Rolf Hochhuth im Interview (2006):"Mein 'Stellvertreter' lag zwei Jahre irgendwo im Dreck herum"

Rolf Hochhuth

Dramatiker Rolf Hochhuth

(Foto: dpa)

Der Dramatiker spricht über große Fehler seines Lebens, grollt dem "Kohl-Staat" wegen der Art der Wiedervereinigung und erklärt, warum ihn Kanzler Erhard einen "kleinen Pinscher" nannte.

Johannes Honsell und Oliver Das Gupta, Erlangen

SZ.de: Herr Hochhuth, wenn Sie auf Ihre 75 Lebensjahre zurückblicken: Was würden Sie anders machen, wenn Sie könnten?

Rolf Hochhuth: Es gäbe sehr vieles, was ich anders machen würde.

SZ.de: Können Sie Beispiele nennen?

Hochhuth: Ich habe sehr große Fehler gemacht. Ich habe durch Ehebruch meine erste Frau, von der ich zwei Söhne habe, verjuxt. Das war sicherlich sehr idiotisch. Und ich habe ein altes Haus nicht gerettet, das seit 1806 in der Familie war und Verwandten gehörte. Die Deutsche Bahn hat es gekauft und abgerissen.

SZ.de: Sie sprachen einmal davon, dass die Kritik der Feuilletons Sie zu vernichten drohe. Fürchten Sie, der Jubilar, nun Ähnliches?

Hochhuth: Nein. Ich habe Angst vor der FAZ - und sonst vor keiner Zeitung.

SZ.de: Vor einem Jahr mussten Sie sich allgemein heftiger Kritik erwehren wegen eines Interviews in einer rechten Postille, in dem Sie den Historiker und Auschwitz-Leugner David Irving loben.

Hochhuth: Die Neue Freiheit - oder heißt sie Junge Freiheit? - hat mir wie verabredet das Interview geschickt zur Korrektur. Es war ein sehr langes Interview, das enorm gekürzt werden musste. Aber ich hatte aus Achtlosigkeit und Eselei versäumt, die Dinge wieder rein zu schreiben, welche ich natürlich gesagt hatte im Interview: Dass ich allein vom jungen Irving rede. Der hat ja schon mit 22 oder 23 diesen internationalen Bestseller über die Vernichtung Dresdens geschrieben. 30 Jahre später ist er durchgedreht, mir unfassbar.

SZ.de: Gerade nach der Sache mit Irving hat es in Zeitungen den Kommentar gegeben, Hochhuth plane den kalkulierten Skandal, um wieder ins Gespräch zu kommen. Wie stehen Sie zu solchen Vorwürfen?

Hochhuth: Na ja, wenn Sie das erlebt hätten, was ich erlebt habe damit. Es hätte auf meine geistige Existenztilgung hinauslaufen können. Aber man hat mich zum Glück teilweise vehement in Schutz genommen, wie beispielsweise in der Süddeutschen, der FAZ oder auch der Zeit. Wie gesagt: Es drohte meine geistige Existenztilgung. So etwas riskiert man natürlich nicht freiwillig. Es ist sehr schwer, freier Schriftsteller zu sein, und ich habe auch schriftlich niemals diese Formulierung benutzt, ohne "freie" in Anführungsstrichen zu schreiben. Wir hatten nur einen freien Schriftsteller nach dem Kriege: Rudolf Augstein. Weil er der einzige war, der selber bestimmen konnte, wo wann was von ihm erschien.

SZ.de: Schon früher hat man sich an Ihnen gerieben. So soll Sie Ludwig Erhardt einmal als "ganz kleinen Pinscher" bezeichnet haben...

Hochhuth: Ich hab' ihn auch außerordentlich beleidigt im Spiegel. Im Sommer 1965 war eine Bundestagswahl, und da hatte er als Bonbon an den Arbeitnehmer 312 D-Mark "zum Zwecke der Vermögensbildung" steuerfrei für ein Jahr erklärt. Und ich sagte, als Ersparnis für Vermögensbildung sind 312 Mark nur die Hundesteuer der besseren Leute. Da hat er mich beschimpft. Dennoch: Die Adenauer-Erhardt-Republik war im Vergleich zu der heutigen vorbildlich. Ein moralischer Staat mit einer Ausnahme: Er hat Nazi-Verbrecher wie Globke, den Kommentator der Gesetze zur Entrechtung der Juden, zu Staatssekretären ernannt.

"Ich hatte ein sagenhaftes Glück"

SZ.de: Blicken Sie auch mit ähnlicher Nachsicht auf das Hannah-Arendt-Zitat über Sie: "Er ist nicht besonders intelligent, ganz zu schweigen von begabt" zurück?

Hochhuth: Ich glaube nicht, dass Sie das gesagt hat. Das steht im Internet ohne Quelle. Ich bilde mir sogar ein, der einzige deutsche Nachkriegsautor zu sein, über den Hannah Arendt in der New York Herald Tribune einen sicher zehn Buchseiten umfassenden Essay veröffentlicht hat. Und ich bin auch der einzige deutsche Nachkriegsautor außer Jaspers, über den sie im New Yorker Goethe-Haus einen abendfüllenden Vortrag gehalten hat. Ich glaube nicht, dass sie das getan hätte, wenn sie den "Stellvertreter"-Autor für einen Dummkopf hielte. Es hat ihr auch sehr gefallen, was ich über sie geschrieben habe. Vor etwa 20 Jahren war es selbstverständlich, dass in allen Hochhuth-Verrissen fast wörtlich geschrieben wurde: "Er hat keine Sprache, er kann kein Deutsch, er hat keinen Rhythmus." Und das schwöre ich Ihnen beim Lebenslicht meiner Enkelkinder: Es gab nicht einen einzigen, der eine einzige Zeile von Hochhuth zitiert hätte, um diese Verleumdung zu belegen. Nicht einen einzigen, Ehrenwort.

SZ.de: Wie erklären Sie sich diese zahlreichen Verrisse?

Hochhuth: Ich möchte festhalten: Ich habe vielen Theatern Verrisse beschert, aber niemals einen Flop in der Kasse. Die Leute sind mir sehr zugetan, was ich auch an der Zahl der Besucher merke. Es ist interessant, dass solche Verrisse niemals gekommen sind, wenn es sich um historische Stücke handelte. Es ist das Aufgebrachtsein über die Beschäftigung mit der Gegenwart. Ich kann es mir anders nicht erklären. Dabei geht es nicht nur um Politik in meinen Dramen. Eine ganze Generation: Frisch, Jahrgang 1911, Dürrenmatt 1921, Walser 1927, bis Hochhuth, Jahrgang 1931, wird nicht mehr inszeniert.

SZ.de: Sie haben wiederholt geäußert, "kein Ossi habe in der Wendezeit einen Milchladen in der Friedrichsstraße eröffnen" können. Wie kommen Sie darauf, dass dem so war?

Hochhuth: Er hätte den Milchladen nicht eröffnen können, weil der Kohl-Staat es so eingerichtet hat. Allein Wessis, ob das nun Amerikaner waren oder ein Basler wie ich, hätten das bezahlen können - aber nicht die Ossis. Kein Ossi konnte dort in der DDR Nennenswertes erwerben, doch eine einzige Zürcher Familie 100 Interhotels zwischen Werra und Oder!

SZ.de: Sie kritisieren des Öfteren die deutschen Bühnen und fragen: Wo sind die Dramatiker, die politische Themen wie Arbeitslosigkeit, Gesellschafts- und Kapitalismuskritik aufgreifen und auf die Bühne bringen?

Hochhuth: Das sind die Dramatiker, die nicht gespielt werden. In jeder Zeitung sind die Theaterpläne abgedruckt, da können Sie das überprüfen. Wenn ich an die unbeschreiblichen Zufälle denke, denen ich verdanke, dass mein "Stellvertreter", der zwei Jahre irgendwo im Dreck rumlag, überhaupt das Licht der Welt erblickt hat. Als der Erfolg dann da war, haben ein Dutzend Intendanten wie Gustav Gründgens den heiligen Eid geschworen, niemals von diesem Stück gehört zu haben. Ich glaube ihnen, doch lag mein "Stellvertreter" drei Jahre unbeachtet von allen Dramaturgen bei ihnen im Haus - wurde jedoch dem Intendanten niemals auch nur vorgelegt! Dramaturgen sind ausnahmslos bösartige Würstchen, die selber Regisseur oder Autor oder Schauspieler werden wollten, aber, da sie's nicht konnten, ihre Zeitgenossen unterdrücken. Auf Tote sind sie dann nicht mehr eifersüchtig; kennen aber meist auch nicht mehr.

SZ.de: Wie kam es dann, dass der "Stellvertreter" doch auf eine Bühne gelangte?

Hochhuth: Ich hatte ein sagenhaftes Glück. Der größte Theatermann, der emigriert war, neben Brecht, war sein Freund Piscator. Er hat das politische Theater in den 20er Jahren kreiert und bekam dann mit 68 Jahren wieder eine Intendanz, das Theater am Kurfürstendamm. Und Rowohlt sagte: Wenn der Verrückte das nimmt, dann drucken wir 1500 Stück mit. Da war das Stück schon anderthalb Jahre bei Rowohlt gelegen, ungedruckt. Man schickte es Piscator per Eilboten. Er bekam das Stück morgens um zehn. Um elf hat er telegrafiert: "Wer verbirgt sich hinter dem Pseudonym Hochhuth? Ich spiele dieses Stück." Das war mein Schicksal.

Zur SZ-Startseite
Rolf Hochhuth, 1991

Zum Tod von Dramatiker Rolf Hochhuth
:Der Lautsprecher

Politikerrücktritte, Aufführungsverbote, Denkmäler: Rolf Hochhuth, der am Mittwoch im Alter von 89 Jahren in Berlin verstarb, war einer der seltenen Autoren, die wirklich etwas erreicht haben.

Jetzt entdecken

Gutscheine: