Süddeutsche Zeitung

Roman:Kavafis, hilf!

Die 72-jährige Protagonistin in Rabih Alameddines Roman "Eine überflüssige Frau" lebt allein in einer Wohnung in Beirut, in die sie einzog, als sie an ein "impotentes Insekt" verheiratet wurde, wie sie ihren verstorbenen Gatten bezeichnet. Aber sie hat Bücher!

Von Anna Steinbauer

Wenn Bücher wie gute Freunde sind, dann hat Aaliya einen sehr großen Bekanntenkreis. Sebald, Flaubert, Spinoza oder Tolstoi zählen auf jeden Fall zu ihren engsten Vertrauten. Von den Dichtern und Denkern in gebundener Form einmal abgesehen, ist die 72-jährige Libanesin, die Protagonistin in Rabih Alameddines Roman "Eine überflüssige Frau", allerdings sehr einsam. Kinderlos und ohne Ehemann lebt Aaliya in derselben kleinen Wohnung in Beirut, in die sie mit 16 Jahren einzog, als sie an ein "impotentes Insekt" verheiratet wurde, wie sie ihren längst verstorbenen Gatten emotionslos bezeichnet. Ein ungewöhnlicher Zustand für eine Frau in Libanon, einem Land, in dem die weibliche Emanzipation noch kaum Einzug gehalten hat.

Die Flucht aus der tristen Realität gelingt der Überflüssigen, die jahrelang in einem kleinen Buchladen gearbeitet hat, nur mithilfe der Literatur. In ihr findet sie Trost, Sinn, ihre geistige Heimat. Der Jordanier Rabih Alameddine ist einer der bekanntesten Autoren des Nahen Ostens, er macht in seinem erfrischend unterhaltsamen Buch eine schrullig-sympathische alte Dame zur Erzählerin, die in vielen mäandernden Anekdoten und Erinnerungen vom Leben in Beirut berichtet. Einer spannungsgeladenen, zerrissenen Stadt, die Aaliya so beschreibt: "Beirut ist eine Stadt gewordene Elizabeth Taylor: verrückt, schön, kitschig, im Zerfall begriffen, alternd und ewig dem Drama ergeben. Auch sie würde jeden verknallten Verehrer heiraten, der ihr verspricht, ihr das Leben bequemer zu machen, ganz egal, wie wenig er zu ihr passt."

Ihre Übersetzungen sind kein Champagner, kein milchiger Tee. "Ich denke eher an Arrak."

Der Autor wurde im Jahr 1959 als Sohn libanesischer Drusen geboren und wuchs in Kuwait, Libanon und England auf. Mittlerweile lebt er in San Francisco und Beirut und schreibt in englischer Sprache. "Die überflüssige Frau" ist Alameddines vierter Roman und der erste, der auf Deutsch erschienen ist. Wer könnte besser die Problematik von Sprache, Literatur und ihrer Übersetzbarkeit thematisieren als er? Denn seine Protagonistin hat ein geheimes Hobby: Übersetzen. In 50 Jahren hat sie 37 Bücher ins Arabische übertragen. "Meine Übersetzungen sind kein Champagner, aber auch kein milchiger Tee. Ich denke eher an Arrak", so die Libanesin. Niemand hat diese Übersetzungen jemals gelesen. Fein säuberlich hat Aaliya sie in Kisten in ihrem Dienstmädchenbad gestapelt. Der Roman setzt ein, als Aaliya mit der alljährlich wiederkehrenden Entscheidung konfrontiert ist, welches Buch sie als nächstes übersetzen soll. So wird die Leserin und Übersetzerin zur Erzählerin ihrer eigenen Lebensgeschichte. Sie erzählt davon, wie sie die Bürgerkriegsjahre mit einem Sturmgewehr anstatt eines Ehemanns im Bett schlief, und vom Tod ihrer einzigen Freundin Hannah.

An äußerlicher Handlung passiert nicht viel, was das Lesevergnügen allerdings nicht trübt. Der Roman ist im Wesentlichen ein innerer Monolog Aaliyas mit der Dichtung, die ihr gesamtes Leben begleitet und bestimmt hat. Amüsant, manchmal etwas altklug, aber stets voller Demut für die Werke, wirft die Lektürebesessene mit Zitaten von Walter Benjamin und Sprüchen von Fernando Pessoa um sich. Gelegentlich liest sich der Roman wie eine Hommage an die Schriftsteller aller Zeiten und Länder, die der Literaturnärrin Aaliya als Lebenshilfe in Krieg und Elend dienten, an Werke wie Eliots "Das wüste Land" oder "Der Leopard" von Tomasi di Lampedusa. Man glaubt der Närrin ihre Obsession, weil ihre Not echt ist. Und wird ihr beipflichten, wenn sie bei der Begegnung mit ihrer dementen Mutter ihre Hausgötter J. M. Coetzee und Konstantinos Kavafis um Beistand anruft.

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SZ vom 25.08.2016
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