Treffen mit Steve Albini:"Mein Hass gegen Popmusik hat nie nachgelassen"

July 24 2014 Chicago IL USA Steve Albini in his studio on July 24 2014 in Chicago Chicago U

Steve Albini in seinem Studio in Chicago. Seit 1997 nimmt er dort Rockgeschichte auf. Bis vor Kurzem wohnte er dort auch noch mit seiner Frau.

(Foto: ZUMA Press/imago)

Steve Albini hat den Klang der Gitarrenmusik der frühen Neunzigerjahre geprägt wie kein anderer Produzent. Gegen Pop hat er allerdings fast körperliche Abwehrreaktionen. Eine Begegnung.

Von Juliane Liebert

Es ist ein heiterer Mittwochmorgen in Texas, die Sonne scheint, und Steve Albini hasst Popmusik mit der gleichen unvermittelten Intensität wie seit 40 Jahren. Er ist der Produzent, dessen Sound in den frühen Neunzigern den Maßstab gesetzt hat, wie Gitarrenmusik klingen muss. Er hat "Surfer Rosa" von den Pixies aufgenommen, Nirvanas "In Utero", PJ Harveys "Rid of me", Joanna Newsoms "Ys", Neurosis' "Times of Grace". Seit 1978 verewigt er Musiker auf Band, seine Prinzipien haben sich seitdem wenig geändert.

"Popmusik ist mir so fremd wie Autoherstellung", sagt er, "ich komme aus dem Punkrock. Der war eine Reaktion gegen Popmusik. Mein Hass gegen Popmusik hat nie nachgelassen. Für mich war Popmusik immer etwas für Kinder und Menschen, die Musik eigentlich nicht mögen. Leute, die was im Hintergrund hören wollen. Es könnte genauso gut Katy Perry sein wie irgendetwas anderes. Wenn das jemandem gefällt, sehr gut, freut mich für ihn. Aber ich habe eine beinahe körperliche Abwehrreaktion gegen Popmusik. Wenn ich sie zuerst höre, verabscheue ich sie, wenn sie weiterläuft, verschwindet sie im Hintergrund und klingt nach nichts." Er deutet um sich: "Wir sitzen in dieser Lobby. Hören diese Popmusik, die aus den Lautsprechern da drüben kommt. Seit 15 Minuten. Mit einer Knarre gegen meinen Kopf, ich könnte NICHTS über diese Musik sagen."

Keine Band ist "natürlicher", nur weil sie nach übersteuertem Vierspurrekorder klingt

Steve Albini betreibt in Chicago das Studio Electrical Audio. 1995 hat er das Gebäude gekauft, 1997 hat er die beiden hauseigenen Studios eröffnet. Davor führte er sein Studio in dem Haus, in dem er mit seiner Frau lebte, einem typischen Kleinfamilienhaus in Chicago. Es gab einen Vordereingang, ein Wohnzimmer. Einen tristen Korridor in die Küche. Ein Schlafzimmer vorn und eines hinten. "Das war's. Das Schlafzimmer vorne war das Büro des Studios. In dem hinterem schliefen meine Frau und ich. Alles andere war Lounge für die Musiker. Der Dachboden war der Kontrollraum. Im Keller war die 'Plank Area' für die Performances." Immer wenn er ein Mikrofon umstellen wollte, musste er beide Treppen hoch und wieder runter laufen. Er lebte 17 Jahre in dem Gebäude. Seine Frau und er zogen vor drei Jahren aus. Sie war glücklich. "Es war das erste Mal seit zwanzig Jahren, dass sie nicht von anderen Leuten umgeben war." Neben seiner Tätigkeit als Produzent war er in verschiedenen Bands, Shellac, Big Black, Rapeman und Pigface, Gitarrist und Sänger.

Steve Albini hat das Rohe, Unvermittelte mit dem Schalldruck, den hochwertige Studiotechnik liefern kann, versöhnt. Seine Produktionen zeigen, dass Authentizität nicht zwangsläufig eine Kitschvorstellung sein muss. Aber sie fällt eben weder vom Himmel, noch findet man sie auf der Straße. Jede Aufnahme ist ein technischer Prozess, eine Übertragung in ein anderes Medium. Dogma-Film ist eben nicht deshalb natürlicher, weil die Kamera wackelt. Genauso wenig ist eine Band "natürlicher", weil sie nach übersteuertem Vierspurrekorder klingt. Aber man kann - wie beim Übersetzen oder wenn man einen historischen Film dreht - etwas evozieren. Durch die Konstruktion, die erst einmal wie eine Lüge wirkt, die Wahrheit sagen.

Das ist Albinis Leistung: Er hat einen Sound erschaffen, der eindeutig nach Studio klingt, aber einem das Gefühl gibt, mitten im Proberaum zu stehen und die E-Gitarre zu hören, während sie gerade gespielt wird.

Er nimmt keine Tantiemen von den Songs, die er produziert, denn er sieht sich nicht als Produzenten im konventionellen Sinne. "Der konventionelle Produzent ist für die Regie der Platte verantwortlich. Er sucht die Songs aus, entscheidet die Arrangements. Ich organisiere nur die technischen Details der Session. Ich will keine Tantiemen für die Platte von jemand anderem. Klar, ich habe daran gearbeitet, aber wie lange? Fünf Tage oder eine Woche. Die Musiker stecken ihr ganzes Leben in ihre Aufnahme. Darum erscheint es mir unangemessen, immer weiter für eine Aufnahme bezahlt zu werden."

Das Totalfluide prallt auf die Körperlichkeit

Eine von Steve Albini aufgenommene Bassdrum klingt anders. Sie poltert wie in einem Proberaum, sie ist nicht einfach nur ein klinisches "Kick"-Geräusch für den Rhythmus, sondern ein richtiges Instrument. Obwohl sie druckvoll produziert ist, kann man den Resonanzkörper der Trommel hören. Dadurch klingen seine Produktionen auch sehr räumlich. Es ist, als würde er auf der Platte einen Ort eröffnen, in dem die Musik gerade in diesem Augenblick passiert. Angeblich war PJ Harvey von seiner Produktion ihres Albums "Rid of me" gar nicht so begeistert. Aber gerade bei ihrer Stimme ist es unheimlich wirkungsvoll, dass er sie aufgenommen hat, als hätte sie gar kein Gesangsmikro, sondern würde irgendwo aus der Tiefe des Proberaums schreien.

Die Bands, die zu ihm kommen, sind Livekünstler. "Mein Ansatz war immer der des Realismus, nicht der Authentizität." Für ihn ist das eine weitere Parallele zum Film: Als es möglich wurde, Computereffekte (CGI) zu verwenden, gab es eine Phase, in der in Filmen mit normalen Menschen ein vereinzelter CGI-Moment vorkam, der einfach nur den Effekt des Naturalismus verdarb. "Es gab dieses Element nur, um die Ambitionen des Regisseurs zu befriedigen, und es reißt dich aus dem Moment und lässt dich alle hassen, die involviert sind. Es verdirbt alles."

Er hat den Klang der Gitarrenmusik der frühen Neunzigerjahre geprägt wie vielleicht kein anderer Produzent

Denn für Albini ist Musik Kommunikation. "Wenn es sich für mich als Zuhörer anfühlt, als würde ich direkt mit dieser Person kommunizieren, ist das der befriedigendste Moment. Ich hasse es, wenn ich mich fühle, als würde ich auf Armlänge ferngehalten. Seit der Einführung der elektronischen Aufnahmeverfahren um 1980 ist die Produktion ein Wettrüsten, die Musik immer fantastischer zu machen. Besonders Popmusik, da sie unbegrenzte Ressourcen und durch die Technologie jetzt unbegrenzte Möglichkeiten im Studio hat. Du willst hundert Stimmen? Kannst du haben. Du willst Kanonen und ein Symphonieorchester? Kein Problem."

Er hat den Klang der Gitarrenmusik der frühen Neunzigerjahre geprägt wie vielleicht kein anderer Produzent - nicht, weil es nicht genug andere Produzenten gegeben hätte, Butch Vig etwa oder Rick Rubin, sondern weil sein Sound extrem charakteristisch ist. Wer ein, zwei Steve-Albini-Alben hat, die er liebt, wird seine Produktionen immer wieder erkennen.

Gerade heute ist seine Auffassung von Musik ein interessanter Gegensatz zur Mode. Das Totalfluide des Internets prallt mit ihr auf die Körperlichkeit, Begrenztheit und Endlichkeit des Klanges. In diesem Zusammenprall reagieren nicht nur ästhetische Gegensätze miteinander, sondern auch die beiden Pole zivilisatorischer Urangst: Alles Menschliche könnte sich in der rasanten Entwicklung auflösen, obsolet werden. Andererseits ist da die Furcht vor der Fragilität dieser Welt der unbegrenzten Möglichkeiten. Was, wenn ihr hochkomplexes Fundament wegbricht und es auch in der heute wohlhabenden Welt ums nackte Überleben geht? Diese Ängste sind ja nicht abstrakt, sondern sie schlagen sich konkret in den erbitterten politischen Auseinandersetzungen unserer Zeit nieder.

Er selbst ist nicht nostalgisch, er hat seinen Platz gefunden und zieht das durch, woran er glaubt. Steve Albini liebt bis heute die frühe elektronische Musik, Can, Kraftwerk, in der sich die Musiker ganz eigene Instrumente und Aufnahmekonzepte ausdachten. "Du baust dir deine eigene Welt, rauchst einen Joint und spielst die ganze Nacht. Das ist keine Isolation, aber eine Art, einen Abstand zwischen dir und der Welt zu erschaffen. Ich bewundere das. Als ich Punkmusik entdeckte, war sie perfekt für mich. Es war die Ablehnung der Hübschheit und Konformität der Popmusik dieser Zeit. Sie umfing all die billigen Instrumente, miesen Klänge, schlechten Sänger, hässlichen Menschen, all das, was dem Showbiz diametral entgegensteht. Sie war eine Umgebung, die für mich und meine Außenseiterfreunde gemacht war. Sie war vollkommen meins."

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