Roman: Zurückkehren:Das ungemütliche Traumhaus

Was hilft ein Bügeleisen, wenn es im Dorf keinen Strom gibt? Tahar Ben Jelloun erzählt die Geschichte eines Mannes, der lieber nicht in Rente gegangen wäre.

Joseph Hanimann

Schweigende Mehr- oder Minderheiten zum Sprechen zu bringen, das setzt ein feines Gespür voraus. Tahar Ben Jelloun hat in den letzten zehn Jahren mit viel Geschick für gerade gängige Themen dieses Gespür zwischen Literatur und Reportage besonders entwickelt. "Das Schweigen des Lichts" ließ politische Häftlinge eines Geheimgefängnisses im Süden Marokkos zu Wort kommen, "Verlassen" zeigte das nervöse Harren der Migranten an der Küste Nordafrikas. "Zurückkehren" gehört auch in diese Kategorie. Mohammed, der in den frühen sechziger Jahren aus seinem marokkanischen Dorf nach Frankreich kam, dort vierzig Jahre lang bei Renault arbeitete und nun mit Beklemmung in Rente geht, ist einer von jenen, die man im Debattenlärm über Minarette, Kopftuch und Karikaturenstreit nicht hört.

Er ist gläubiger Muslim, wie man Sohn, Enkel und Urenkel seiner Vorfahren ist. Mit einem in ein Stück Leichentuch seines Vaters eingewickelten Koran, den er gar nicht lesen konnte, ist er in jungen Jahren nach Frankreich gekommen und hat dort mit seiner Frau und seinen Kindern ein auf Anstand und Diskretion bedachtes Leben geführt, abseits aller politischen und religiösen Aufregung. Diese "Karikaturensache" unlängst zum Beispiel kam ihm bedeutungslos vor, denn der Prophet war für ihn ein Geist, kein Antlitz, das man zeichnen könnte. Doch "wie immer behielt er seine Gedanken für sich. Man konnte nichts Genaues von seinem Gesicht ablesen, nur eine tiefe Trauer, eine Art unheilvolle Resignation".

Das Ende von allem - ein neuer Anfang?

Diese Traurigkeit begleitet die Figur durch den ganzen Roman. Zwielichtig schillert sie in der Erzählung zwischen erster und dritter Person, am Übergang zu einem neuen Lebensabschnitt. Das Wort "Rente" kreist zunächst aufdringlich wie eine dicke Fliege um den pflichtbewussten Mann. Für einen, der sein Dasein seit der Kindheit allein aus dem Arbeiten definierte, bedeutet dies das Ende von allem, ein Schweigen, ein Nichts - bis Mohammed auf die Idee kommt, aus diesem Nichts ein Alles zu machen: die Erfüllung eines Traums, der die ihm entfremdeten, weil in Frankreich aufgewachsenen Kinder und seine ganze bisher nie eingelöste Glückserwartung in einem Haus zusammenführen sollte. Ein Haus, das er auf seine alten Tage in seinem marokkanischen Heimatdorf bauen will. Dass von diesem Traum nur die materielle Seite, der Hausbau, aufgehen wird, dank der ordnungsgemäßen Rentenzahlung durch den französischen Staat, ist der bittere Ausgang der Geschichte.

Denn Mohammeds Kinder, die in die europäische Welt der individuellen Selbstverwirklichung hineingewachsen sind und von traditioneller Großfamilie nichts halten, werden nicht kommen. Frankreich hat diesem Dorfbewohner aus Marokko eine Existenz gegeben und ihm gleichzeitig seine Kinder geraubt. Der vom Lebensabend her erzählte Kulturschock könnte nun einfach rückwärts abgespult werden. Tahar Ben Jelloun wählte stattdessen ein Verfahren, das er besonders gut beherrscht.

Er fügt seine Geschichte in ein Muster zahlreicher kleiner Binnenerzählungen, in denen Beobachtetes, Recherchiertes, Angelesenes, Mitgehörtes im Roman mitverarbeitet wird. Immerfort geraten fremde Episoden ins Romangeschehen - jener Onkel, der mit Elektroherd und Bügeleisen in sein Herkunftsdorf zurückkehrte und vergaß, dass es dort gar keine Strom gab, jener Abdel Malek, der nach zehn Jahren als Mike Adley aus Amerika zurückkehrte, jener angeblich Wohltätige, der für ein Wasserwerk für die Armen in Marrakesch sammelte und mit dem Geld dann verschwand. "Wir haben nie mehr von ihm gehört" lautet der wiederkehrende Schlussrefrain dieser Episoden.

Unförmig verworren wie Träume

Dadurch entsteht ein Zeitmuster des Stillstands und Wartens, an dem der Fortgang des Romans sich ständig reibt. Die Zeitperspektive des Erzählens wirkt so schillernd wie die Umrisse der Romanfigur zwischen "ich" und "er": ein diffuses Jetzt voll Erinnerung und Erwartung von Anfang bis Ende.

Unmerklich lösen die Tage und Jahre sich im gedehnten Zeitempfinden des Rentners auf, der wartend vor seinem unförmig verworrenen Haus - verworren wie seine Träume - sich selbst überlebt. Der Autor Tahar Ben Jelloun beherrscht vorzüglich alle Register von der scharfen Situationsschilderung in der Pariser Vorstadt bis zur gesteigerten Phantasie von Mohammeds Traum im Traum.

Doch mangelt es diesem Roman, wie auch schon früheren, an kompositorischer Stringenz. Es ist, als wäre ein über Jahre entstandenes Material flüchtig um ein Zentralthema zusammengefügt worden, ohne innere Spannung und mit teilweise widersprüchlichen Zeitangaben. Die Profile von Mohammeds Kindern und Arbeitskollegen sind zu schematisch, als dass sich aus ihnen eine Nebenhandlung entwickeln ließe, die die Haupthandlung mitträgt. Diese sprudelt im engen Bett der Erzählung von einer Episode zur nächsten vor sich hin. Für seine Materialfülle wirkt der Roman zu kurz, für seinen Handlungsablauf eher zu lang.

Der Lesegenuss kommt ganz von der Vielfalt der kleinen Ereignisse, mehr als von der formalen Durcharbeitung des Themas. Christiane Kayser hat diese Wirbelbewegung sorgfältig und elegant übersetzt.

TAHAR BEN JELLOUN: Zurückkehren. Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Christiane Kayser. Berlin Verlag, Berlin 2010. 142 Seiten, 19,90 Euro.

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