Rolling Stones: Schlagzeuger Charlie Watts:Der eleganteste Maschinenmann

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Der unschätzbare Maschinenbeat der Rolling Stones: Während Mick Jagger vorne mit dem Arsch wackelt, sorgt Drummer Charlie Watts seit Jahrzehnten dafür, dass die Band rollt. An diesem Donnerstag wird er siebzig.

Willi Winkler

Doch, sie muss sein. Die schönste Geschichte findet unsere fünf Freunde (oder doch vier von ihnen) nächtens in einem Hotel. Nach dem Auftritt haben sie ein bisschen gefeiert und wurden immer ausgelassener dabei. Es ist drei, vier Uhr morgens, richtig Party, aber einer fehlt.

Charlie Watts - der Drummer der Rolling Stones und ein zum Glück verhinderter Jazzer. An diesem Donnerstag wird er siebzig. (Foto: REUTERS)

Mick Jagger, ganz gegen seine Art stockbesoffen, ruft im Zimmer von Charlie Watts an und koddert ins Telefon: "Wo ist mein Drummer? Ich will meinen Drummer!" Charlie Watts steht auf, kleidet sich sorgfältig an, überprüft im Spiegel nochmal sein Aussehen, fährt hinunter in die Lobby zu Mick Jagger, packt ihn am Kragen, tunkt ihn angeblich sogar in den zerfledderten Lachs und gibt ihm Bescheid: "Nenn mich nie wieder "deinen" Drummer. Du bist mein gottverdammter Sänger." Stimmt ja auch.

Der Sänger verdeckt ihn fast immer, aber hinter seinem Rücken kommt dieser makellose Beat hervor; die Band rollt, weil Charlie dafür sorgt. Auch Keith Richards gibt in seinen besseren Momenten zu, dass sie ohne Charlie Watts nicht die Rolling Stones wären.

Sie sind ihren Gründer Brian Jones losgeworden, auch seinen Nachfolger Mick Taylor, dann Ian Stewart, sogar Bill Wyman wurde es irgendwann zu viel, aber Charlie ist seit 1963 dabei.

Es ist wahr, er langweilt sich kolossal. Die Band unterfordert einen Mann mit seinen musikalischen Talenten, aber eine Liveband braucht nun einmal jemanden, der den Takt hält, während Mick vorne mit dem Arsch wackelt und Keith sich im Zwillingsspiel mit Ron Wood verliert.

Leibeigene Boogie-Woogie-Kapelle

Charlie muss immer wieder überredet werden, aber seit 48 Jahren geht er brav mit Mick und Keith ins Studio und dann auf Tournee. Charlie hat womöglich mit Mick zusammen das neue, noch wahnsinnigere Bühnenbild entworfen, die inzwischen schon sehr feuchten Lippen des Stones-Logos, das Mädchen, das auf einem Lippenstift (oder was auch immer) reitet, aber vor allem hält er den Takt.

Dabei wäre er, statt auf der Bühne seinen unschätzbaren Maschinenbeat zu klopfen, viel lieber in der Savile Row in London und ließe sich einen weiteren Anzug anmessen, träfe sich anschließend mit gleichgestimmten Musikern, um eine weitere Tournee zu besprechen, Charlie Watts' Jazz-Formation, seine leibeigene Boogie-Woogie-Kapelle, mit der er alle paar Jahre ohne großes Aufsehen durch winzige Clubs zieht, um seinen Idolen von Charlie Parker bis Benny Goodman nachzuspielen.

Als Anfang der Sechziger aus dem Blues die Neue Britische Musik wurde, arbeitete Charlie Watts in einer Werbeagentur und hatte die üblichen mittleren Aufstiegschancen vor sich. Nur zögernd stieg er bei den ungewaschenen Gesellen ein, die er bei Alexis Korner kennengelernt hatte.

Rhythmisches Rückgrat

Seither befindet er sich in Geiselhaft. Die Groupies haben ihn nie interessiert, und Drogen nahm er erst, als die anderen schon wieder damit aufgehört hatten. Charlie erholte sich auch davon wieder und sitzt noch immer hinten über seiner Batterie, während die anderen vorne herumspinnen.

Bestgekleideter Mann des Jahres war er, vielleicht auch erfolgreichster Züchter von Arabern, größter Experte für die Scharmützel des englischen Bürgerkriegs und ein begabter Zeichner; er muss sich, heißt es, jedes Hotelzimmer erst aufmalen, ehe er es beziehen kann.

Vor allem aber ist Charlie Watts das rhythmische Rückgrat der Band. Wenn Mick Jagger "Mother's Little Helper" singt, einen dieser frühen, botschaftsmäßig recht kulturkritischen Songs, dann ist ihm Charlie Watts immer eine halbe Note voraus, treibt den Song weiter und immer weiter.

Bei "Dead Flowers", fünf Jahre später, raut Mick seine Stimme bis zum ultimativen Country-Ennui, malt Mick Taylor seine Arabesken auf der Gitarre, verausgabt sich Ian Stewart am Klavier, aber hinten sitzt Charlie Watts und sorgt dafür, dass die Cowboys in der Bar im hintersten Texas vergessen, wie sich die Jungs aus England über sie lustig machen, ihr Mädchen zum Tanz auffordern und es dann vor der Musicbox im Takt herumwirbeln, im Takt von Charlie Watts. Am Donnerstag wird der zum Glück verhinderte Jazzer und eleganteste Maschinenmann Charlie Watts siebzig Jahre alt.

© SZ vom 01.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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