Robert Wilson im Interview:"Ich habe mit Heiner Müller getanzt!"

Brasilien, Berlin, New York - der Regisseur Robert Wilson kommt nicht zur Ruhe. Jetzt wird der große Theatermann 70. Ein Gespräch über seinen Freund Heiner Müller, schwere deutsche Denker und Bühnen, die leere Blätter sind.

Peter Laudenbach

Robert Wilson sitzt einige Tage vor seinem 70. Geburtstag bestens gelaunt in der Lobby des Berliner Adlon, vor ihm das eben erschienene Buch über das Watermill Center, Wilsons riesiges Kunstlabor auf Long Island (Robert Wilson's Legacy, Daco-Verlag, 360 S., 468 farb. Abb., 78 Euro). Am Vortag kam Wilson aus Brasilien, am nächsten Tag gibt er ein Benefit-Dinner in Berlin, um Geld für Watermill zu sammeln, unter den mehr als 200 Gästen sind Herbert Grönemeyer und Daniel Richter. Am Tag darauf fliegt er zurück nach New York.

Regisseur Robert Wilson wird 70

Der große Theatermann Robert Wilson wird 70.

(Foto: dpa)

SZ: In einem Interview sagten Sie vor über 30 Jahren: "Ich mochte das Theater nie. Geschichtenerzählen und Psychologie haben mich nie interessiert." Geht es Ihnen heute immer noch so?

Robert Wilson: Ich habe nie Theater studiert. Hätte ich Theater studiert, würde ich nicht das machen, was ich heute mache. Mein erstes Stück habe ich mit einem dreizehnjährigen tauben Jungen geschrieben, Raymond Andrews. Wir haben uns mit Gesten und Zeichnungen verständigt. Von ihm habe ich viel für mein Theater gelernt. Als ich in den sechziger Jahren zum ersten Mal nach New York kam, mochte ich das Theater und die Broadway-Shows nicht. Ich ging in die Oper und hasste die Aufführungen. Ich liebte die Ballettaufführungen von Balanchine und Merce Cunningham. Diese abstrakten Arbeiten waren wunderbar, formal, sie ließen einem Raum zu denken. Ich bin wirklich nicht an der schweren Last der Psychologie interessiert. Wissen Sie, wie ein deutscher Schauspieler spielt? (Wilson steht auf, hält sich verquält den Kopf und verkrümmt dabei den Körper.) Sie denken dauernd! Was zur Hölle denken sie? Denken, denken, denken! Diese schweren Köpfe! Ein Schauspieler muss mit seinem Körper denken. Wir alle denken mit unserem Körper. Für mich ist das Gehirn ein Muskel. Eine Erfahrung zu machen, ist eine Art zu denken, hat Susan Sontag gesagt.

SZ: Aber mit einem dieser schweren deutschen Denker waren Sie befreundet, Heiner Müller. Eine Ihrer schönsten und rätselhaftesten Inszenierungen war die "Hamletmaschine", ein besonders düsterer Müller-Text.

Wilson: Heiner war einer meiner besten Freunde. Ich habe ihn kurz vor seinem Tod im Krankenhaus in München besucht. Ich hatte das Gefühl, dass ich ihn sehen sollte, bevor ich für einen Monat für eine Inszenierung nach Asien ging. Kannten Sie Heiner? Er trug immer Schwarz. Im Krankenhaus hatte er einen schönen weißen Bademantel an. Er sagte, dass er nicht mehr lange leben wird. Ich musste ihm versprechen, auf seiner Beerdigung zu sprechen. Er sagte, ich sei der beste Regisseur gewesen, den er je hatte, weil ich den Gedanken Raum lasse. Und weil meine Inszenierungen Humor haben. "Hamletmaschine" ist eine Maschine. Ein naiver Dummkopf aus Texas zeigt ein Stück über die Revolution, Bugs Bunny aus Texas!

SZ: Heiner Müller hatte auf die Frage, wie er, der ostdeutsche Intellektuelle, mit einem unpolitischen Regisseur aus Texas arbeiten kann, als Antwort: Bob trinkt Wodka, ich trinke Scotch.

Wilson: Stimmt. Aber wir hatten viel gemeinsam. Ich glaube, Ivan Nagel hat uns zusammengebracht. Ich machte "Death, Destruction & Detroit" an der Schaubühne, meine erste Inszenierung in Deutschland. Heiner hat sich die Proben angesehen und war fasziniert. Vor der Premiere habe ich alle Schauspieler und Techniker, ihre Ehepartner und Freunde zu einer Party eingeladen. Heiner Müller war auch da. Ich wusste nicht, wer er ist. Ich fragte ihn, ob er Lust hat zu tanzen. Sie wissen, wie Heiner immer da saß, so ernst. Ich sagte: Come on, let's dance. Ich habe mit Heiner Müller getanzt!

"Bei mir geht es um den Effekt"

SZ: Für Müller bedeutete Theater Konflikte. Verschwinden in der Schönheit Ihrer Inszenierungen nicht alle Konflikte?

'Der Freischuetz' im Festspielhaus Baden Baden

2009 inszenierte Wilson in Baden-Baden die Oper "Der Freischütz", eine seiner aktuellsten Regiearbeiten in Deutschland.

(Foto: ddp)

Wilson: Ich glaube, deshalb haben Heiner und ich so gut zusammengearbeitet. Ich mache schöne Bilder. Und er verletzt diese Schönheit mit einer Narbe oder einem scharfen Schnitt. Meine Bilder sind sehr künstlich, die reine Oberfläche. Das war am Anfang für das europäische Publikum verwirrend. Bei mir geht es um den Effekt. Die Deutschen wollen für alles einen Grund haben. Ich gehe von der äußeren Wirkung aus, das ist eher eine asiatische Haltung. Als ich zum ersten Mal in Deutschland arbeitete und den Schauspielern sagte, geht auf die Bühne und macht das und das, wollten sie immer wissen, weshalb. Es war sehr schwer für sie, einfach etwas zu machen, ohne Ursachen. Eine Bühne ist ein leeres Blatt. Aber an Peter Steins Schaubühne haben sie monatelang Bücher gelesen, bevor sie überhaupt anfingen zu proben.

SZ: Sie sammeln jetzt in Berlin Geld für Ihr Kunstzentrum Watermill auf Long Island. Weshalb ist Watermill für Sie so wichtig?

Wilson: Alle meine Inszenierungen entstehen in Watermill. Wenn ich in den Theatern zur ersten Probe komme, habe ich die komplette Inszenierung vorher dort entwickelt. Ende der Achtziger hätte ich für den Rest meines Lebens in Europa - Scala, Schaubühne, Pariser Oper - arbeiten können, aber ich merkte, dass ich zurück zu meinen Wurzeln, nach New York will. Watermill ist ein Ort, an dem junge Künstler arbeiten können, und ein Ort, an dem sich die unterschiedlichsten Menschen, Künstler, Wissenschaftler, Wirtschaftsleute, begegnen. Wir bekommen keinen Cent öffentliche Förderung. Die Finanzierung ist immer noch ein Kampf, jetzt ist es wegen der Wirtschaftskrise besonders schwer. Watermill ist mein Weg, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.

SZ: Stimmt es, dass Sie im kommenden Jahr ein Remake Ihrer berühmten Inszenierung der Phil-Glass-Oper "Einstein on the Beach" von 1976 machen?

Wilson: Ja, ich bin neugierig, wie eine junge Generation darüber denkt. Vielleicht wird es ein Desaster (lacht). Nach "Einstein on the Beach" war ich 1976 komplett pleite, ich hatte eine Viertelmillion Dollar Schulden. Danach habe ich lange nicht mehr in den USA, sondern in Europa gearbeitet. Ich bin in Deutschland bekannter als in New York. Mein Vater kommt aus Texas, er ging nie ins Theater. Als er sich zum ersten Mal ein Stück von mir angesehen hat, sagte er, Sohn, das ist nicht nur krank, das ist abnormal.

SZ: Hat sich Ihre Arbeit seit "Einstein on the Beach" verändert?

Wilson: Ja und nein. Die Struktur ist die gleiche geblieben. Cézanne hat immer wieder das gleiche Stillleben gemalt. Proust hat sein Leben lang an einem Roman geschrieben. Das Lebenswerk eines Künstlers ist ein einziges Werk, ein Körper. Das Museum of Modern Art zeigt gerade eine wunderbare Retrospektive von Willem de Kooning. Sein letztes Gemälde ist eine einfache Zeichnung, eine Komposition von Rot, Blau und Gelb, möglicherweise unvollendet, möglicherweise vollendet. Er hatte Alzheimer in seinen letzten Lebensjahren. Man hat eine Kinderzeichnung von ihm gefunden, die genau so aussah, die gleiche Figuration, die gleiche Einfachheit.

SZ: Einige Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie sich wiederholen . . .

Wilson: Natürlich wiederhole ich mich. Nur so lernt man. Man sollte nie Angst vor Wiederholungen haben. Als ich zum ersten Mal ein Stück in Paris zeigte, 1971, sah sich Charlie Chaplin die Vorstellung zweimal an, er mochte sie sehr. Es gab ein Dinner mit Chaplin, ein junges Mädchen fragte ihn, Mr. Chaplin, wenn Sie in "Limelight" diese Flohzirkus-Nummer machen, wie kamen Sie darauf? Und Chaplin, mit großer Würde: Das mache ich seit 45 Jahren.

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