Roman über Chile unter Salvador Allende:Sancho Pansa und der Präsident

MAN WITH CHILEAN FLAG AND SALVADOR ALLENDES IMAGE

Ex-Präsident Salvador Allende ist auch noch 40 Jahre nach seinem Tod in Chile umstritten.

(Foto: REUTERS)

Salvador Allende in der Mikroperspektive, durch die Augen seines Kochs Rufino: So erzählt Schriftsteller Roberto Ampuero von den Monaten vor Pinochets Putsch - und kommt seinem historischen Helden in "Der letzte Tango des Salvador Allende" bedrohlich nahe.

Von Ralph Hammerthaler

Als Salvador Allende in seinem letzten Fernseh-Interview gefragt wird, wie er das Verhältnis Chiles zu den USA einschätze, macht er kurz ein gequältes Gesicht, als liege darin seine ganze Antwort. Konkret beklagt er dann den Einfluss der CIA, allein darauf gerichtet, ihn und seine Politik zu schwächen. "Droht in Chile ein Bürgerkrieg?", fragt der Interviewer. Und Allende sagt: "Ich bin der Einzige, der diesen Bürgerkrieg noch verhindern kann." Am 11. September 1973 putscht das Militär unter General Pinochet. Der Palast des Präsidenten, La Moneda, auch "Haus der Leiden" genannt, wo sich Allende und seine Getreuen verschanzt haben, wird beschossen und aus der Luft bombardiert; angesichts der Übermacht nimmt sich der Präsident das Leben.

In seinem neuen Roman "Der letzte Tango des Salvador Allende" erzählt Roberto Ampuero von den letzten Monaten vor dem Putsch. Und obwohl ihn der politische Allende nicht so sehr zu interessieren scheint wie der private, zeigt er eindrucksvoll, wie zerrüttet das Chile jener Tage gewesen ist. Das Land ist tief gespalten, lahmgelegt durch Streiks. Es fehlt am Nötigsten, selbst an Grundnahrungsmitteln. Kaum Lastwagen auf den Straßen, keine Busse. Die Rechten bekämpfen die Linken und umgekehrt. In den Fenstern und auf den Balkonen stehen Frauen und schlagen auf Kochtöpfe ein. Immer wieder wird die Hauptstadt Santiago durch Explosionen erschüttert.

Der extremen Linken ist der linke Präsident zu lasch, denn er glaubt an einen demokratischen Weg zum Sozialismus; die extreme Linke sucht die Lösung mit Waffengewalt. So gerät Allende mehr und mehr unter Druck. Die USA wollen ihn weghaben, und die UdSSR gewährt, um nicht ein zweites Kuba durchfüttern zu müssen, keinen Kredit. Es wird also eng, verdammt eng.

Tango mit dem Präsidenten

Bei Ampuero wird Allende in der Mikroperspektive beobachtet, durch die Augen seines Kochs Rufino. Rufino notiert, sich der historischen Momente bewusst, alles, was er erlebt, in ein Heft. Er besorgt in ausgewählten Geschäften und Botschaften, was er braucht, um den Präsidenten zu verköstigen. Er hört mit ihm Tango-Platten und bringt ihm das Tanzen bei. Er tadelt Allendes ewige Romanzen, noch dazu seine Blauäugigkeit, wenn er für ein Volk Politik machen will, dessen Lebensumstände er nicht im Entferntesten kennt.

Da wird der Roman teilweise so zutraulich, wie man ihn gar nicht haben will. Eines Abends fahren beide, der Präsident leicht verkleidet, nach Valparaíso, um ein Tango-Lokal aufzusuchen. Unterwegs werden sie von einer Militärpatrouille gestoppt, aber nur Rufino hat sich auszuweisen. Man muss es hier mit Hitchcock halten: "Das Wahrscheinliche ist das Einfachste von der Welt." Man muss es mit dem Unwahrscheinlichen halten.

Bauernschlauer Gefährte

In einem Gespräch mit Noticias 22, einem spanischsprachigen Sender in Los Angeles, verrät Ampuero, dass Rufino für ihn eine Art Sancho Pansa sei, der Gefährte von Don Quijote, ein dicker Bauer und darum auch bauernschlau, versehen mit praktischen Kenntnissen und gesundem Menschenverstand.

Da ist was dran. Und doch wird man seine Skrupel nie ganz los, wenn man eine historische Figur wie Allende in gleichsam Pansas Worten dargestellt bekommt. Bereits in "Der Fall Neruda", 2010 auf Deutsch erschienen, hat Roberto Ampuero diesen menschelnden Kunstgriff auf den chilenischen Literaturnobelpreisträger angewendet. Vielleicht maßt sich der allwissende Erzähler ein bisschen zu viel Allwissenheit an.

Augenzeuge beim Sturz Allendes

Bekannt geworden ist Ampuero durch eine Reihe von Krimis. Sie spielen zumeist an Schauplätzen, die ihm aus eigener Erfahrung vertraut sind. Den Sturz Allendes hat er als Augenzeuge erlebt; damals gehörte er der kommunistischen Jugend an. Danach ist er ins Exil nach Kuba gegangen, später ins sozialistische Bruderland DDR. Heute vertritt er Chile als Botschafter in Mexiko.

Gepackt wird man spätestens von der Figur des ehemaligen CIA-Agenten Kurtz. Kurtz wie der abtrünnige Colonel Kurtz in "Apocalypse Now". Dabei ist der Agent gar nicht abtrünnig; er dient der CIA so lange, bis er in Rente gehen darf. Dann ringt ihm seine Tochter Viktoria, die im Sterben liegt, ein Versprechen ab. Er möge ihre Asche einem Chilenen aushändigen, der offenbar die Liebe ihres Lebens gewesen ist. So kehrt Kurtz mit der Urne nach Chile zurück, wo er in den frühen Siebzigerjahren gegen Allendes Politik vorgegangen ist. Was genau er verbrochen hat, bleibt im Dunkeln. Aber es heißt, er sei buchstäblich über Leichen gegangen.

Nach und nach findet er heraus, welches Leben seine Tochter in Chile geführt hat. "Ich sah Viktorias Gesicht vor mir, als sie im Sterben lag, und dann eine Abfolge von Bildern, die so verstörend waren, dass ich nicht begriff, worum es ging." Zweifel befallen Kurtz über seine damalige Tätigkeit für die CIA, sodass er, wenn auch erst im Nachhinein, doch noch anfängt, abtrünnig zu werden. Eine Chilenin, in jungen Jahren im Exil, legt ihm Tarot-Karten; er verliebt sich in sie, ohne dass er es über sich brächte, seine Vergangenheit zu offenbaren. "Uns Agenten steht ein Lebensabend voller Erinnerungen bevor, die wir mit niemandem teilen können."

Zweimal "Na ja"

Auf der Suche nach dem früheren Geliebten seiner Tochter, von dem er nur den Vornamen kennt, wird Kurtz gesagt, dass er Viktoria ähnele. Ein Patzer im Buch spricht erst von "blauen Augen", später von "grünen". Na ja. Auch Songs und vor allem Tangos werden immer wieder zitiert. Doch "Sailing" ist nicht von Smokie, sondern, wie eigentlich jeder weiß, von Rod Stewart. Wieder na ja. Aber das ist nicht entscheidend für das leicht zu lesende, fast süffige Buch, das ein weiteres Mal zeigt, warum die lateinamerikanische Literatur in aller Welt so populär geworden ist - mit ihrer Mischung aus Alltag und Politik, mit Figuren, die sich unter brenzligen Umständen zu behaupten haben.

Durch die Tochter ist Kurtz Rufinos Notizheft in die Hände gefallen, das er nun angestrengt übersetzt. So wechselt der Roman zwischen Kurtzs Recherchen und Rufinos Notizen aus dem Alltag Allendes. Hinzu kommen ein paar kurze Kapitel über einen Piloten, der begreift, dass er sich schuldig macht, indem er den Präsidentenpalast bombardiert.

Am Ende enthüllt sich die Identität von Viktorias Geliebten. Kurtz kommt dahinter, dass es sich nur um Rufinos Sohn handeln kann. Aber der ist nicht mehr am Leben. In den ersten Tagen der Militärdiktatur haben sie ihn auf einem Todesflug ins Meer geworfen. So bleibt Kurtz nichts anderes übrig, als die Asche seiner Tochter im Pazifik zu verstreuen.

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