Während manche Journalisten Google Earth, Kaffeesatzleserei und Divination bemühen, um Einblicke in das Nordkorea Kim Jong Uns zu gewinnen, wurde in den USA ein Roman mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet, der nicht nur die Folterkeller und Vernichtungslager des Landes beleuchtet, sondern auch den pompösen Kitsch, mit dem sich der Vater des Nachwuchsdiktators, der "Geliebte Führer" Kim Jong Il, von 1948 bis 2011 umgeben hatte.
Freilich hatte der 1967 in South Dakota geborene Adam Johnson gute Startbedingungen für sein 2012 unter dem Titel "The Orphan Master's Son" erschienenes Werk. Als Johnson 2004 mit der Arbeit begann, konnte er auf Insider-Berichte wie etwa auf Kang Chol-Hwans "The Aquariums of Pyongyang" zurückgreifen und hatte als Mitglied der Reisedelegation einer NGO Gelegenheit erhalten, die Zustände im Land mit eigenen Augen zu erkunden.
Vor allem aber kam Johnson eine poetologische Eingebung zugute, die er eine Gestalt seines Romans äußern lässt: "Wo wir herkommen, sind Geschichten Realität. Wenn der Staat einen Bauern zum Musikvirtuosen erklärt, dann tun alle gut daran, ihn von da an Maestro zu nennen." Johnson hat sich von der politischen Propaganda die poetische Lizenz erteilen lassen, es ihr mit gleichen Mitteln und auf gleicher Ebene heimzuzahlen.
Sein Held ist zunächst ein unbeschriebenes Blatt. Pak Jun Do wächst im Waisenhaus "Frohe Zukunft" auf, und obwohl er wie alle andere Insassen den Namen eines Märtyrers trägt, hält er sich für den "Orphan Master's Son", den Sohn des sadistischen Aufsehers. Die schöne Frau auf dem Foto in dessen Zimmer kann nur die nach Pjöngjang verschleppte Mutter sein. So tröstet er sich damit, Eltern zu haben, und interpretiert alle Misshandlungen als getarnte Liebesbeweise eines verzweifelten Vaters. Schon als Kind absolviert er einen Kurs in der Dialektik des Selbstbetrugs.
Und Johnson hat noch viel mit ihm vor. Nach ein paar Seiten Kindheit und einem Absatz als Tunnelkämpfer wird Jun Do aufs Meer geschickt. Erst als Mitglied eines Marine-Stoßtrupps, der arglose Japaner von der Küste "pflückt", dann, nach einem Englischkurs auf ein Fischerboot, in dessen verborgener Funkbude er die Ränke der Amerikaner belauscht und auf politisch bedenkliche Gedanken kommt.
Ein Toter auf Urlaub
Als sich ein Besatzungsmitglied nach einer demütigenden Begegnung mit einem US-Kriegsschiff absetzt, muss eine Geschichte her, die als propagandistisch korrekte Wahrheit durchgehen könnte. Jun Do fällt die Hauptrolle zu. Zur Beglaubigung eines heroischen Kampfes mit den amerikanischen Provokateuren muss er sich von einem Hai beißen lassen, die kaum verheilte Wunde macht ihn reif für seine nächste Mission: die Zähigkeit des koreanischen Volkes in einer Delegation zu verkörpern, die auf die Ranch eines amerikanischen Senators fliegt.
Während der Roman dort einen Gipfel des Burlesken erreicht, geschehen am Rande bemerkenswerte Dinge. Jun Do wird von der CIA-Mitarbeiterin Wanda für den Minister für Gefängnisbergwerke gehalten, für Kommandant Ga, der mit der Schauspielerin Sun Moon, einer ehemaligen Favoritin des "Geliebten Führers" verheiratet ist. Und die mexikanische Haushalthilfe versteht seinen Namen als "John Doe". Das meint in den USA unidentifizierte männliche Leichen, könnte also andeuten, dass Jun Do ein Toter auf Urlaub sei. Wanda aber sagt: "Ein John Doe hat sehr wohl eine Identität. Sie muss nur noch festgestellt werden."
Das ist Thema des zweiten Teils. Nach der Rückkehr landet Jun Do in einem Arbeitslager, und der Erzähler verabschiedet ihn und sich selbst mit den Worten: "an dieser Stelle verliert sich der weitere Weg des Bürgers Pak Jun Do".