Als Puppe hergerichtet, ist Lora von Kolther zur Hauptversammlung der "Synthetischen Wohlfahrts AG" geschoben worden. Als ihr Begleiter sie verlassen muss, um bei Scheinberg, dem Konzernchef, einzubrechen, gerät sie jedoch in die Bredouille. Die Männer, die neben ihr sitzen, reagieren immer aufgegeilter. Wie lebensecht sie in ihrem Taft-Mini und ihrer Leder- Korsage ausschaut! Offenbar handelt es sich bei ihr um das neue Modell "C-Tausend", das bislang noch niemand zu Gesicht bekommen hat! Als einer der "Statuophilen" zwischen ihre Beine kriecht, wird es Lora zu viel. Sie springt wütend auf und gibt sich zu erkennen. "Eine echte Frau? Um Gottes willen ...", ertönt als allgemeiner Entsetzensruf, und blitzschnell, "als hätte man einer Festgesellschaft von Vampiren eine Knoblauchsuppe serviert", leert sich der volle Saal.
Der Traum des Mannes von der künstlichen Frau reicht weit zurück, schon in Pygmalion ging es darum. In "Die Frauen von Stepford" gerät Joanna Eberhart (Nicole Kidman) in eine Nachbarschaft voller nicht ganz echter Damen (Glenn Close, l., und Bette Middler, r.)
(Foto: AP)Im Auftrag der "Krypto-Loge", eines geheimdienstlichen Verbundes von Verbrecherjägern und Wissenschaftlern, sind die Computerspezialisten Kolther und Lora nach Nizza gereist. Ihr Auftrag: Sie sollen Scheinbergs Kundenkartei knacken, damit die boomende Puppenproduktion verboten werden kann. Denn seit eine stetig wachsende Anzahl von Männern sich nicht mehr für widerspenstige Frauen aus Fleisch und Blut, sondern für makellose, verfügbare "Gynoiden" interessiert, sinkt die Geburtenrate so drastisch, dass die Regierungen des Westens sich zum Handeln gezwungen sehen - sonst wird die Menschheit in absehbarer Zeit ausgestorben sein.
Wie es sich für einen Pulp-Thriller mit Science-fiction-Einschlag gehört, geht es in "Schaumschwester" um nicht weniger als die Rettung der Welt, und so weit er die Regeln des Genres befolgt, funktioniert der Roman auch recht gut. Lora ist klug und kess, Kolther zynisch und desillusioniert, ein Bruder im Geiste der abgebrüht-abgetakelten Helden, wie sie in den hard boiled novels von Hammett und Chandler auftreten.
Es gibt Vergleiche, die bis an die Grenze des rhetorisch Vertretbaren gehen und gerade daher spaßig zu lesen sind; von Kolthers gescheiterter Ehe heißt es: "Der Bruch zwischen ihm und seiner Frau war wie bei Schleiflackmöbeln, die glatt aneinandergefügt werden, lange Zeit nicht zu bemerken gewesen." Und es gibt Verfolgungsjagden; die schönste von ihnen könnte aus einem Dario-Argento-Film der frühen Siebziger stammen: In einem Hotelflur wird Lora von einer hoch entwickelten Puppe angegriffen, die aus den Naben ihrer Rollstuhlräder rotierende Klingen ausfahren kann.
Weniger gut ist allerdings, dass Thor Kunkel vieles von dem, was er an Einflüssen in seinem Roman verarbeitet hat, unbedingt erwähnen will. Die künstliche Frau als ideale Partnerin, die Erschaffung von Leben unter Ausschaltung des Geschlechtsaktes - diese Männerwünsche reichen weit zurück: von Hans Bellmer und Oskar Kokoschka, der sich eine Puppe nach dem Vorbild der von ihm obsessiv verehrten Alma Mahler-Werfel bastelte, über die Automatenfaszination des 18. und 19. Jahrhunderts bis zum antiken Pygmalion und seiner Statue. Dass Kunkel diesen Phantasmen unter den Vorzeichen unserer Zeit etwas Neues abzugewinnen versucht, ist reizvoll. Dass er sie aber alle aufzählt und dazu in recht plumper, schlecht in die Handlung integrierter Weise - das hat etwas unangenehm Bildungshuberisches an sich.