Manche Schrecken sind so groß, die haben nicht einmal einen Namen. "Alien" - das musste reichen im Jahr 1979, als das Wesen aus dem Weltall über die Leinwände kam, um nichts ahnende Astronauten in Leihmütter und Wirtstiere zu verwandeln. Übersetzt heißt das Wort nur Fremder oder Außerirdischer.
Aber nicht nur den Opfern wurde damals etwas Böses und Gefährliches eingepflanzt - ähnlich ging es dem Kino selbst. Auf einmal waren da Bilder in den Köpfen, an der Grenze zwischen Biologie, Technologie, Sexualität und Horror. Sie sprangen aus der Imagination des Künstlers H. R. Giger direkt ins kollektive Unbewusste, sie wuchsen und mutierten und wurden mit jedem Durchbruch der Biotechnologie nur relevanter.
Kein Wunder also, dass sie Regisseure wie James Cameron, David Fincher, Jean-Pierre Jeunet weiter inspirierten und immer wieder hervorbrachen - in Form von neuen, hochinteressanten Filmen. Auch Ridley Scott, der erste und ursprüngliche Regisseur der Serie, ist nie ganz davon losgekommen. Mehr als drei Jahrzehnte lang spielte er den Unbeteiligten, widmete er sich anderen Dingen, durchaus mit Erfolg; bald entsagte er der kombinierten Sprengkraft von Science & Fiction sogar ganz - nachdem er noch "Blade Runner" gedreht hatte, seinen anderen großen Klassiker.
Manche Kreationen aber sind zu stark, als dass man ihnen auf Dauer entkommen könnte. Wenn der neue Film nun also "Prometheus" heißt und zwar noch im selben Universum spielt, aber eine andere, höherwertige, ja metaphysische Vorgeschichte erzählen will, täuscht das genaugenommen niemanden: Es geht zurück an den Ursprung des Grauens.
Und diesmal bewusst. Die neue Heldin, Elizabeth Shaw alias Noomi Rapace alias Lisbeth Salander aus den schwedischen "Millennium"-Verfilmungen, ist Wissenschaftlerin. Sie forscht nach Zeichen extraterrestrischen Lebens, und die milliardenteure Expedition zu einem Mond am Rand des Universums, auf dem sie fremde und intelligente Wesen vermutet, ist getrieben von ihrer eigenen Theorie.
Ellen Ripley, ihre Schwester im Geiste, die dem Alien so lang und so zäh zu trotzen wusste, hatte bloß auf einem interstellaren Erzfrachter angeheuert und wollte nichts als einen fetten Bonus kassieren. Es war nicht ihre Idee, von der Route abzuweichen, um einem rätselhaften Funksignal nachzugehen . . .
Statt der unwilligen und unfreiwilligen Heldin nun also eine Streberin. Das ist nicht ganz dasselbe. "Prometheus" macht auch bald klar, dass alle Beteiligten hier Fragen stellen, die sie vielleicht nicht hätten stellen sollen, und dass sie Büchsen der Pandora in die Hand bekommen, die nicht wieder verschließbar sind. Was durchaus im Einklang mit den Lektionen steht, die sich aus dem Schicksal des mythischen Prometheus lernen lassen.
Außer Elizabeth sind die üblichen Geschäftemacher an Bord, die üblichen Egotrottel, die üblichen Weltraum-Machos. Sie zählen aber weniger denn je, denn ihre Aufgabe ist es vor allem, dahingerafft zu werden. Die Überlebende muss eine Frau sein, das war in diesem Universum schon immer so. Nur Frauen verstehen genug von Empfängnisverhütung, um dem Alien eine Weile die Stirn zu bieten.
Wobei es DAS Alien - das hochglänzende schwarze Wesen mit der Säure im Blut, dem sichelförmigen Schädel, dem Machetenschwanz und der zahnbewehrten Greifzunge, Penis und Vagina Dentata in einem - hier gar nicht gibt. Genauso wenig wie seine zwei distinkten, grauenvollen Entwicklungsstufen im Larvenstadium: den "Facehugger", eine Art Krabbe, die den Opfern ins Gesicht springt, den Kopf umklammert und gewaltsam einen Rüssel in den Mund einführt, um in der Brust ein Ei abzulegen. Und den "Chestburster", der aus diesem Ei erwächst, während das Wirtstier schon denkt, noch einmal davongekommen zu sein. Was dann folgt, ist immer . . . eine Riesensauerei.
Kann die Evolution eine derart perverse Biologie hervorbringen? Das war schon immer die Frage, und der Verdacht auf Foul Play bestätigt sich jetzt. Auf dem äußerlich karstigen und unauffälligen Mond LV-223 entdecken Elizabeth Shaw und ihre Mitstreiter eine weiträumige unterirdische Anlage, die sich als eine Art Biowaffen-Reservoir entpuppt. In tönernen Amphoren dampft dort eine schwarze Flüssigkeit, die man als verflüssigte Alien-Essenz bezeichnen könnte, und als genetischen Turbo-Booster obendrein.
Ein winziger Tropfen auf der Zunge von Elizabeths Forscherkollegen und Lebensgefährten Charlie (Logan Marshall-Green) reicht, um in diesem dem Wunsch nach Sex auszulösen - und die eigentlich unfruchtbare Elizabeth sofort zu schwängern. Was da nun wieder in ihrem Bauch heranwächst, man möchte es gar nicht wissen und erfährt es dann doch - im blutigen, schleimigen Detail.
Zurück in den gepolsterten Gynäkologenstuhl
Diese Sequenz ist bezeichnend. Denn einerseits strebt "Prometheus" nach theoretischer Verfeinerung, indem er der Frage nachgeht, welche höhere Spezies diese Biowaffen geschaffen hat, und zu welchem Zweck. Auch die Kontamination selbst ist raffinierter und weniger brutal: Klandestin wird der Körper des geliebten Menschen usurpiert, bevor das Fremde in den Leib der Frau gelangen kann . . .
Aber dann bricht eben doch wieder etwas aus einem Bauch hervor, der "Chestburster" kehrt zurück. Ebenso, in anderer Form, der "Facehugger". Irgendein mutiertes Gewürm, das irgendeinem trotteligen Astronauten ins Gesicht springt und sich dann durch das Plexiglas seines Helmes fräst, wird sich ja wohl finden lassen . . .
Die Fans der Serie, zu denen man auch das neue Autorenteam rechnen muss, kennen und wollen es offenbar nicht anders. Und das ist dann doch interessant. Ist nicht jeder, der "Alien" gesehen hat, letzten Endes selbst Missbrauchsopfer, Überlebender einer imaginierten Vergewaltigung? Welche Angstlust zieht uns hier zurück in den gepolsterten Gynäkologenstuhl, jetzt sogar in 3D? Und warum wären wir enttäuscht, wenn es nicht wieder furchtbar blutig und schleimig wird?
Erstaunlich viele Kinogänger, das zeigt sich hier einmal mehr, sind eben doch recht seltsame Masochisten. Ihre einzige Sorge, wenn es diesmal dunkel wird, ist ein Stoßgebet an den Gott des Stockholm-Syndroms: Möge er seine Potenz nicht verloren haben, Ridley, das Schwein.
Und Ridley Scott, mit seinen auch schon 74 Jahren, enttäuscht in dieser Hinsicht nicht. Er liefert, was er liefern muss - und um den ultimativ geforderten Ekel auszubalancieren, gelingen ihm immer noch Einstellungen von erstaunlicher technoider Schönheit. Aber er will mehr - und dabei zeigt sich, wie eng das Korsett der Kinomythologie inzwischen sein kann.
Mit seinen rätselhaften Zeichen, die in die Tiefe des Alls verweisen, und der künstlichen, beinah allwissenden Intelligenz des Bordcomputers, der seine eigene geheime Agenda verfolgt, kommt auch dieser Film von Kubricks "2001" nicht los. Zusätzlich zeigt er sich gefangen in spezifischen Topoi des "Alien"-Kosmos: Wieder ist ein hochentwickelter Androide mit im Team, dessen Loyalität man nicht trauen kann (ein eindrucksvoller Michael Fassbender, der ohnehin nie ganz human wirkt), auch er wird ramponiert, bleibt aber halb funktionsfähig . . . Die Parallelen sind zahllos.
Dabei würde Ridley Scott gern zu größeren Fragen vorstoßen, und er versucht es ja auch. Er ist nun selbst in dem Alter, wo man bald seinem Schöpfer gegenübertritt, oder aber dem großen Nichts - da kann man schon mal ins Grübeln kommen. Die Frage, welche höhere Intelligenz das Alien geschaffen hat, führt dabei nicht recht weiter, denn sie mündet immer nur in einem komischen Zirkelschluss: Er selbst natürlich, zusammen mit ein paar sehr begabten Autoren und Designern, die auch nicht recht wussten, was sie da entfesselt haben.
Das Problem des Außerirdischen-Films und der Wissenschaft
Zusammen mit seiner Heldin Elizabeth Shaw stellt er sich also die nächstbessere Frage: Wenn die Menschheit sich so etwas Fieses wie das Alien ausdenken kann - wer hat sich dann die Menschheit ausgedacht? Die Standardantwort - tausend Zufälle der Evolution, die sich auf unglaubliche Weise verkettet haben - befriedigt weder den Filmemacher noch seine Protagonistin. Warum nicht doch ein wenig intelligentes Design? Warum nicht eine Schöpferrasse, die mit uns zwar die DNA teilt, aber lange vor uns im Universum war, die uns praktisch erst auf den Weg gebracht hat?
Diese Spezies, hier nur die "Ingenieure" genannt, war im "Alien"-Universum tatsächlich schon angelegt. Die Entdecker des ersten Teils fanden bereits ein Exemplar, erstarrt und versteinert in einem gestrandeten Raumschiff, offenbar einem Alien zum Opfer gefallen. Nur mussten damals dann alle um ihr Leben rennen, und niemand interessierte sich mehr für das humanoide Wesen. Bis jetzt . . .
Diese "Ingenieure", das sieht man nun in einem Prolog, waren tatsächlich für das Entstehen der Menschheit verantwortlich - ihr wichtigstes Ziel scheint jetzt aber zu sein, sie wieder loszuwerden. Warum haben wir sie so schrecklich enttäuscht? Warum haben sie das Alien und andere Biowaffen geschaffen, uns wieder zu vernichten? Der einzige lebende "Ingenieur", der in "Prometheus" auftaucht, ist da keine große Hilfe. Aber tiefer im All, noch weiter weg, muss es andere geben, die vielleicht auskunftsfreudiger sind.
Man kennt das Problem aus der Wissenschaft: Mit jeder gelösten Frage tauchen neue auf, die Antwort scheint immer nur ein paar Sterne weiter zu liegen und verschiebt sich doch ins Unendliche. Ridley Scott sagt in seinen Interviews, dass er der Sache gern weiter nachgehen würde - wenn wir Zuschauer ihn lassen. Jede Expedition will schließlich finanziert werden, jede Mission braucht erst einmal schnelle Erfolge. Es liegt jetzt an uns. Blut und Schleim, "Facehugger" und "Chestburster" wird es auch weiterhin gratis dazugeben. Versprochen.
Prometheus, USA 2012 - Regie: Ridley Scott. Buch: Jon Spaihts, Damon Lindelof. Kamera: Dariusz Wolski. Schnitt: Pietro Scalia. Musik: Marc Streitenfeld. Mit: Noomi Rapace, Michael Fassbender, Guy Pearce, Idris Elba, Logan Marshall-Green, Charlize Theron. Verleih: Fox, 124 Minuten.