Süddeutsche Zeitung

Robin Gibb ist tot:Melancholiker mit eigenem Kopf

Als Leadsänger der "Bee Gees" galt Robin Gibb weniger als der smarte Schwiegersohn von nebenan denn als Hirn der Brüder-Band. Er schuf den unvergleichlichen Sound, für den die "Bee Gees" stehen, standen und immer stehen werden. Die Popwelt nimmt Abschied von einem spektakulären Künstler.

Bernd Graff

Angeblich, so hieß es, verlaufe seine Genesung "spektakulär" und sei selbst für die Ärzte überraschend. Robin Gibb, Zeit seines Lebens selber spektakulär und begnadeter Sänger der Popgruppe The Bee Gees, konnte dem Tod dann doch kein Schnippchen schlagen. Seit 2010 litt er an einer Krebserkrankung, im Februar trat er noch einmal im Londoner Palladium auf. Dann ereilte ihn eine Lungenentzündung, im April lag er mehrere Tage im Koma. 62 Jahre alt ist der Brite geworden. Er hat Generationen von Menschen glücklich gemacht. Unprätentiös und auch ein wenig verspielt harmlos vielleicht, doch das können nur wenige Popstars von sich behaupten.

Klar, im Alter waren seine besten Lieder sicherlich inzwischen zu jung für ihn. So viel gute Laune und Saturday Night Fever wollten einfach nicht mehr zum Alter passen. Das tut seinem Ruhm jedoch keinen Abbruch. Denn dass man ihn, den Ehrendoktor der Universität Manchester, mit der Familienbanden-Band Bee Gees identifiziert, sie gilt als die erfolgreichste Familienband der Welt, liegt ganz eindeutig nicht an den Brüdern Barry und Robins Zwillingsbruder Maurice, sondern an Robins Komponistenleistung. Er hat jenen Spirit of Sound erfunden, für den die Bee Gees stehen, standen und immer noch stehen werden, wenn man nicht einmal mehr erinnern kann, dass Männer einmal Falsett gesungen haben.

Robin ist der Kopf der Gebrüder-Band gewesen, und das, obwohl Barry - er wurde 1968 zum schönsten Mann der Welt gewählt, wohl, weil er anders als die meisten seiner Kollegen einen Fön und eine Rundbürste besaß - als der bestaussehendste Gibb gilt und offen gestanden sehr viel erfolgreicher als Produzent für die Songs von Barbara Streisand, Diana Ross, Céline Dion und Dolly Parton auf dem Chartmarkt unterwegs ist. Barry, das dazu, hat aber auch die nervige Falsett-Stimme. Robin Gibb hingegen galt weniger als der cleane Boy-Next-Door-Typ, sondern als das Hirn der Band. Ein Melancholiker vor dem Herrn mit leicht psychedelischen Anklängen, der zuletzt der Titanic noch ein Requiem zum 100. Untergangstag spendierte. Zusammen mit seinem Sohn Robin-John, 29, hatte er es komponiert. Dessen Aufführung durch das Royal Philharmonic Orchestra am 10. April 2012 konnte Robin indes schon nicht mehr besuchen.

Die Bee Gees begannen ihre Karriere in Australien. Dorthin war die nach Aussage Robins "bettelarme Familie" - "Wir mussten uns zu dritt ein kleines Bett teilen. Der Putz kam von den Wänden und es regnete durch die Decken" - von der Isle of Man über Manchester ausgewandert. Die Brüder sangen Trällersongs, die sie aus dem Radio kannten, vor Kino-Publikum nach. Robin dazu in Focus Online: "Wir haben harmonische Songs im Radio gehört, von Bands, die wir gar nicht kannten, und das haben wir einfach nachgemacht. Wir benötigten keine Ermutigung." Irgendwie hatte man damit Down-Under Erfolg. Doch erst, als die Familie 1967 mit dem frischen Plattenvertrag der Gebrüder in der Tasche zurück nach Großbritannien zog, kam die internationale Karriere so richtig in Schwung.

Die Bee Gees galten rasch als die Hauptkonkurrenten der bedröhnten Rolling Stones, aber auch der Beatles, weil sie noch porentief reiner, noch sauberer, noch argloser und noch unschuldiger galten als die Pilzköpfe. Bee-Gees-Songs orientierten sich an Beatles-Songs und Everly-Brothers-Songs, ganz klar. Aber sie brachten ihre eigenen mit eingestreuten Orchesterelementen und klarem Harmoniegesang wie durch den Wollwaschschongang gezogen zu Gehör.

Bis Anfang der siebziger Jahre gelang es den Bee Gees dank ihrer musikalischen Vielseitigkeit, die weltweiten Charts mit Smash-Hits zu erobern. 1968 erschien "Horizontal", eines ihrer besten Alben aus der ersten Periode, das mit "Massachusetts" einen melancholischen Welthit enthielt, der es mit der Portionierung von Violinen-Einsätzen wirklich zu gut meinte. Doch die Bee Gees konnten was als Songwriter und Komponisten, keine Frage. Allerdings hatten die großen Erfolge dieser ersten Jahre die Gebrüder auch unter nicht unerheblichen Erfolgsdruck gesetzt. Es rumorte im trauten Heim, und nach einem heftigen Streit beschloss Robin 1969, die Gruppe zu verlassen, um seine Solokarriere zu starten.

Die übrig gebliebenen Barry und Maurice taten dasselbe als Duo - allein, niemand aus dem Hause Gibb wurde damit glücklich. Am Ende des Jahres 1970 war die Trotzphase der Gebrüder vorbei und man arbeitete - erfolgreicher denn je - wieder zusammen. Zwar waren Kritiker auch genervt von der klagend-eingängigen Eintönigkeit der neuen Bee Gees und ihrem mangelnden Ideen-Reichtum, doch nun ging es kommerziell steil nach oben mit ihnen.

1975 erschien das von dem neuen Produzenten Arif Mardin betreute Album "Main Course", das drei große Hits beinhaltet: "Jive Talkin', "Nights On Broadway" und "Fanny (Be Tender With My Love)". Das war Disco pur, Aufzug-Musik vom Feinsten und für Rockfans unerträglich. Nach dem nächsten Album "Children Of The World", das den Top-Hit "You Should Be Dancing" beinhaltete, war für die Bee Gees der Himmel das Limit. Ihr Manager Robert Stigwood produzierte den Kinofilm Saturday Night Fever, jenen Film mit John Travolta, in dem sich weißer Anzug auf Pomade reimte. Diesen vier Songs aus dem Soundtrack, in aller Eile aufgenommen, entkam dann damals niemand: "How Deep Is Your Love", "Stayin' Alive", "Night Fever" und "Too Much Heaven" - alle Megahits weltweit. "Saturday Night Fever" toppte 1977 die Charts, hielt sich fast ein halbes Jahr auf Platz eins der US-Charts und wurde bis heute weltweit mehr als 40 Millionen Mal verkauft.

Beatles statt Boygroups

1978 traten die Gebrüder Bee Gees, eine Abkürzung nach den Anfangsbuchstaben ihres Namens übrigens: "Brothers Gibb", in New York bei der Gala "A Gift For A Song - The Music For Unicef" im UN-Gebäude auf. Sie brachten dort "Too Much Heaven" zur Darbietung. Ihr im nächsten Jahr erschienenes, inzwischen nur noch Falsett dominiertes Album "Spirits Having Flown" enthielt den Hit "Tragedy" und verkaufte sich mehr als 20 Millionen Mal. Nach diesem Album war die Disko-Uffta-Uffta-Luft eigentlich raus, sie kreischte in den Ohren, genau wie die Siebzigerjahre-Designs nun den Augen weh taten. Man warf den Bee Gees offen abgeschmackte Ideenlosigkeit vor.

Die Gebrüder pausierten eine Weile als öffentlich auftretende Band, produzierten nun aber erfolgreich für andere. Erst 1987 kamen die Bee Gees wieder aus dem Studio und hatten den Comeback-Hit "You Win Again" in der Tasche. Aber die Gebrüder hatten endgültig ihren Disco-Stempel aufgedrückt bekommen, nun ein Kainsmal für Retro-Musik. Das änderte sich auch nicht, als in den Neunzigern die frisch aufgekommen Boygroups die nachwachsenden Generationen mit den Bee-Gees-Oldies noch einmal erwärmten.

Drei Songs von ihnen waren 1996 wieder in den Charts: "How Deep Is Your Love", die letzte Single von Take That, "Stayin' Alive" von N-Trance und "Words" von Boyzone. Den direkten Vergleich der Bee Gees mit den Boygroups lehnte Robin Gibb jedoch ab: "Dazu kann ich nur sagen, dass ich noch nie eine Boygroup gesehen habe, die ihre Songs selbst geschrieben hat und selbst Instrumente spielt. Ich denke, dass wir eher im Bereich der Beatles anzusiedeln sind als im Bereich der Boygroups. Wir haben auch nie irgendwelche Schritte für die Bühne eingeübt. Wir haben nie getanzt. [...] Wenn du ein Musiker, Sänger und Songwriter bist, sollte es meiner Meinung nach genügen, wenn du deine Songs auf der Bühne darbietest. Diese einstudierten Aufführungen sind etwas für Balletttänzer und Pantomimen."

So war Robin. Kein Tänzer, kein ewiger Schwiegersohn, er war sein eigener Kopf. Auch ein zeitenresistent störrischer: "Wenn wir einen Song schreiben, sei es nun für uns oder einen anderen Interpreten, verlassen wir uns nur auf unsere Stimmen und die Gitarre. Und so sollte es auch auf dem Album klingen, denn das ist einfach das, was wir am besten können", so hat er es dem konsternierten Focus-Online-Reporter um die Ohren gepfeffert. Freundlich und höflich, auch das natürlich - eben britisch. In einem seiner letzten TV-Interviews Ende 2011 sagte er: "Nothing will stop me from doing this."

Am Sonntag ist Robin Gibb seiner schweren Krankheit und den anschließenden Komplikationen erlegen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1333843
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/cag/gba
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.