Süddeutsche Zeitung

Robert Mapplethorpe in Edinburgh:Tu es für Satan!

Er war verliebt in die Oberfläche: Robert Mapplethorpes fotografische Porträts beweisen Sinn fürs Theatralische - das zeigt eine Ausstellung in Edinburgh aufs Eindrücklichste.

Alexander Menden

Der Galerist Edward de Celle war nervös, als er im März 1980 Robert Mapplethorpe der Grande Dame von San Francisco, Katherine Cebrian, vorstellte. Die damals 86-jährige Cebrian war bekannt für Bonmots wie ,,Ich buttere nicht einmal mein Brot, das betrachte ich als Kochen'' sowie für ihre Wertschätzung guter Manieren. De Celle hatte ein paar Tage zuvor eine Mapplethorpe-Ausstellung eröffnet, und war sich nicht sicher, ob das Zusammentreffen der Westküsten-Aristokratin mit dem Meister makelloser Penis-Ausleuchtung gut gehen würde.

Zunächst schien es, als solle der Galerist mit seinen Befürchtungen recht behalten: Als Robert Mapplethorpe erschien, trug er einen Gürtel, der die Nieten-Aufschrift ,,Shit'' trug. Doch Katherine Cebrian übersah das Accessoire nicht nur geflissentlich, sie verstand sich auch wider Erwarten bestens mit dem Fotografen - so gut, dass sie ihn nach dem Foto-Session einlud, sie zu einer Schul-Benefizveranstaltung zu begleiten.

Die Edinburgher Scottish National Gallery of Modern Art zeigt in ihrer großen Robert-Mapplethorpe-Retrospektive das Porträt, das an jenem Nachmittag entstand. Die imposante Adlernase der alten Dame bildet das Zentrum der Profildarstellung; der rechte Arm ruht auf der Rückenlehne einer Chaiselongue, über die sich Cebrians schwarzseidener Ärmel ergießt - wie beim Starporträt einer Stummfilmdarstellerin. Mapplethorpe hielt die überzüchtete und zugleich völlig in sich ruhende Exzentrik seines Modells fest. Genau diese Exzentrik war es, in der er selbst sich spiegelte.

In seinem Testament, das er kurz vor seinem frühen Aids-Tod 1989 aufsetzte, enterbte Robert Mapplethorpe seine Familie - nicht ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen, warum er dies tat: Die Verwandtschaft war ihm einfach zu gewöhnlich. Während diese Haltung ihn im Alltag zu einem schwer erträglichen Zeitgenossen machte, schärfte sie zugleich seinen Blick für die theatralischen Neigungen seiner Modelle. Unter den 79 in Edinburgh gezeigten Arbeiten sind es denn auch weniger die sadomasochistischen Fotos, die tätowierten Lederschwulen und gefesselten Genitalien, die Aufmerksamkeit erregen. Das Hauptaugenmerk der schottischen Ausstellung gilt erfreulicherweise Mapplethorpes Porträts, einer Parade der künstlerischen Haute Volée Amerikas in den siebziger und achtziger Jahren. Da ist die grinsende Grace Jones mit Keith-Haring-Körperbemalung und Drahtspiralen-BH. Da ist Haring selbst, hinter dessen eierköpfiger Kindlichkeit ein maliziöser Kobold zu lauern scheint. Das sind der irr starrende Iggy Pop und die sich ihrer Ikonenhaftigkeit nur allzu bewusste Patti Smith. Besonders verräterisch das Doppelporträt von Philip Glass und Robert Wilson, entstanden 1976 während der Zusammenarbeit des Komponisten und des Regisseurs für ,,Einstein on the Beach'': links Glass, mit wuscheligem Schopf, leicht desorientiert dreinschauend; rechts Wilson, mit großer Sicherheit der Körperhaltung und herausforderndem Blick.

Bezeichnend, dass Mapplethorpe die Posen seiner Modelle meist annimmt, nichts ,,entlarvt'', sondern ihre Selbststilisierung hervorhebt. Verliebt in Oberflächen, gestattet er den Menschen, sich selbst eine ihnen gemäße Oberfläche zu geben. Zugleich gelingt es ihm, sie seinen eigenen Obsessionen entsprechend zu positionieren. Vielfach macht sich seine katholische Erziehung bemerkbar: William Burroughs nimmt die kontemplative Haltung eines St. Hieronymus im Gehäuse ein, Meredith Monks starre 80er-Sturmfrisur ist von einem kreisrunden Heiligenschein hinterfangen.

Diese säkularen Heiligendarstellungen sind gleichsam die Kehrseite der S/M-Tableaus, in denen immer wieder der Teufel als spiritus rector beschworen wird. ,,Tu es für Satan'', soll Mapplethorpe den Modellen dieser phallozentrischen Fantasien zugeraunt haben. Wo der Fotograf die Kamera auf sich selbst richtet, ist dieser halb ironische, halb ernsthafte Teufelskult stets gegenwärtig: sei es im Selbstporträt von 1978, in dem eine Lederpeitsche wie ein Luzifer-Schweif aus Mapplethorpes Anus zu wachsen scheint; sei es im sechs Jahre später entstandenen Selbstbildnis, in dem er sich in einer Patty-Hearst-Pastiche mit Maschinenpistole vor einem riesigen Pentagramm positioniert.

Doch in einigen Fällen durchbricht der Oberflächen-Fetischist das Muster, das die Form dem Inhalt gleichsetzt. Die Malerin Alice Neel stellt er 1984 mit geschlossenen Augen und geöffnetem Mund dar. An diesem altersfleckigen Antlitz, der gespannten Haut und den vereinzelten Kinnhaaren ist nichts geschönt. Es wirkt, als nehme es die Totenstarre der Künstlerin vorweg, die wenige Monate nach der Aufnahme starb. Auch das Bild des Kunsthändlers John McKendry von 1975 ist von bedrückender Symbolik: Vom müden Gesicht des schwer alkoholkranken Mannes ist nur die linke Hälfte zu sehen. Am oberen Rand des Bildquadrats drei Steckdosen: Eine ist verblendet, die mittlere leer, aus der linken hängt ein Elektrokabel schlaff herunter. Einen Tag nachdem Mapplethorpe ihn fotografiert hatte, starb McKendry.

In diesen eindrucksvoll nüchternen Memento mori-Darstellungen erreichen Robert Mapplethorpes Arbeiten ihre größte Kraft. Kurz vor dem eigenen Tod reiht er sich hier selbst ein, mit einer Nahaufnahme seiner Augen unter zusammengezogenen Brauen. Er blickt entschlossen, als wisse er, was ihn im Jenseits erwartet.

,,Robert Mapplethorpe'', Scottish National Gallery of Modern Art, Edinburgh, bis 5. November. Info: Tel. 0044 / 131 624 6200, Katalog 19,95 Pfund.

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SZ v. 17.10.2006
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