Süddeutsche Zeitung

Rijksmuseum bis 2010 geschlossen:Rembrandt aus der fünften Reihe

Eigentlich sollte das Rijksmuseum 2008 wieder eröffnet werden. Eitelkeiten, Ignoranz und Radfahrer sorgen jedoch für eine erhebliche Verzögerung. Derweil müssen sich Kunstliebhaber mit einer Interimslösung begnügen.

Siggi Weidemann

Es wäre eine Überraschung, wenn Pfingsten 2008 das Rijksmuseum, das Monument der niederländischen Nationalkultur mit all seinen Meisterwerken, wieder besucht werden könnte. Zwar hatte dies der Direktor des Rijksmuseums, Ronald de Leeuw im Dezember 2003 bei Schließung seines Hauses versprochen. Aber die Arbeiten dauern länger als geplant und von einer Eröffnung ist man noch weit entfernt.

Zwar wird sich das "Nieuwe Rijksmuseum" äußerlich nicht vom alten unterscheiden, denn es wird nichts abgerissen. Allerdings ziehen sich die einschneidenden Bau- und Sanierungsmaßnahmen hin. Und nicht Geldnot oder technische Schwierigkeiten verzögern den Ablauf, sondern Eitelkeiten , Ignoranz, Paragraphen und Proteste von Radfahrern.

Anfang dieses Jahres wurde die Wiedereröffnung bereits auf Ende 2010 verschoben, aber wahrscheinlich wird es 2011, vielleicht noch später. Bis dahin müssen die Besucher mit der Ausstellung "Die Meisterwerke" vorlieb nehmen. Dies bedeutet Gedränge, denn im Philipsflügel, wo diese Schau gezeigt wird, brummt die Ausstellungsmaschinerie. Hatte man jährlich mit rund 450 000 Besuchern für den Philipsflügel gerechnet, sind es rund eine Million - etwa so viele wie im alten Rijksmuseum mit seinen 187 Sälen, das seit fast vier Jahren geschlossen ist. Auf diesen Andrang ist der Bau nicht eingerichtet.

Und so bildet sich vor dem Eingang auch an diesen Sommertagen die Menschenschlange vor den Sicherheitsschleusen. Nur maximal 650 Personen dürfen sich gleichzeitig im Inneren aufhalten. Im Erdgeschoss ist eine Übersicht über nordniederländische Kunst und Kunsthandwerk des 17. Jahrhunderts, Delfts Blauw oder Asiatisches aus den Kolonien zu sehen. In nur sechs Sälen hängt in dichter Folge eine niederschmetternde Ansammlung an Meisterwerken. Im drangvollem Gewusel können Rembrandts "Nachtwache", der "Liebesbrief" von Vermeer oder Frans Hals' "Fröhlicher Trinker" aus der dritten oder fünften Reihe betrachtet werden.

Die Renovierung des Nationalheiligtums und mit einem Budget von 272 Millionen Euro die teuerste Restaurierung eines niederländischen Kulturdenkmals, die je in Holland ausgeführt wurde, ist aber auch "die Geschichte von Hochmut, streitenden Auftraggebern und einem Sumpf an Genehmigungen", wie das NRC Handelsblad feststellte.

Der Monumentalbau, im Mischstil der holländischen Neorenaissance erbaut und selbst ein Kunstwerk, gilt als Wahrzeichen Amsterdams. Der Ursprung des Rijksmuseums geht auf die Initiative (1808) des Königs von Holland, Louis Napoleons zurück, Bruder Napoleon Bonapartes. Für den Architekten Petrus Josephus Cuypers, Baumeister des Amsterdamer Hauptbahnhofs und von mehr als hundert katholischen Kirchen, war das Museum der große Wurf. 1885 eingeweiht, sollte es auch die Integration der Katholiken in das calvinistisch geprägte Leben des Landes symbolisieren.

Hollands König Willem III. war über den Bau so entsetzt, den er "das Kloster" nannte, dass er nie seinen Fuß über die Schwelle setzte. Heute ist die Touristenattraktion Teil des gutbürgerlichen Museumsviertels: als Museumsplein mit Van-Gogh- und Stedelijk-Museum sowie Concertgebouw.

Die Radfahrerlobby protestiert

Das spanische Architektenbüro Cruz y Ortiz aus Sevilla gewann 2001 den Wettbewerb, an dem sieben Architekten teilnahmen. Ausschlaggebend war ihr Plan, in jenem Durchgang, der beide Museumsflügel miteinander verbindet, eine großzügige Eingangshalle mit Restaurant und Museumsshop, zu errichten, um die Besuchermassen zu kanalisieren. Das 20 Millionen Euro teure Foyer und Kernstück des "Neuen Reichsmuseums", so jubelte De Leeuw, sei vergleichbar mit dem Raum unter der Pyramide des Louvre und dem neuen Eingang des MoMA in New York.

Dann wurden die ersten Meinungsunterschiede laut. Die Restaurationslobby, die Cuypersgenossenschaft und Meinungsmacher meldeten sich zu Wort. Die rund 80 Bauanträge wurden zu spät eingereicht, und die Genehmigungsverfahren dauerten länger als erwartet. Es gab Streit darüber, wer die Verantwortung für das "Große Projekt" trug, die Reichsbauhörde, der alle staatlichen Gebäude unterstehen, oder das Rijksmuseum, Mieter des Gebäudes? Aber auch das Bildungsministerium als wichtigster Geldgeber forderte Mitsprache. Nachdem die Zuständigkeiten geklärt waren, waren wieder drei Jahre vergangen.

Der Stadtteil Oud-Zuid, in dem das Museum liegt, und die Radfahrerlobby protestieren 2004 gegen den Bau des Foyers in der Passage, weil dadurch der Weg, der das Stadtzentrum mit dem Wohnviertel verbindet, abgeschnitten wird. Für Außenstehende mag der Streit um die Radwege kleinkariert klingen, für Amsterdamer aber war dies eine Glaubensfrage. Ein Jahr lang wurde um eine Lösung gerungen, dann gab das Museum nach. Cruz y Ortiz machten sich widerstrebend an einen neuen Entwurf. Nun liegt ein endgültiger Plan vor: Die Radwege bleiben in der Passage.

Ein Jahr dauerte es, bis das Museum leergeräumt wurde. Die etwa eine Million Kunstwerke, die zum Bestand des Museums gehören, lagern inzwischen in einem gesicherten Depot in Lelystad. Mit dem Ausgraben der Innenhöfe unter dem neuen Foyer wurde im letzten Jahr begonnen. In liebevoller Kleinarbeit sind Studenten und Mitarbeiter des Restauratie Atelier Limburg damit beschäftigt, die farbenprächtige Bemalung der Pfeiler und Wände von 1885 zu rekonstruieren. Dabei musste auch von Chemikern die ursprüngliche Farbe mit dem "matten Cuyperston" wieder hergestellt werden. Die Dekorationsarbeiten in der berühmten Bibliothek, dem alten Eingang mit dem typischen doppelten Treppenaufgang sind inzwischen abgeschlossen.

In der Ehrengalerie und im Nachtwachensaal sind die Restauratoren noch an der Arbeit. Während im alten Museum die Besucher vor allem wegen der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts kamen, werden die Besucher nach der Wiedereröffnung chronologisch vom Mittelalter bis zum Jahr 2000 durch das Museum geführt. Damit will man erreichen, dass sich die Menschen über das gesamte Museum verteilen und es nicht wie bisher zum Stau vor Rembrandts Schützenbild kommt. Schließlich erwartet man in Zukunft rund zwei Millionen Besucher.

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Quelle:
SZ vom 13.8.2007
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