Roman "Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe":Am Ende kommt es doch auf die Frauen an

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In seinem Debütoman "Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe" lässt Christian Fascella seinen jugendlichen Helden reden, als steckte ständig eine geladene Knarre in seiner Hosentasche. Leider bleibt neben der Mackerromantik kaum Raum für Originalität - und auch die Schlusswendung ist absehbar.

Maike Albath

Es ist so ähnlich wie bei einer dieser Tröten, die bei Fußballspielen oder Karnevalsumzügen reißenden Absatz finden: Am Anfang ist das gellende Geräusch aufrüttelnd und ganz erfrischend, aber nach einer Weile geht es einem unsäglich auf die Nerven. Ewig auf demselben Ton herumzunudeln, ist allerdings das Prinzip dieses Romans und zugleich die Pathologie des Helden. Der namenlose 17-jährige Ich-Erzähler gefällt sich dreihundert Seiten lang in Macho-Posen, prahlt herum, spielt sich auf, übertreibt und flunkert. Seine Vorbilder stammen allesamt aus Filmen, die von "Pulp Fiction", "Die Waffen der Frauen" über "Terminator", "Haie der Großstadt" und "2001: Odyssee im Weltraum" bis zu "Rollerball" und "Chinatown" reichen.

Hauptsache cool: Von der Mackerromantik italienischer Jugendlicher (hier in Mailand) erzählt Frascella in einem Ton, der authentisch ist, aber auf Dauer nervt. (Foto: Archivfoto: Reuters)

"Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe" lautet der Titel des Debüts von Christian Frascella, der 1973 in Turin geboren wurde und mehr als eine Eigenschaft mit seinem Helden teilt. Frascella siedelt die Geschichte zwischen 1989 und 1990 an. Während in Berlin die Mauer fällt, überstürzen sich auch am Schauplatz des Romans die Ereignisse. In einem gesichtslosen Vorort von Turin, der aus einer Kirche, einer Bar, einer Piazza plus Drogendealer und bescheidenen Wohnhäusern besteht, fliegt der Ich-Erzähler wegen einer Prügelei aus der Schule. Seine Mutter ist längst mit einem Tankwart über alle Berge, sein Vater, den er "Chef" nennt, liegt biertrinkend in der Hängematte. Der Chef ist immer noch erziehungsberechtigt und befiehlt dem beschäftigungslosen Sohn, wenigstens im Großmarkt zu jobben. Der Sohn gehorcht, hält aber an seinem Rollenmodell fest: Wenn er mit seiner Umgebung in Kontakt tritt, dann in Form von widerborstigen Sprüchen und Beleidigungen, die er in Harrison-Ford-Manier oder mit Mickey-Rourke-Gehabe vorbringt - das ist der Tröten-Ton dieses Romans.

Neue Lebensgeister durch Virginia

Grausam quält der Held seine ältere Schwester Francesca, die aus Verzweiflung über die abwesende Mutter in die Kirche rennt und dort immerhin einen übergewichtigen Verehrer aufgabelt. Die Lethargie des Vaters wird ebenfalls durch die Liebe vertrieben: Die Managerin Virginia haucht dem Mittvierziger neue Lebensgeister ein. Von dem Sohn ihres Liebhabers bekommt sie dafür ätzende Bemerkungen serviert. Aber, wie könnte es anders sein, auch dieser erfährt die domestizierende Kraft des weiblichen Geschlechts. Chiara, Feinkostspezialistin im Supermarkt, 19-jährig und damit Lichtjahre entfernt von dem hormontrunkenen Erzähler, gefällt ihm, obwohl er zunächst nichts anderes tut, als sie zu beschimpfen.

Bevor Chiara unter der rauen Provinzcowboy-Schale das empfindsame Jungengemüt hervorzaubert, muss der unverwüstliche Aufschneider mehrere Bewährungsproben bestehen: eine Schlägerei mit dem Dorf-Champion, ein Darts-Turnier in der Bar und die Probezeit in einer Blechfabrik. Doch dann kommt sein Vater mit einer Leberblutung ins Krankenhaus, und der Erzähler reift zum Mann.

Frascella legt eine Schrumpfform des Bildungsromans vor, aufgemöbelt durch Zeitkolorit und satirische Elemente. Damit schließt er an eine Tendenz an, die vor knapp zwanzig Jahren unter männlichen italienischen Debütanten groß in Mode war. Etliche junge Männer schrieben damals über junge Männer, die mit den Zukunftsentwürfen ihrer Eltern kurzen Prozess machten und auf eigene Art erwachsen werden wollten. Am Anfang standen 1994 Niccolò Ammaniti mit "Branchie", Enrico Brizzi mit "Ein verdammt starker Abgang" (auf Dt. 1997) und Giuseppe Culicchia mit "Knapp daneben" (auf Dt. 1998). Salingers "Fänger im Roggen" im Hinterkopf lieferten sie schnodderig erzählte Geschichten mit schnellen Schnitten, Ping-pong-Dialogen und schrägen Figuren.

Markante Schilderungen des Fabrikalltags

Genau wie die bei Einaudi erschienene Anthologie "Gioventù cannibale" (1996), in der an Pulp und Splattermovies orientierte Nachwuchsautoren aus der Gruppe der sogenannten "Kannibalen" vertreten waren, spiegelten auch die ästhetisch anschlussfähigeren Entwicklungsromane die Bedürfnisse einer neuen Lesergeneration und waren äußerst erfolgreich. Brizzis Debüt verkaufte sich eine Million Mal und wurde in 24 Sprachen übersetzt, "Knapp daneben" fand weit über 100.000 Leser, beide Bücher wurden verfilmt. Lakonischer im Tonfall war dann Paolo Noris Roman "Weg ist sie" von 1999 (auf Dt. 2000). Aldo Nove probierte mit seiner zarten Jugendgeschichte "Amore mio infinito" (2003) eine Art Neo-Neo-Realismus aus.

In allen diesen Büchern geht es um die emanzipatorische Kraft der ersten Liebe oder den Reifeschub durch die erste Enttäuschung. Frascella, rund zehn Jahre jünger als seine Kollegen, knüpft formal und inhaltlich an diese Art der Selbsterkundung an, ohne etwas Neues zu wagen. Von Originalität keine Spur - weder in der Figurenzeichnung noch in den Beschreibungen der Familienverhältnisse noch in der Zuspitzung der Handlung. Einen etwas markanteren Charakter gewinnt der Roman in den Schilderungen des Fabrikalltags, wo die Arbeiter mit neokapitalistischen Maßnahmen in Schach gehalten werden.

In seinen besten Momenten lässt Frascella seinen Helden so reden, als steckte eine geladene Knarre in seiner Hosentasche. Dass diese aufgesetzt coole Sprechweise auch auf Deutsch eine gewisse Kraft entfaltet, liegt an der glänzenden Übersetzung von Annette Kopetzki, der kein Jugendslang Italiens fremd ist. Doch jenseits dessen hat "Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe" wenig zu bieten. Es sind die Lehr- und Wanderjahre eines wütenden jungen Mannes mit einer voraussehbaren Schlusswendung. Am Ende kommt es eben doch auf die Frauen an.

Christian Frascella: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe. Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Annette Kopetzki. Frankfurter Verlagsanstalt 2012, 320 Seiten, 22,90 Euro.

© SZ vom 07.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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