Da ist sie am Ende wieder, die Wilson-Chorus-Line: „So into the dark and into our graves / We’ll give ourself back to the vast open waves“, singt die Mannschaft der „Pequod“ vor dem schmucken, weißen Häuschen, das im Verlauf des Abends immer wieder vom Schnürboden herabgesunken war. Dabei hat der berühmteste weiße Pottwal der Literaturgeschichte sie in der epischen Szene davor doch schon allesamt auf den Meeresgrund hinabgezerrt – ganz statisch und aufs Herrlichste ausgeleuchtet, selbstverständlich. Der 82-jährige Robert Wilson, Form- und Beleuchtungsmeister des Welttheaters, hat zur Saisoneröffnung des Düsseldorfer Schauspielhauses Herman Melvilles Roman „Moby Dick“ inszeniert.
Einerseits weiß man seit Jahrzehnten, was man sehen wird, wenn Wilson draufsteht: hochkomplexe Lichtregie, exquisite Kostüme, artifizielles, vom Text abgekoppeltes Spiel, das Repertoire Wilson’scher Handgesten, expressionistische Defilees, Wiederholungen. Andererseits hängt es immer von der Umsetzung ab, wie gut das alles funktioniert. Zuletzt zeigte „Dorian“, ein grandioser Solo-Abend mit Christian Friedel am selben Ort, wie viel man aus der Wilson-Ästhetik herausholen kann, wenn sie auf einen Darsteller trifft, der auch fern aller Psychologisierung die nötige Präzision und Intensität mitbringt.
Bei der Premiere von „Moby Dick“ mangelt es noch etwas an Genauigkeit. Die Abstimmung von Soundeffekten, Musik und Bewegungen hakt bisweilen, die Exaktheit der Abstimmung verschiedener Darsteller aufeinander ist noch ausbaufähig. Dabei gibt es Highlights im Ensemble: Ein idealtypischer Wilson-Schauspieler (und neu im Ensemble) ist Christopher Nell, der mit seiner schmächtigen Statur, hohen Stimmlage und burlesken Körperkomik als „The Boy“ die Szenen zwischen Nantucket und hoher See als ironischer Kommentator begleitet. Auch Kilian Ponert als nomineller Erzähler Ismael hat für seine erste Zusammenarbeit mit dem Amerikaner die kantige, puppenhafte Spielweise sehr gut verinnerlicht. Bei der Gestik von Yaroslav Ros’ Harpunier Queequeg hat Wilson anscheinend sein Repertoire erweitert und einige Gesten des polynesischen Kriegstanzes Cibi eingefügt. Rosa Enskat, die bereits in Wilsons „Sandmann“ dabei war, und die der Regisseur dem Vernehmen nach unbedingt für diese Rolle haben wollte, fehlt hingegen als Kapitän Ahab die letzte Furcht einflößende Walmord-Monomanie.
Manche Bilder sind sehr schön, darunter schwebende Walfangboote und ein Treffen zwischen „The Boy“ und dem Kapitän vor von weichem Licht umfangenen Pinien. Auch die Verwendung von Szenen aus John Hustons „Moby Dick“-Verfilmung von 1956 ist durchaus nachvollziehbar. Deren Einblendungen haben jedoch eine so starke eigene Sogkraft, dass sie eher vom Bühnengeschehen ablenken. Dass das Ganze als Show dann doch funktioniert, liegt nicht zuletzt an den Songs der britischen Singer-Songwriterin Anna Calvi. Der stampfende, an Biffy Clyros „The Captain“ erinnernde Rhythmus des Trinklieds „When the Mist Comes“, das sehnende „Wanderlust“ oder der bluesige Synth Rock von „Every Sailor is a Butcher“, vorgetragen von einer hervorragenden Haus-Band, bewahren die knapp zwei Stunden dauernde Produktion davor, in Schönheit zu erstarren.
Nicht der stärkste Wilson-Abend der letzten Jahre, aber genug für Ovationen.