Trotz heftiger Nachforschungen in historischen Berliner Adressbüchern ist es nie gelungen, den dramatischen Dichter namens Seltmann ausfindig zu machen, der im Frühjahr 1907 im obersten Geschoss des Warenhauses Wertheim "dort, wo man Kaffee trinkt", ausgestellt worden sein soll. Sein einziger Existenznachweis ist der Bericht über ihn in der von Siegfried Jacobsohn herausgegebenen Zeitschrift "Die Schaubühne" vom 4. April 1907: "Er hockt auf einem kleinen Rohrstuhl auf erhöhtem Gestell, allen Blicken eine leichte Zielscheibe, hämmert und nagelt und klopft in einem fort und schustert, wie es denen vorkommt, die ihn betrachten, Blankverse. Das kleine, viereckige Gestell ist mit dunkelgrünen Tannenzweigen geschmackvoll bekränzt. Der Dichter ist anständig angezogen worden, Frack, Lackschuh und weiße Binde, das alles ist da, und keiner wird sich zu genieren haben, dem Mann seine Aufmerksamkeit zu schenken."
Robert Walser: "Aufsätze":Große Stadt, kleine Form
Prosa-Späße getarnt als "Aufsätze": Wie Robert Walser in seinen Berlin-Feuilletons versuchte, das Stimmengewirr der Metropole in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts einzufangen.
Von Lothar Müller
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