Oper:Umföhnen im Fortissimo

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Her mit dem goldenen Ring, der zur Weltherrschaft ermächtigt. Der listige Loge (Ian Koziara) lässt die Rheintöchter zappeln. (Foto: Xiomara Bender/Tiroler Festspiele Erl)

Brigitte Fassbaender inszeniert Richard Wagners "Rheingold" im Festspielhaus von Erl. War das nötig?

Von Helmut Mauró

Als sich die ehemalige Star-Mezzosopranistin Brigitte Fassbaender in den 1980er-Jahren der Opernregie zuwandte, konnte man nicht ahnen, wie fleißig und ausdauernd sie dieser neuen Aufgabe frönen würde. Es waren nicht die ersten Häuser, an denen sie wirkte, und viele Aufträge konnte sie sich als Intendantin in Innsbruck quasi selber erteilen, aber in der Summe bleibt doch ein beachtliches Œuvre. Für das Festspielhaus in Erl in Tirol hat sich Fassbaender nun Richard Wagners "Rheingold" vorgenommen - am Ende soll es der komplette Ring werden, worüber die 82-Jährige schwärmte, ein Lebenstraum ginge in Erfüllung.

Für das Publikum galt dies nur zum Teil, obgleich die Freude am Ende riesig war und Fassbaender auch noch die "Nachtigall", eine etwas missglückte Skulptur, sagen wir Trophäe, des Preises der Deutschen Schallplattenkritik (der Autor ist Mitglied dieses Vereins) verliehen wurde. Nun kann man am Jubel der Hörer aber nicht ausmachen, wie viel davon der Regie gilt. Man kann nur umgekehrt schließen, wenn kaum oder keine Buhs kommen, hat es gefallen. Eine Ohrfeige für die meisten Regisseure, die nicht gefallen, sondern aufrütteln wollen, erschüttern, mitreißen, Sehgewohnheiten ändern und wer weiß was alles.

Göttervater Wotan wird mit zwei Runenspeeren bewaffnet

Davon gab es in Erl nichts, auch suchte man vergeblich nach versteckten Hinweisen auf das kapitalismuskritische Kernthema der Oper, den Macht-, also letztlich den großen Gewaltdiskurs. Vielleicht war das diesmal auch gut so, denn das Aufrüttelnde folgt keiner objektiven Gesetzmäßigkeit und kann auch gerne mal in die Hose gehen. Es ist auch nirgends geschrieben, wie es beschaffen sein muss. Fassbaender zum Beispiel hatte die Idee, dem Göttervater Wotan nicht nur einen Runenspeer zuzubilligen, sondern zwei. "Ein Novum in der Ring-Geschichte", schrieb der Münchner Merkur, ein echter Aufreger. Ja, auch solch ein Einfall kann Menschen erschüttern.

War aber gar nicht so gemeint, Fassbaender wollte nur "ironisieren", zum Schmunzeln anregen. Ihr gehe es vor allem um die Personenregie. Also darum, wie sich die Sänger auf der Bühne bewegen, gestisch kommunizieren, miteinander in Beziehung treten, damit aus dem Personengewusel ein Drama wird. Manchmal gelang dies, meistens aber bremste hier wohl die sängerische Erfahrung der Regisseurin weitergehende Aktionen aus. Es wurde dann doch viel herumgestanden, was aber nicht weiter störte, denn die Sängerinnen und Sänger boten allesamt Großartiges. Selbst der oft unfreiwillig komisch bis peinlich geratende Alberich, die am meisten unterschätzte und missgedeutete Figur der Oper, war mit Craig Colclough hervorragend besetzt. Es war zwar nicht ganz nachzuvollziehen, warum er in der linken Ecke jammerte, während sein Peiniger viele Meter entfernt stand, aber er traf den richtigen Ton zwischen Leid und Selbstmitleid. Und vor allem: Er vermied alles Karikaturhafte - die gängige Missdeutung dieser Rolle.

Simon Bailey gab einen mächtigen Wotan, nicht ganz so düster wie gewohnt, nicht ganz so verunsichert wie nötig, aber stimmlich stabil. Dagegen glänzte Ian Koziara als verhandlungsgeschickter Loge durch seinen sanft-hellen Tenor, der weniger Hinterlist als Vertrauenswürdigkeit ausstrahlte. Wodurch die Figur ja viel glaubhafter wird als in der üblichen Deutung als verschlagener Betrüger. Hier zeigten sich dann doch subtile, aber wirkungsvoll stimmige Ansätze einer tiefer gehenden Personenregie im Sinne eines Grundverständnisses der Wagnerschen Figuren. Also dramaturgische Qualitäten, die der eigentlichen Regie vorgeschaltet sind. Auf der Bühne selber erlebte man aber ein eher brav durcherzähltes Stück, das die untergründigen Spannungen zwischen den Agierenden oft nicht wirklich ausreizte.

Es fehlt das Raunende des Wagner-Klangs

Aber vielleicht passierte dies alles ja in der Musik? Einerseits ja, denn die Partitur ermuntert zu vielen Querverbindungen und Binnenspannungen. Andererseits nur bedingt, denn auch der Dirigent des Abends, Erik Nielsen, wollte das Orchester der Tiroler Festspiele Erl offenbar nicht überstrapazieren. Vielleicht wäre aber doch noch etwas mehr möglich gewesen, denn man hatte an kaum einer Stelle den Eindruck, die Musiker seien überfordert oder unmotiviert.

Musikalisch, orchestral wie gesanglich, war dieser Abend ein Glanzstück. Dass die Musiker nicht im Orchestergraben saßen, sondern hinter einem Gazevorhang zwischen Bühne und Brandmauer, war zwar ungewohnt, aber nicht unbedingt von Nachteil. Es fehlte zwar das indirekt Strömende, das Raunende des Wagner-Klangs, dafür wurde man quasi direkt angesprochen, und vor allem: Alle Details blieben erhalten. Besonders an den vielen leiseren Stellen - ein Fortissimo war oftmals gar nicht nötig in dieser Aufstellung, und wenn, dann blieb der Klang groß und rund und umföhnte den Hörer mehr, als er ihn mit Lautstärke anfiel.

Die entscheidenden Fragen also, braucht Erl einen "Ring", und braucht der "Ring" Erl, kann man nach diesem Abend mit einem wägenden "auf jeden Fall" beantworten.

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Literatur
:"Ein krasser Fall der Machtausnutzung"

Brigitte Fassbaender schreibt eine nüchtern-ehrliche Autobiografie und kritisiert darin Georg Solti sowie andere Klassik-Stars

Von Sabine Reithmaier

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