Süddeutsche Zeitung

Rock:Radikal egal

Thees Uhlmann hat auf seinem neuen Album zu einer beflügelnden Wurschtigkeit gefunden. Wie ihm das gelungen ist, erzählt er vor den München-Gigs mit seiner neuen Band

Von Bernhard Blöchl

Thees Uhlmann ist irritiert. Der Ex-Hamburger kommt gerade vom Zug aus Berlin, und in dem Schwabinger Lokal läuft Musik aus seiner alten Heimat. Anfangs sagt er noch: "Mensch, jetzt sitzen wir hier in Dings, und Fettes Brot sind am Start!" Später, als ein Song von Jan Delay erklingt, fragt er ins Nichts: "Wollen die mich verarschen?" Für jemanden, der wegen seiner Rockband Tomte lange bei jeder Gelegenheit auf die sogenannte Hamburger Schule angesprochen wurde, mag das zu viel der Holzhammer-Symbolik sein, wenngleich, wahrscheinlich, dem Zufall geschuldet.

Aber Tomte schweigen, Uhlmanns Kiez ist längst die Hauptstadt, und spannender ist ohnehin, mit dem 45-Jährigen über München und Bayern zu reden. Denn erstens hat das direkt mit seinem neuen Album "Junkies und Scientologen" zu tun, dem ersten seit sechs Jahren, dessen Opener heißt, was Sache war: "Fünf Jahre nicht gesungen". Und zweitens verbindet Uhlmann mit München "ganz, ganz viel", wie er sagt. Hier lebe sein Patenkind, "der Mittlere von Achim Bogdahn", dem bekannten Radiomoderator vom BR. Schon deshalb sei er regelmäßig da, habe "eine religiöse Beziehung zum Deutschen Museum" und interessiere sich brennend für die Unterschiede zwischen Berlin und München. "Meine Tochter würde sich hier wundern: Warum ist denn hier nichts vollgesprüht?"

Was nun die neue Musik betrifft, die ein bisschen anders ist als zuletzt, erdig, dringlich, expressiv, hatte ein Landshuter seine virtuosen Finger im Spiel. Weil es mit dem Ex-Münchner Songwriter Tobias Kuhn, an dessen Seite Thees Uhlmann 2011 seine Solo-Karriere gestartet und sie seitdem vorangetrieben hat, nicht mehr klappen wollte ("Es hat einfach nicht mehr funktioniert"). Also kamen alte Freunde ins Spiel, um ihn aus der Schaffenskrise herauszuziehen: Der eine, Rudi Maier alias Burkini Beach aus Landshut; der andere, Simon Frontzek, der mitunter bei Tomte mitspielte und in Berlin ein kleines Tonstudio hat. Zu dritt haben sie neue Songs geschrieben, zu dritt haben sie produziert ("normalerweise ist das ja immer der Untergang der Band, wenn der Sänger zum ersten Mal mitproduziert").

Wie nun sah sie aus, die Arbeit im neuen Team? Uhlmann greift zur Speisekarte des Lokals. "Du musst dir das so vorstellen", sagt er. "Ich habe schon mal eine Speisekarte vorbereitet, hier gibt es Rotkohl, Quinoasalat, Cashew, Minze, Granatapfel, Avocado, und dann sagt jemand: Weißt du was, wir machen noch Kichererbsenmaissalat, und die Gurke machen wir auch noch rein. Ich sage dann: Alter, genial!" Soll heißen: Die Ideen kamen meist von Uhlmann, Frontzek und Maier haben verfeinert. "Ich arbeite nicht gern allein", sagt der Gitarrist und Sänger, "ich bin auch nicht gut allein."

Das Ergebnis sind seine vielleicht besten Songs einer kompromisslosen Platte. Mal politisch ("Menschen ohne Angst wissen nicht, wie man singt"), mal im schönsten Sinne provinziell ("Was wird aus Hannover"), meist ergreifend ("100 000 Songs"), klug und sensibel betextet. Hier bezirzt die Trompete von Sven Regener, dort die Mundharmonika - alles prima in diesen herrlich ruppigen Rockwelten.

Die vielleicht größte Erkenntnis des dritten Soloalbums wie auch der Schwabinger Begegnung ist die neue Thees'sche Wurschtigkeit. Es scheint, als hätten Uhlmann und seine Freunde alle Regeln des sich stark verändernden Musikmarktes freudig ignoriert - und sich zu kerniger Kraft hochgeschaukelt. Das beginnt bei der Länge der Stücke, nimmt bei den Themen anarchische Züge an und hört bei der Bandgröße lange nicht auf. "Wenn der Song jetzt 5.30 Minuten lang ist, scheißegal, interessiert ja eh keinen mehr", sagt er und wird lauter. "Lange deutsche Texte interessieren ja auch keinen mehr, dann können wir das ja ruhig machen." Der Titelsong ist sogar mehr als sechs Minuten lang, Uhlmann spricht von den längsten Texten, die er je geschrieben habe. Und er singt, worauf er Lust hat, mal über die Prägung durch den Horrormeister Stephen King ("Danke für die Angst"), mal über einen viel zu früh verstorbenen DJ-Star ("Avicii"), mal in einem Atemzug über den Popstar Katy Perry und den englischen Künstler Grayson Perry ("Katy Grayson Perry"). "Scheißegal. Machen wir. Ist doch lustig", kommentiert er. "Vielleicht sitzt Katy Perry irgendwann da und gibt ihren Namen bei Spotify ein, und dann so: Who the fuck is Thees Uhlmann?" Einen weiteren Song, eine Rap-kritische, zärtelnde Ballade, nennt er halt mal so: "Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach Hip-Hop-Videodrehs nach Hause fährt". Ha! Das ist Rock'n'Roll, der Demut und Bescheidenheit beschwört, Werte, die Uhlmann selbst lebt: "Manche Leute brauchen Produzenten aus New York, ich brauch' Rudi Maier aus Landshut", sagt er etwa, oder: "Ich bin nicht talentiert, ich bin Arbeiter. Mittelschicht, klar, aber was die Kunst anbelangt, bin ich auf jeden Fall Arbeiter." Und im Opener, da singt er: "Das Leben ist kein Highway, es ist die B73."

Die Zauberformel für die neue Wurschtigkeit lautet "Wimamu!". Wimawas? "Im Studio, wenn uns der Mut verlassen hat, haben wir geschrien: Wimamu! Wimamu! Wir machen Musik!" Alles egal, einfach los. Ein beflügelnder Spirit im Team. In den vergangenen Jahren war Thees Uhlmann ja oft das Gegenteil, also allein. Er hat einen Roman geschrieben, der sich inzwischen mehr als 100 000 Mal verkauft hat: "Sophia, der Tod und ich". Dazu gab's eine Lesetour. Und am 10. Oktober erscheint, ebenfalls bei Kiepenheuer & Witsch, ein kleines Sachbuch über Die Toten Hosen, eine subjektive Liebeserklärung. Dazu Uhlmann: "Campino schrieb mir: ,Wenn das so wird, wie die E-Mails, die du uns sonst so ab 23 Uhr schickst, dann freuen wir uns alle sehr auf das Buch.'" Wie aber war das Schreiben im Vergleich zur Musik? "Ganz simpel gesagt, aber ich mein's natürlich superschlau: Beim Buch hast du keinen, mit dem du feiern kannst."

Das kann er jetzt wieder, und zwar exzessiv. Sieben Musiker hat seine neue Band, darunter die beiden Mitproduzenten und Gitarristin Nitzan Hoffmann. "Das ist jetzt ein ganz schönes Rock'n'Roll-Feuerwerk, ich meine sieben Musiker - das ist schon Lynyrd Skynyrd-mäßig."

Thees Uhlmann & Band, So., 29. Sep., 20 Uhr, Ampere, Zellstr. 4; Sa., 7. Dez., 20 Uhr, Tonhalle, Atelierstr. 24; Lesung aus "Die Toten Hosen", Fr., 17. Jan., 20 Uhr, Muffathalle

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Quelle:
SZ vom 27.09.2019
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