Süddeutsche Zeitung

Bücher des Monats:Rückzug in die Natur

Naturessays von Harry Martinson, ein neuaufgelegter Roman aus dem von Nazideutschland besetzten Amsterdam sowie Biografien von Robert Habeck und Angela Merkel. Die Bücher des Monats.

Von SZ-Autoren

Grete Weil: Tramhalte Beethovenstraat

Die jüdische Münchner Schriftstellerin betrieb in Amsterdam gerade ein Fotostudio, als die Wehrmacht die Stadt besetzte. In ihrem Roman "Tramhalte Beethovenstraat" erzählt sie von dieser Zeit entlang der Figur eines deutschen Journalisten, der in Amsterdam Jubelberichte für die deutsche Presse herzustellen hat. Er hasst seine Arbeit, doch sie bewahrt ihn immerhin vor dem Fronteinsatz. Er schließt Freundschaften, beobachtet Deportationen, versucht sich zu seiner eigenen Zeugenschaft zu verhalten. Grete Weils Sprache bleibt nüchtern im Angesicht des Schreckens. Sie weiß, was sie gesehen hat und muss nichts überzeichnen. Der Roman war jahrzehntelang vergriffen, endlich wurde er neu aufgelegt.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Burkhardt Müller

Harry Martinson: Schwärmer und Schnaken

Das Nature Writing erlebt eine große Renaissance. Diese Welle spült auch Klassiker des Genres wieder an die Oberfläche, darunter die schwärmerischen Essays des schwedischen Literaturnobelpreisträgers Harry Martinson. Martinson gehörte der Zwischenkriegsgeneration an, die sich von ihrem Zivilisationspessimismus in eine naive, kindliche Naturbegeisterung flüchtete. Einen Großteil seines Lebens verbrachte er in einer abgelegenen Hütte in der Seenlandschaft südlich von Stockholm und lauschte dort den Vögeln und den Wipfeln, betrachtete den Wechsel der Jahreszeiten. Die Naturessays, die dabei entstanden sind und jetzt in einer neuen Sammlung erschienen sind, gehören zu den besten ihrer Art.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Christoph Schröder

Leïla Slimani: Das Land der Anderen

Für ihren Roman "Dann schlaf auch du" hat die bis dahin wenig bekannte französische Autorin Leïla Slimani im Jahr 2016 überraschend den Prix Goncourt bekommen. Das Buch avancierte daraufhin zum Weltbestseller und machte Slimani zu einer Autorin, die in der Vogue ebenso ehrfurchtsvoll bestaunt wurde wie in der klassischen Literaturkritik. Emmanuel Macron, berichteten französische Zeitungen, soll ihr den Posten als Kulturministerin angeboten haben. Slimani schlug ihn aus und schrieb stattdessen den Roman "Das Land der Anderen", der in Frankreich sofort ein Bestseller wurde. Er erzählt von der Liebe zwischen einer Elsässerin und eines Marokkaners, die sich am Ende des Zweiten Weltkrieges kennenlernen und im Zuge der Dekolonialisierung in Schwierigkeiten geraten.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Birthe Mühlhoff

Mathias Enard: Das Jahresbankett der Totengräber

In Mathias Enards Roman "Das Jahresbankett der Totengräber" zieht ein Städter aufs Land und wird dort glücklich. So könnte man das Buch lesen, allerdings entginge einem dabei das Wesentliche. Das Buch adaptiert die buddhistische Wiedergeburtslehre, überträgt sie auf den französischen Roman und entwickelt so eine revolutionäre Erzählweise: Alles verdreht und verwandelt sich, wird zu einem Organismus, Perspektiven und Grenzen lösen sich auf, Wissensräume fließen ineinander. Nicht jeder Autor könnte bei so einem weitschweifigen Projekt die Zügel in der Hand behalten. Mathias Enard aber kann es.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Hubert Winkels

Robin Alexander: Machtverfall

Der Reporter Robin Alexander hat sein Ohr ganz nah an der Macht. Er hat vor einigen Jahren den sehr umstrittenen Bestseller "Die Getriebenen" veröffentlicht. Damals ging es um das echte oder vermeintliche Versagen der Bundesregierung in der Flüchtlingskrise 2015. Diesmal geht es um das Ende der Ära Merkel, der Titel ist mit "Machtverfall" wiederum sehr plakativ. Wieder setzt Alexander auf das erzählerische Prinzip der Rekonstruktion - und erschafft aus vielem Bekannten, einigen Anekdoten und viel Klein-Klein der Politikarbeit in Pandemie-Zeiten ein interessantes Schlachten- und Sittengemälde deutscher Politik. Ein Buch zwischen Dokutainment und Politthriller der turbulenten Berliner Zeit von 2017 bis zum Frühjahr 2021.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Cornelius Pollmer

Stefan Berkholz: "Das ganze Ding ist ein Risiko." Robert Habeck. Eine Nahaufnahme

Robert Habeck ist zwar nicht der Kanzlerkandidat der Grünen, aber dennoch ist er derzeit omnipräsent. Nicht nur mit Waffenlieferungsideen für die Ukraine, auch sein Umgang mit der Niederlage gegen Annalena Baerbock ist von allgemeinem öffentlichem Interesse. Da lohnt sich die Biografie des Journalisten Stefan Berkholz. Er zeigt in seinem umfassenden Werk (mit mehr als 1000 Anmerkungen), wie der Mensch, Philosoph und Politiker Habeck tickt. Demnach ist der ehemalige Umweltminister aus Schleswig-Holstein ein Mann von unbekümmertem Mut, von dem noch einiges zu hören sein dürfte, selbst wenn er gerade nicht der Frontmann für die Septemberwahl geworden ist.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Cord Aschenbrenner

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