mit Porträts und Kurzbiografien können mitgenommen werden, erkennbar zielt der Parcours darauf ab, nicht als Pflichtpensum, sondern als Angebot und Einladung zu erscheinen, die nach eigenem Zeit- und Interessenbudget wahrgenommen werden können.

Man kann in diesem Romantik-Universum, das bis zur "Winterreise" Wilhelm Müllers und Schuberts führt, zu den späten Novellen Ludwig Tiecks und bis in die Paulskirche, Stunden, aber auch Tage verbringen. Die Romantik-Galerie, die im Obergeschoss mit Gemälden von Caspar David Friedrich, Carl Gustav Carus, Johan Christian Dahl, auf die "Goethe-Galerie" antwortet, lädt zum längeren Verweilen ein. Und Füsslis "Nachtmahr" taucht als Erinnerung im Blick auf Mary Shelleys "Frankenstein" und die Vampire um 1830 auf. Dass die "Zauberworte" der Romantik nicht vom Himmel fallen, sondern im Prozess der Verfertigung von Texten entstehen, zeigt sie an Gedichtentwürfen Eichendorffs. Auch vergisst sie bei der Präsentation der Erstfassung des "Taugenichts" nicht zu erwähnen, dass Eichendorff Beamter war.

Ihre wichtigste mediale Installation ist ein großer Tisch, der eine Landkarte zeigt und in dem eine große Datenmenge steckt. Hier lassen sich die Orte und Figuren der Romantik mit ihrer Chronologie verknüpfen: Wer war wann wie lange wo? In Jena, Heidelberg, Berlin, Paris, Wien. Und wenn einer wie Adelbert von Chamisso die Welt umsegelt, wird eine Weltkarte eingeblendet. Die erste Wechselausstellung, eine reine Medieninstallation, ist im Untergeschoss der Europäischen Romantik gewidmet. Sie kann an die Stationen anknüpfen, in denen Byron auf Goethes "Faust" und Goethe in "Faust II" auf Byron antwortet und Delacroix als Faust-Illustrator auftaucht. Diese Dauerausstellung nähert das "Deutsche Romantik-Museum" der internationalen Bedeutung des Begriffs "Romanticism" an, der immer schon Goethe, Hölderlin, Kleist und die Romantiker in sich einschloss. Wer sie nicht besucht, dem entgeht viel.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5408260
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/crab
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.