Süddeutsche Zeitung

Roman:Im Ring

Aya Cissoko berichtet in dem neuen Buch "Ma" von ihrer malischen Jugend in Frankreich und von ihren Erinnerungen an die eigene Mutter, die sie und ihren Bruder nach dem Tod des Vaters alleine großzog.

Von Cornelius Wüllenkemper

Wenn die malischstämmige Französin Aya Cissoko über ihr Leben schreibt, gleicht das oft einem Kampfbericht. Tatsächlich hat sich die mehrmalige Amateur-Boxweltmeistern Cissoko mit schier unglaublicher Willenskraft freigeboxt. Ihren Vater und ihre Schwester verlor sie 1986 im Alter von sieben Jahren, als vermutlich Rechtsradikale ein Arbeiterwohnheim am Pariser Stadtrand in Brand steckten. Davon erzählte sie in ihrer mit der Jugendbuchautorin Marie Desplechin verfassten Autobiografie "Danbé" (2011). Mit "Ma" ist nun Cissokos Erinnerung an ihre Mutter erschienen, die sie und ihren älteren Bruder aufgezogen hat, bedrängt von muslimischen Traditionalisten einerseits und der gesellschaftlichen Benachteiligung als "unsichtbare Einwanderin" andererseits.

Cissokos "Roman" lässt sich als ein Lagebericht über die Situation der vergessenen Menschen in den Pariser Vorstädten lesen. Während ihr Stiefvater als professionelles Geister-Medium die Wohnung mit allerlei zwielichtigen Gästen, mit Hennen, Gänsen und Puten bevölkert, fliegt Cissoko wegen "inakzeptablen Benehmens" von der Schule und ersetzt beim Boxen den "einen starken Schmerz durch einen anderen, den ich zu beherrschen gelernt habe". Ihre Siege im Ring bedeuten ihr nichts - außer der Bestätigung, dass nichts sie umhauen kann.

Nach einer Verletzung muss Cissoko die Boxhandschuhe ablegen,besteht dafür die Aufnahmeprüfung an der Akademie für Politische Wissenschaften und bekommt ein Kind. Dieser hochaktuelle Entwicklungsroman handelt von Konflikten zwischen Mutter und Tochter, zwischen den Geschlechtern, Generationen und Kulturen. Trotz der mitunter spröden Aneinanderreihung von Anekdoten berührt das Buch durch die pure Wucht der Geschichte, die es erzählt.

Aya Cissoko: Ma. Roman. Aus dem Französischen von Beate Thill. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2017. 187 S., 24,80 Euro. E-Book 16,99 Euro.

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Quelle:
SZ vom 27.11.2017
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