Roger Daltrey:"Wir haben vermutlich einen Weltkrieg verhindert"

Er ist der Sänger der gewalttätigsten Rockband der Musikgeschichte. Roger Daltrey, der Frontmann von "The Who", wird im März 62 Jahre alt - und will mit seiner Band wieder auf Tour gehen. Im Interview präsentierte sich der Brite äußerst höflich.

Willi Winkler

Ein Hotel in Hamburg, fünf Sterne und so tot wie das Kellergeschoss einer sanierten Pyramide. In der Lobby taucht ein überraschend zarter, kleiner Mann auf, der freundlich grüßt und gern etwas essen würde. Das Restaurant hat geschlossen, zu essen gibt es bitte nur in der Bar. Aus den Lautsprechern tropft gesamteuropäische Schmalzmusik. Roger Daltrey hasst dieses Designer-Hotel, und gebraucht in zwei Sätzen gleich fünf Mal einen einsilbigen englischen Kraftausdruck. Früher hätte er hier alles kurz und klein geschlagen. Aber inzwischen ist er der höflichste Mensch.

Roger Daltrey: Daltrey: Früher zerstörte er Hotel-zimmer, heute trinkt er Mineralwasser.

Daltrey: Früher zerstörte er Hotel-zimmer, heute trinkt er Mineralwasser.

(Foto: Foto: AP)

Daltrey: Warum können Europäer eigentlich keine guten Hotels bauen?

SZ: Das hier hat bestimmt mehrere Preise bekommen.

Daltrey: Aber man kann es hier doch nicht aushalten . . . Noch eine Nacht, dann bin ich wieder zu Hause.

SZ: Warum sind Sie überhaupt nach Hamburg gekommen?

Daltrey: Ich trete hier auf heute Abend - mein erster Solo-Auftritt seit langer Zeit. Ich nehme die Gelegenheit wahr; ein Sänger muss in Übung bleiben. Wir gehen wahrscheinlich bald wieder auf Tournee.

SZ: Wer geht auf Tournee? The Who?

Daltrey: Ja, wir sind dabei, eine Tournee vorzubereiten.

SZ: Im Taxi hierher lief grad tatsächlich "My Generation". Der Fahrer blieb merkwürdigerweise ungerührt, als es richtig losschepperte: "People try to put us d-down (Talkin' bout my generation) / Just because we g-g-get around . . . " Vierzig Jahre ist dieses Lied jetzt schon alt. Wo kam diese ungeheure Aggressivität bei The Who her?

Daltrey: Nun, es gab in der Nachkriegszeit diese Phase, in der alles einfach explodierte. In den 60ern und frühen 70ern durfte sich ja jeder ausdrücken. Wir waren zufällig da.

SZ: Zufällig ja nicht, The Who waren doch vorn dran in der Jugendbewegung.

Daltrey: Eigentlich haben wir nicht viel dafür getan. Es gab doch die ganzen anderen Gruppen, die da auch noch rummachten. Wenn man selber dabei ist, sieht man das nicht so historisch. Aber offenbar haben die Milliarden Menschen auf dem Planeten beschlossen, dass genau wir vier zusammen gehörten.

SZ: Gab es denn einen Konkurrenzkampf zwischen den Gruppen?

(Roger Daltrey ist eh schon sehr unruhig. Nun springt er sogar auf.)

Was ist denn los?

Daltrey: Die rauchen da drüben. Ich kann hier nicht sitzen bleiben. Wir gehen.

SZ: Wohin?

(Daltrey vorneweg geht es von der Bar durch die mausoleische Hotellobby, schließlich in einen erfreulich leeren Saal.)

Warum nicht hier?

Daltrey: Ich glaube, hier finden Hochzeitsfeiern statt, nein? (Daltrey prüft die nagelfeilen-inspirierte und sicher mehrfach preisgekrönte Tischdekoration:) Wenn Sie Streit mit Ihrer Frau haben, können Sie das vielleicht brauchen. Eine Zigarette zum Essen! Ich kann nicht begreifen, wie man essen kann, wenn gleichzeitig geraucht wird. Das ist ja wirklich ekelhaft.

SZ: Hat The Who seinerzeit mit anderen Bands darum gewetteifert, wer am lautesten ist?

Daltrey: Wir waren alle gute Freunde.

SZ: Natürlich.

Daltrey: Aber wie bei Fußball-Clubs gab es natürlich das unbewusste Bedürfnis, der beste von allen zu sein.

SZ: Stimmt es, dass The Who anfangs jeden Abend mehr zerdeppert haben, als die Gage einbrachte?

Daltrey: Wir haben wahnsinnig viel Geld ausgegeben, das wir vorher noch gar nicht verdient hatten. Wir kriegten am Anfang nur hundert Pfund pro Auftritt.

"Wir haben vermutlich einen Weltkrieg verhindert"

SZ: Jeder hundert? Oder die ganze Band?

Daltrey: Zusammen hundert! Und auch nur, wenn wir Glück hatten. Dann haben wir für dreihundert Pfund Sachen kaputt geschlagen: Instrumente, Verstärker, die Lautsprecher . . .

SZ: Es muss lustig gewesen sein. Sonst hätten Sie es vermutlich nicht gemacht.

Daltrey: Es war lustig! Aber irgendwann natürlich nicht mehr. Es passierte beim ersten Mal eher aus Versehen. Die Leute in dem Club, in dem wir auftraten, begannen plötzlich wie hypnotisiert zu stampfen. Pete Townshend machte das etwas nervös. Er schlug mit dem Gitarrenhals gegen den Verstärker. Unser Manager Kit Lambert freute sich. Von da an musste Pete es dann erstmal immer machen.

SZ: Haben Sie den Film "Blow Up" gesehen?

Daltrey: Ja klar, die Gewalt, das sind wir, das hatte Michelangelo Antonioni von uns! Es war sehr seltsam. Dieses Ritual hatte nur mehr wenig mit Musik und viel mehr mit dem Sound der Zerstörung zu tun. Als wir es zum zweiten Mal machten - diesmal mit Absicht - stellte sich heraus, dass es einige Arbeit braucht, bis so eine Gitarre kaputt ist. Sie klingt dann wie ein Tier, das geopfert wird.

SZ: Eine gute Investition.

Daltrey: Fuck, ja, unglaublich! Diese Kakophonie! Und die Gesichter der Leute, die zu Boden gingen! Schrecklich! Sie kamen dann nicht mehr wegen der Musik, sondern weil sie zuschauen wollten, wie Pete die Gitarre opferte. Es wurde aber irgendwann nicht bloß teuer, sondern auch lästig. Damals haben wir uns ja sogar auf der Bühne geprügelt. Und zwar mit Begeisterung.

SZ: Sie waren doch nicht immer Freunde!

Daltrey: Doch, doch, wir waren Freunde.

SZ: Aber eben jung.

Daltrey: Wir waren vier übertestosteronisierte junge Burschen. Wenn wir nicht gestritten hätten, wären wir ja nicht The Who gewesen. Sondern womöglich Herman's Hermits.

SZ: Sie sangen: "Hope I die before I get old".

Daltrey: O, für mich gilt das nach wie vor, es hat sich nur mein Verständnis vom Alter natürlich etwas verändert. (Roger Daltrey hat sich einen Salat bestellt und isst ihn nun hingebungsvoll.) Meine Vorstellung vom Leben ist heute anders. Ich messe es nicht mehr in Jahren, es kommt also eher auf die geistige Verfassung an.

SZ: Sie sehen sehr gesund aus, dabei hoffte ich eigentlich auf einen Junkie.

Daltrey: Tut mir Leid. Sänger müssen fit sein. Schauen Sie sich Mick Jagger an . . .

SZ: Der hat kein Gramm Fett am Leib.

Daltrey: Er arbeitet ja auch wie der Teufel.

SZ: Machen Sie es auch so wie er? Fünf Kilometer laufen jeden Morgen, nur Joghurt, kein Alkohol . . .

Daltrey: Wenn ich auf Tour bin, kann ich ohnehin nicht viel trinken. Und Drogen waren noch nie was für mich, davon trocknet einem die Stimme aus.

SZ: Die Hälfte der Who ist bereits tot. Keith Moon und John Entwistle sind Opfer ihres, sagen wir, aufreibenden Lebens geworden, nicht wahr?

Daltrey: Ich weiß nicht, warum die beiden so in die Drogengeschichte geraten sind. Wir haben natürlich jeden Abend Party gemacht, wir haben getrunken, ich auch, ich hab' auch Marihuana geraucht, aber sonst nichts. Ich glaube nicht, dass jemand gestorben ist, weil er zuviel Marihuana geraucht hat. Nicht einmal Bob Marley ist deswegen gestorben. In den frühen Nachkriegsjahren wusste niemand etwas über Drogen. Alles wurde unter den Teppich gekehrt. Wenn also jemand ein Problem damit hatte, gab es auch keinen, der ihm geholfen hätte. Das war die Tragödie. Ich wollte, wir hätten es verhindern können. Keith Moon war wahrscheinlich nicht zu retten, und ich weiß auch nicht, ob es ein Unfall war.

SZ: Sie haben die berühmten Schlägereien zwischen den Mods und den Teds in Brighton miterlebt. Waren Sie nicht sogar die Warm-up-Band dafür?

Daltrey: Vermutlich. In unserer Lebenszeit gab es in Europa eine ungeheure Phase von Frieden und Ruhe. Ich frage mich manchmal, ob sie so ruhig verlaufen wäre, wenn es nicht plötzlich den Rock'n'Roll gegeben hätte, wenn der also nicht diese gesamte finstere Energie beansprucht hätte.

"Wir haben vermutlich einen Weltkrieg verhindert"

SZ: Musik statt Krieg.

Daltrey: Junge Menschen haben in der Adoleszenz nun einmal Aggressionen. Ich glaube, wir haben sie dem Publikum abgenommen. Es sah wohl so aus, als würden wir die Kids anheizen. Aber wir sahen nur gewalttätig aus. In Wahrheit haben wir vermutlich einen Weltkrieg verhindert.

SZ: Haben Sie das damals schon gewusst?

Daltrey: Nein, aber so lege ich mir das heute zurecht.

SZ: Hatten Sie denn nie Angst vor Ihrem Publikum?

Daltrey: Nein, nie.

SZ: "Der Sänger wirkt böse, weil er den Löwen vorgeworfen wird", singt Mick Jagger.

Daltrey: Wenn man Mick in sein Publikum werfen würde, hätte er ja auch Schwierigkeiten. Wenn man mich ins Publikum reinwürfe, so würde es mich einfach zurückwerfen. Es gab nie diese hohe Schranke zwischen uns und dem Publikum. Bei den Stones ist das anders.

SZ: Weil die Stones als Stadionband . . .

Daltrey: . . . ja, sie sind höher, und es gibt eine riesige Absperrung. Das gab und gibt es nicht bei den Who. Pete spielte für die ersten Reihen - und ich für die hinten. Wir hatten nie diesen Über-Star-Status der Stones. Ein bisschen vielleicht in der "Tommy"-Phase, aber im wesentlichen reden die Leute nicht über uns, sondern über unsere Musik. Und das ist toll.

SZ: Wahrscheinlich haben Sie deshalb mit mehr Würde überlebt.

Daltrey: Ja, gut möglich . . . Aber wer zählt meine vielen, vielen einsamen Nächte?

SZ: Was, wenn hier statt Mineralwasser etwas anderes zu trinken stünde?

Daltrey: Wenn Sie ein Interview mit Keith Richards führen würden, stünde hier eine Flasche Jack Daniels. Aber noch bevor Sie gekommen wären, hätte Keith sich zwei Teebeutel in ein Glas Wasser gehängt und würde so tun, als schenkte er sich vom Jack Daniels nach.

SZ: Sie rauben mir alle Illusionen!

Daltrey: Ich habe nichts gesagt.

SZ: Ray Davies von den Kinks singt über den "Dedicated Follower of Fashion". Verstehen sich die Engländer eigentlich besser anzuziehen?

Daltrey: Nein!

SZ: Aber Sie waren doch ein Mod!

Daltrey: Nein, ich habe den Mod gespielt.

SZ: Aber Sie wissen, was man trägt.

Daltrey: Nein, nein, eigentlich nicht. Weil ich so klein bin, kann ich nichts tragen. Es ist ein Alptraum, denn nichts passt mir, nichts sieht gut aus. Es ist furchtbar, ich bin ein wandelnder, kleiner Wäschesack.

SZ: In "Tommy" sehen Sie sehr gestylt aus.

Daltrey: Das war irgendwie zusammengehauen. Mein Bühnenkostüm, den "Tommy"-Anzug mit den Fransen, hat mir ein Freund gemacht. Der Anzug wurde durch Woodstock richtig berühmt. Er bestand aus ein paar Fetzen, alten Lumpen, mit denen man das Auto putzt. Waschen konnte man das sowieso nicht, nach zwei, drei Auftritten habe ich das Ding weggeschmissen. Mir gefiel dieses Kostüm, weil man unbehindert seiner Arbeit nachgehen konnte. Ich trug nichts drunter und war deshalb vollkommen frei.

SZ: Vor einer halben Million Menschen: War Woodstock das größte Erlebnis?

Daltrey: Nein, nein. Für uns war es nur eine Show unter vielen, und zwar keine besonders gute. Als wir endlich auf die Bühne kamen, war es früh am Morgen - und alle standen unter Drogen.

SZ: Das ganze Publikum?

Daltrey: Ich sagte: Alle. Die Techniker, die Musiker, das Publikum, alle waren kaputt von Drogen. (Er bestellt eine weitere Flasche Mineralwasser.)

"Wir haben vermutlich einen Weltkrieg verhindert"

SZ: Wie geht es eigentlich Pete Townshend?

Daltrey: Es geht ihm gut. Er schreibt Songs.

SZ: Wie ist Ihr Verhältnis?

Daltrey: Gut. Es war ja nie schlecht. Es wechselt natürlich. Mal ist es besser, mal schlechter. Ich bin mit ihm nicht immer einer Meinung, aber für mich ist er der ursprünglichste Gitarrist aus den 60ern.

SZ: Was ist mit Jimi Hendrix?

Daltrey: Jimi kopierte viel bei Pete, zum Beispiel das Berserkern mit der Gitarre. Ich sage nicht: Wer ist der beste, sondern wer ist der ursprünglichste Gitarrist - und das ist Townshend. Bei Jimi hört man viele andere Bluesspieler. Bei Townshend kommt es aus dem Nichts. Pete Townshend spielt Pete Townshend.

SZ: Was ist mit Eric Clapton?

Daltrey: Hey, nochmal: Mir geht es nicht um den besten. Bei den anderen, bei Jeff Beck, bei Jimmy Page, bei Eric Clapton hört man immer Robert Johnson raus, verstehen Sie? Nicht bei Pete Townshend. Pete hat seinen Stil - ohne Vorbilder - selber erfunden.

SZ: Hat die Musik der 60er die Politik beeinflusst? Ich denke da an einen bekannten Gitarristen, der nebenher britischer Premierminister ist.

Daltrey: Der Gitarrist Tony Blair würde im Moment vermutlich alles tun, um von der Politik wieder weg zu kommen.

SZ: Er wollte doch zu Anfang unbedingt mit Oasis gesehen werden und cool sein. Dann sah er sich plötzlich als zweiten Winston Churchill . . .

Daltrey: ...nun endet er als Margaret Thatcher. Wenn auch ohne Handtasche.

SZ: Er hat leider nichts zum Schwingen.

Daltrey: Ich bin kein Pessimist, aber ich bin in dieser Sache wirklich deprimiert. Weil wir gute Politiker verdienen und schlechte bekommen. Schauen Sie sich diesen Wahnsinnigen im Weißen Haus an! (Aus den Hotellautsprechern und später auf dem Tonband läuft Musik wie fürs Schaumbad).

SZ: Sie sagten, The Who gehen wieder auf Tournee?

Daltrey: Ich glaube, die Band ist besser als je zuvor, die Dynamik ist da, die Energie, es ist, als würden John und Keith durch die Musik wieder lebendig - und Pete spielt wie noch nie.

SZ: Wann geht es los?

Daltrey: Ende Mai wahrscheinlich.

SZ: Aber das geht doch gar nicht, da ist Fußballweltmeisterschaft in Deutschland.

Daltrey: Wir spielen zunächst auch nicht hier. Fußball ist ein so tolles Spiel.

SZ: Und die Engländer haben es erfunden.

Daltrey: Ich wünschte bloß, wir wären besser.

SZ: Stimmt es eigentlich, dass beim ersten Fußballspiel mit dem abgeschlagenen Kopf eines Königs gespielt wurde?

Daltrey: Keine Ahnung. Aber wir behaupten es natürlich einfach mal. Es klingt so vollkommen britisch.

Roger Daltrey, der am 1. März 62 wird, ist Sänger einer der größten und vormals auch gewalttätigsten Rockbands der Musikgeschichte - The Who. Er trug Songs vor, die Gitarrist Pete Townshend geschrieben hatte. Die stürmische und theatralische Musik der Who beeinflusst bis heute zahllose Nachfolger, einer der prominentesten ist Paul Weller. Zur ursprünglichen Besetzung der Band gehörten Keith Moon (Schlagzeug) und John Entwistle (Bass), die beide inzwischen gestorben sind. Vom Sommer an wird Daltrey noch einmal mit Townshend auf Tournee gehen und von seiner Generation erzählen. Bei Warner Music ist eine DVD mit den Who-Opern "Tommy" und "Quadrophenia" erschienen.

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