Roman "Die 33. Hochzeit der Donia Nour":Jungfrau bis zum Jüngsten Tag

Die arabische Antwort auf Barbie ist konservativ, eitel und fromm

"Fulla" heißt die arabische Anwort auf die westliche Barbie-Puppe.

(Foto: Mike Nelson/dpa)

Unter Pseudonym hat ein junger Ägypter einen Science-Fiction-Roman geschrieben. Sein Buch spielt in einem futuristischen Gottesstaat - Ähnlichkeiten mit der Realität sind dabei durchaus beabsichtigt.

Von Tomas Avenarius, Kairo

Ägypten im Jahr 2048: Religiöse Fanatiker regieren ein gehirngewaschenes Volk. Im totalitären Honigland der Islamisten besteht Gebetszwang; Kameras in der Wohnung überwachen die Verbeugungen, melden sie dem "Erlösungsministerium". Wer über Plan betet, erhält einen Paradies-Gutschein. Bei Nachlässigkeit droht die Behörde. Grundsatz all der von oben verordneten Seligkeit: "Jeder Ägypter hat ein Recht darauf, in den Himmel zu kommen. Es ist Pflicht der Regierung, die Erfüllung dieses Rechts sicherzustellen."

Nun gut, die Herrschaft der Muslimbrüder ist seit einem halben Jahr vorüber. Das Szenario stammt aus einem Roman, Islamisten-Science-Fiction. Frauen tragen in diesem Zukunftsstaat am Nil ein gebetsförderndes Kopftuch mit Dolce und Gabbana-Logo, Männer laufen in "heiligen Pantoffeln", die bei jedem Tritt "Allah, Allah"!" krächzen, der Roboterstaubsauger zitiert schnaubend den Koran. Christen haben nichts zu melden. Auf den Straßen sieht die Romanheldin Donia Nour knallgrüne Autos mit der Aufschrift "MusliClean". "Es kam ihr vor, als säße Gott selbst am Steuer. Sie konnte seine Allmacht spüren". Die rollende Erscheinung ist ein Reklamegag für Waschmittel: Die Herrscher wollen Geld machen, mit gottgefälligem Omo.

Dinosaurier an der Leine

Der Mann, der sich das alles ausgedacht hat, lehnt gelassen im Stuhl, auf der T-Shirt-Brust ein winziges Männchen, das einen Dinosaurier an der Leine führt. Schwierig, neben der menschlichen Allmachtsphantasie auf dem Hemd sonst etwas Charakterisierendes zu erkennen an dem jungen Ägypter, der seinen Namen öffentlich nicht genannt, sich nicht fotografiert sehen möchte, der aber will, dass sein Buch gelesen wird.

"Nur - bitte! - nicht von den falschen Leuten." Der Anonymus stellt sich im virtuellen Internetbuchdeckel so vor: "H.Z. Ilmi lebt in Kairo, Ägypten, wo er über Wissenschaft schreibt, über das Verkehrschaos jammert und hofft, dass er keinen Ärger bekommt wegen dieses Werks." Genau das könnte passieren: "Die 33. Hochzeit der Donia Nour" kann den Autor den Kopf kosten. Denn Ilmis Erstlingsroman stellt alles infrage, was den Muslimen seit 1400 Jahren lieb und teuer ist: Allah ist ein tyrannisches Hirngespinst, aus kruden Männerphantasien geboren. Der Islam ist dienstbar beim Bau einer Diktatur. Die Prediger und Koran-Politiker sind geldgierige, ewig lüsterne Böcke. Dass die Geschichte im Jahr 2048 spielt, ist auch schon unwichtig, die Realität in Ägypten war ja nahe dran, obwohl der Autor betont: "Ich will nicht, dass mein Buch als schräge Science-Fiction über die Herrschaft der Muslimbrüder missverstanden wird."

Mit realistischen Anleihen wird im Roman eine totalitäre Zukunftsgesellschaft skizziert. Nur die junge Heldin Donia hat eigene Pläne. Die kleine Beamtin führt im Erlösungsministerium darüber Buch, wie oft die Mitbürger beten. Zu Hause sitzt der Vater, ein Tyrann mit Alzheimer. Donia träumt von der Flucht ins sagenhafte Europa. Dazu braucht sie Geld. Sie prostituiert sich, so wie es heute in Ägypten getan wird: eine Eheschließung, für eine Nacht, die Mitgift in purem Gold, die Scheidung am nächsten Morgen. 32 solche Liebesnächte hat sie hinter sich, 32 Mal hat sie sich ihre Jungfräulichkeit wieder zusammennähen lassen, das Kilo Gold für die verbotene Überfahrt ist fast zusammen.

Doch der Trick mit dem künstlichen Jungfernblut fliegt auf. Die junge Frau landet im Gefängnis. Das ist groß im Gottesstaat: Ägypten ist dreigeteilt, im Süden vegetieren die Verurteilten und Gebetssäumigen. Sie müssen Steine klopfen oder pharaonische Antiquitäten ausgraben - das Teufelszeug der Ungläubigen, es soll vernichtet werden. In der Mitte leben die ahnungslos Frommen, dort war Donia vorher. Im Norden, an der Küste nach Europa, lassen die Prediger, Politiker und Wirtschaftsbosse es sich gutgehen: das Paradies schon auf Erden, mit schützenden Mauern drum herum.

Donia würde auf immer im Süden bleiben, fiele nicht ein Mann vom Himmel. Ein Philosoph, Weiberheld, Gotteslästerer. 1952 hatten Außerirdische Professor Oztaz Mukhtar in Kairo entführt, jetzt, im Jahr 2048, werfen ihn die Extragalaktischen über dem neuen Ägypten wieder ab: Ein Experiment mit einem Alien als Probanden - 1952 war das Jahr der Nasser-Revolution, der bald gescheiterte Versuch eines halbwegs säkularen, modernen Ägypten. Die Außerirdischen wollen, dass der Professor die längst von Glaubenszweifeln geplagte Heldin aufklärt und so den tyrannischen Gottesstaat ins Wanken bringt.

Ziemlich ägyptisch und sehr chaotisch

Es geht dann ziemlich ägyptisch und somit sehr chaotisch zu. Der Freigeist wird gefasst, soll hingerichtet werden, mit der vollautomatischen Steinigungsmaschine. Gleichzeitig fällt Donia dem lüsternen Prediger ein zweites Mal in die Hände. Oztaz entkommt der Steinigungsapparatur, trifft und befreit Donia. Nach Kämpfen mit Robotern in den Predigerpalästen und drohnenartigen Polizei-Vögeln am Himmel kommt die junge Frau davon. Wenn auch nicht bis Europa.

Sie endet bei den ganz hoffnungslosen Fällen, in der "Quarantäne", in der Wüste. Dort sind die Atheisten und Quertreiber inhaftiert. Donia ist nicht frei, aber frei im Kopf. Sie versteht, wie die Fundamentalisten regieren, wie sie wirtschaften. Es hat zu tun mit den pharaonischen Ruinen und Statuen: Profit will heimlich gemacht werden von den Herrschern eines Staats, der nur Rosenkränze und Heilsversprechen produziert. Der bigotte Schwindel ist entlarvt.

Wie das wirkliche Ägypten

Das ist keine große Literatur, aber so unterhaltsam wie realitätsnah: Ein Prediger wollte 2011 die Pyramiden abreißen lassen, ein anderer halb nackte Pharaonenstatuen zerschlagen. Das Scharia-Gericht ähnelt dem Chaos bei den Prozessen gegen die Ex-Präsidenten Mubarak und Mursi. Und der ein oder andere Scheich wurde auf dem Parkplatz erwischt, die angebliche Nichte halbentschleiert auf dem Schoß. Der Roman zeigt, wie das wirkliche Ägypten ist: korrupt, bigott, zerrissen und dabei doch so fromm.

Arabische Science-Fiction gibt es kaum. Der Islam verspricht den Gläubigen das Paradies, dem Zweifler die Hölle. Eine Welt, in der Roboter an die Macht kommen oder Außerirdische das Sagen haben, passt nicht zu diesem Erlösungsversprechen, das widerspricht dem göttlichen Schöpfungsplan. In Ägypten und der gesamten islamischen Stratosphäre kann so ein Roman gefährlich werden. Und Ilmi schreibt mit der Abrissbirne. Er dekonstruiert Religion nicht, es zertrümmert sie, so wie der Prophet Mohammed die Götzenbilder in Mekka.

Zornesröte ist programmiert

Die "33. Hochzeit" wird viele Muslime den Kopf schütteln lassen, einigen die Zornesröte ins Gesicht treiben: Ein Gotteswütiger wollte den ägyptischen Schriftsteller Nagib Machfus ermorden, den Nobelpreisträger. Ein Eiferer bedrohte den dänischen Mohammed-Karikaturisten mit der Axt. Salman Rushdie lebte in Angst, der Filmemacher Theo van Gogh ist tot. Die Geschichte der Donia Nour hätte das Zeug dazu, dem Autor zu ähnlich fragwürdiger Berühmtheit zu verhelfen. Vorausgesetzt, sein Buch wird von den Falschen gelesen. Der Reizwert des Romans liegt aber weniger darin, den Glauben rücksichtslos infrage zu stellen, als an der politischen Realitätsnähe in einem Land, in dem eine Partei Parlament und Präsidentenpalast erobern konnte mit dem Slogan "Der Islam ist die Lösung."

Der Mann hinter dem Pseudonym hat selbst einiges an Glaubenserfahrung ausprobiert, bevor er zum Schreiben kam: Als Kind Superman - "als es mit dem Fliegen nicht klappte, habe ich mir ein Buch über Schwarze Magie besorgt." So etwas gibt es noch immer im abergläubischen Land am Nil: "Da stand drin, dass ich mich auf den Koran stellen und mit Milch übergießen solle. Dann könnte ich von jedem Ort entfliehen." Superman wurde Sufi, es folgten Yoga und Meditation, dann ein Dasein als Veganer. Das Damaskus-Erlebnis kam in Australien. Dort studierte der Ägypter Philosophie und Psychologie.

Der Muslim Ilmi ist jetzt erbitterter Rationalist, arbeitet als Wissenschaftsjournalist. Die unwissenschaftliche, tabubeladene Welt des Islams ist ihm zuwider geworden. Er erkennt im Hintergrund jeder monotheistischen Religion und damit der ultrakonservativen ägyptischen Gesellschaft "den tyrannischen Gott". Oder, wie es im Buch heißt: "Welche sadistische Perversion will ewiges Höllenfeuer als Strafe?" Gott ist "der große Folterer". Das gelte, darauf legt Ilmi Wert, für Islam wie Christentum. In Europa ist all das bekannt, Theologen haben Gegenargumente formuliert, jeder vernünftige Mensch glaubt, was ihn selig macht. In Ägypten aber ist die Welt nicht entzaubert. Das macht den Text, eine unterhaltsame Mischung aus Klamauk, Suspense und philosophischen Pirouetten, gefährlich.

Charmant geschwindelt

Dass die "33. Hochzeit der Donia Nour" mit dem Aufstieg und tiefen Fall der ägyptischen Muslimbrüder zusammenfällt, ist angeblich - Zufall: "Als ich 2010 angefangen zu schreiben, hatte ich schon alles im Kopf", sagt der Autor. "Dann kam die Revolution, und ich hatte anderes zu tun. 2012 habe ich zu Ende geschrieben." Das klingt charmant geschwindelt, erst mit der demokratischen Machtübernahme der Islamisten zeichnete sich das Heraufziehen eines intoleranten Gottesstaats ab in Kairo. Doch die Hirngespinste der Fundamentalisten waren lange bekannt: die Frömmelei, die gesalbte Sprache, das öffentliche Sich-müde-beten, die abstrusen Ideen der Scheichs. Damit muslimische Frauen mit fremden Männern in einem Büro arbeiten können, sollten sie ihnen symbolisch die Brust geben - wer geht schon mit seiner Amme ins Bett? Der Vorschlag stammt aus dem Jahr 2009, nicht aus Ilmis 2048.

Schade, dass "Die 33. Hochzeit" auf Arabisch vorerst nicht zu lesen ist: Runterladen aus dem Internet kann man den Roman nur bei Kindle, in Europa, auf Englisch - aus Sicherheitsgründen. Ein Verleger findet sich nicht in der arabischen Welt, auch nicht in Europa oder den USA. Verkauft sind wenige Hundert Exemplare, die meisten an Freunde. Ilmi selbst schreibt am zweiten Roman, über eine utopische Gesellschaft, die frei ist von den Geißeln Glauben, Schuld, Ehre.

Sein erstes Buch sollte man drucken, auf Arabisch: 85 Millionen Exemplare, verteilt an alle Haushalte Ägyptens, Pflichtlektüre in der Schule, die Kurzfassung am Wahlzettel angeheftet. Vielleicht bewegt sich doch etwas in den Köpfen.

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