Ähnliches gilt für die teils ernst, teils ironisch gemeinte Kulturkritik, als deren Sprachrohr im Roman Kolther dient. Zur Abgründigkeit des Agenten trägt bei, dass er mit dem Mogul, dessen Industrieimperium er stürzen soll, insgeheim sympathisiert. Wie Scheinberg ist er zutiefst misogyn. In der Liebe kann er nicht mehr als die "Tarnkappe" eines "heimtückischen Triebautomatismus" erkennen: "Was wir lieben", sagt er Lora, "ist der Doppelgänger unserer eigenen Seele, die wir in dem anderen Körper vermuten.
Eine botmäßige, schattenhafte Existenz
Warum sollten wir ihn nicht auch einem Körper aus Silikon einpflanzen können? Und war die Maschine nicht schon immer der mystische Doppelgänger des Menschen, eine botmäßige, schattenhafte Existenz seiner selbst?" Das ist mitunter scharfsinnig ausgedrückt, führt aber zu einem abrupten Hin- und Herschwenken zwischen actionorientierten und gelehrt-essayistischen Passagen.
Ein scharfes Hinsehen verlangen die ideologischen Implikationen. Mit "Endstufe", seinem vor sechs Jahren erschienenen Roman über die Produktion von Pornofilmen während der NS-Zeit, gelang es Thor Kunkel, zu einem Skandalautor zu werden. Die trashig-tarantinoeske Darstellung des "Dritten Reiches" galt vielen Kritikern als ebenso anstößig wie das grelle, lustvolle Ausmalen der Untaten alliierter Besatzer im Jahr 1945. In "Schaumschwester" geht es zwar harmloser zu, im Untergrund grollt es dennoch weiter.
Als "Keimkraftzersetzung" hätten die Nazis den gegenwärtigen demographischen Prozess bezeichnet, räsoniert ein Mitglied der "Krypto- Loge"; der Begriff sei zwar "krude", treffe aber "den Kern der Sache". Und mit Blick auf MTV erklärt Kolther, dass nun "Körpernormierungsphantasien" verwirklicht würden, die "auf dem Reißbrett der Nazis entstanden" seien. Sollte es etwa nicht so schlimm gewesen sein damals, zu Zeiten des Holocausts? Alles war wohl nur Vorschein dessen, was die - wie Kolther bewusst höhnisch formuliert - "freie Welt" uns heute zumutet. Mit dem Hinweis auf die Figurenperspektive lassen sich solche Bemerkungen nicht absolvieren.
Auf der Homepage des Autors finden sich Ausfälle, die in dieselbe Richtung zielen: Da wird eine "neutrale Auseinandersetzung" mit dem "Dritten Reich" gefordert und gegen das "philosemitische Establishment" sowie den "Kollektivschuld-Zirkus der Deutschen" polemisiert. Im bunten Mantel des Pop-Literaten, in den Thor Kunkel sich hüllt, scheint ein Provokateur zu stecken, der vielleicht gerne der Urenkel von Oswalt Spengler wäre.
THOR KUNKEL: Schaumschwester. Roman. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2010. 280 Seiten, 14,80 Euro.