Süddeutsche Zeitung

Konzert der Einstürzenden Neubauten:Die Elbphilharmonie überlebt auch Bierflaschen

Die Band Einstürzende Neubauten spielt das erste echte Volkskonzert in der neuen Hamburger Hochkulturhalle. Die fremdelt nur ein bisschen.

Konzertkritik von Till Briegleb

Sie steht noch. Die Elbphilharmonie hat die Einstürzenden Neubauten überlebt. Nicht nur deren ominösen Namen, der kurz daran erinnert, dass ein zweijähriger Baustopp hier einst damit begründet wurde, der frei aufgehängte Saal sei eventuell einsturzgefährdet. Das strahlend helle Gebäude mit seiner edlen Ausstattung hat auch die Bierflaschen überlebt, die Alexander Hacke auf den Rand einer Box stellte, oder die aus einer Kippe rieselnden Metallteile von N. U. Unruh. Der in seiner feingliedrigen Neuheit so verletzlich wirkende Saal, der das maximale Gegenteil von der nicht weit entfernten, schwarz gestrichenen Hamburger Markthalle ist, in der die Neubauten in den Achtzigern aufgetreten sind, sah sein erstes echtes Volkskonzert - und fremdelte nur ein bisschen.

Denn die erwachsen oder alt gewordenen Indie-Hörer, die mit der gleichen freudigen Neugier ins Musikhaus strömten wie in den Tagen davor die Freunde der Klassik, sind eben kein Stilbruch mehr in puncto Lebensart. Nachdem die Mäntel an der Garderobe abgegeben sind, sieht man Herren mit Fliege oder einem Joy-Division-T-Shirt unterm Jackett, stark geschminkte Türkenfrauen und ältere Damen in rotem Kostüm, eine Reihe Vollbärtiger neben einem weißhaarigen Ehepaar, das schon beim Chicago Symphony Orchestra hier war. Nette Stadtgesellschaft, die Selfies macht und erschrocken Laut gibt, als Blixa Bargeld für "Silence Is Sexy" zum Schein mit einer Zigarette auf die Bühne kommt.

Die finale Verwandlung in Hochkultur

Angst um den schönen hellen Boden, das ist ein aufrichtiges Gefühl in diesem Sitzkonzert einer Band, die Löcher in Böden und Wänden nach ihren energetischen Performances einst wie selbstverständlich in Konzerthallen hinterließ. Dieses allpräsente Gefühl von Kostbarkeit färbt auf die Wahrnehmung ab. Waren die Einstürzenden Neubauten wirklich immer so unglaublich sanft, wie es in diesem sandfarbenen Weinberg den Eindruck macht? Liegt es am Saal, dass die trommelnde Bearbeitung von Schrottteilen und Baumarktrohren überhaupt kein Diversitätsgefühl mehr erzeugt, sodass Blixa Bargeld mit einer "klassischen" Anmoderation ihre finale Verwandlung in Hochkultur an diesem Ort ironisch fassen muss: "Wir sind das Ensemble Einstürzende Neubauten", erklärt er unter verständigem Gelächter: "Als Anhänger einer historisch rabiaten Aufführungspraxis werden wir auf historischen Instrumenten spielen."

Dann feiert das Ensemble, bei dem für jeden Nostalgiker der prägende Schlagmann F. M. Einheit fehlt, das gemeinsame Älterwerden mit "Greatest Hits". Am Anfang noch irgendwie aufrührerisch und textunverständlich mit "Haus der Lüge" und "Let's Do It A Dada", bekommt das performative Erinnern sehr bald die Züge eines entspannten Las-Vegas-Konzertes mit Showeinlagen aus der Vulkanschmiede. Blixa Bargeld kultiviert mittlerweile die Dean-Martin-Pose des freundlichen Entertainers in Barfuß, Alexander Hacke rockt seine einschmiegsamen Harmonien auch unbeschuht auf dem Bass, als seien es Slayer-Akkorde, und N. U. Unruh verrichtet seine Einsätze an Ölfässern, Stahlrohren und knisternder goldener Rettungsfolie mit der Zurückhaltung und dem schwarzen Hütchen eines Hip-Hop-DJs.

Das ist schön, würdig und lyrisch, man sieht nur glückliche Menschen, die ihre Bewunderung für die Literatur, die Blixa Bargeld seit 35 Jahren singend als zerbrechliches Gut konserviert, in stehende Ovationen verwandeln. Nichts mehr an diesem Auftritt ist Skandal, es ist Vortrag, wie es dem Lebensalter, dem Gebäude und der Kunstbeharrlichkeit dieser Band angemessen ist. Deswegen endet der Abend auch sehr bewusst mit dem letzten Satz aus "Redukt", der im Klangpalast der Elbphilharmonie wie ein Willkommensgruß fürs Alter lange nachhallt: "Endlich, unendlich, in Ruhe gelassen, aber beweglich, frei zu lärmen, ohne Schuld!"

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SZ vom 23.01.2017/doer
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