Richard Wagner in Kunst und Politik:Der deutsche Geist

Richard Wagner in Kunst und Politik: Bayreuth als Nukleus der feinen Gesellschaft: "In der Pause" von Gustav Laska, 1894.

Bayreuth als Nukleus der feinen Gesellschaft: "In der Pause" von Gustav Laska, 1894.

(Foto: Thomas Köhler/Richard-Wagner-Museum, Bayreuth)

Das Deutsche Historische Museum Berlin zeigt eine mitunter schockierende Ausstellung zu Richard Wagner. Ein Rätsel aber kann sie nicht lösen.

Von Wolfgang Schreiber

Richard Wagner ist Gegenwart. Seine Vergangenheit allein wäre nicht die intellektuell zugespitzte Ausstellung wert, wie sie das Deutsche Historische Museum zu Berlin bis zum 11. September zeigt. Sie würde nicht die Lawine der Streitereien um den umstrittensten Komponisten des 19. Jahrhunderts erklären, nicht die noch akute Berauschtheit, all die Beschwörungen, Kontroversen, Kämpfe.

Wagners Gegenwart ist stark geblieben, sein Musikdrama in die Welt eingesickert, verdichtet in seinem eigenen Festspielhaus zu Bayreuth, Originalschauplatz seiner mythologischen Zaubereien, Adolf Hitlers Musiksommerfrische - bis heute in Familienhand der Urenkelgeneration. Und Gegenwart ist auch der bleibende Wagner-Skandal: sein rassistischer Antisemitismus. Das von ihm beanspruchte Deutschtum schuf zu alldem den ideologischen Rahmen.

Im Jahr 1871 war Wagner im Nationalstaatsrausch

"Ich bin der deutscheste Mensch, ich bin der deutsche Geist", notierte Wagner 1865 ins Tagebuch. Sechs Jahre später sandte er sein Gedicht "Dem deutschen Heere" dem Reichskanzler Otto von Bismarck, der mitten im Krieg der Deutschen gegen die Franzosen den preußischen König Wilhelm als Kaiser des neuen Nationalstaats inthronisiert hatte. Wagner im Rausch? Im Mai 1871 reiste er nach Berlin, dirigierte vor Wilhelm I. seinen "Kaisermarsch". Kurz davor hatte er sich entschieden, die Stadt Bayreuth zum Imperium eigener Festspiele zu machen, bis heute Pilgerstätte seiner Kunst und der Wagnerianer.

Es gibt keine unpolitischen Künstler, das hat Sasha Marianna Salzmann gerade beim Russland-Ukraine-Gespräch von Künstlerinnen und Künstlern in der Berliner Akademie der Künste festgestellt. Die Ausstellung "Wagner und das deutsche Gefühl" ist die hochpolitische Manifestation, die der amerikanische Musikprofessor Michael P. Steinberg mit Hellsicht kuratiert hat. Sie präsentiert, im modernen Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums, die gewohnte Fülle von Exponaten: Bilder und Fotos, Briefe, Grafiken und Handschriften, Noten und Bühnenentwürfe bis hin zu kitschaffinen Devotionalien. Vor allem: Sie hat eine klare Struktur, entfaltet in vier Kapiteln das Phänomen Richard Wagner, die Wirkmacht seines Denkens und Schaffens. Als da sind: Entfremdung, Eros, Zugehörigkeit, Ekel.

"Entfremdung" ist das allgegenwärtige Grundgefühl des 1813 in Leipzig geborenen Komponisten, Schriftstellers und Unternehmers, des Revolutionärs, Exilanten und späteren Festspielgründers. Richard Wagner fühlt sich synchron als Sachse, Deutscher, Nationalist und Europäer, als Dichter und Musiker. Er erlebt nach Jahrhunderten aristokratischer Herrschaft die Zeit dramatischer Umbrüche in den Revolutionen der Jahre um 1840. Er erfährt die beginnende Industrialisierung, die Umwälzung der Arbeits- und Lebenswelt in Politik, Wirtschaft, Kunst und Gesellschaft. Er lernt in seinen frühen Pariser Jahren die Theater- und Opernwelt französischer und italienischer Dominanz kennen und zugleich hassen. Er macht sich auf den Weg ins "Deutsche", in groß ausholenden Schriften - "Die Kunst und die Revolution" oder "Das Kunstwerk der Zukunft" - entwickelt er seine Ideen zur Abkehr von allem Etablierten nicht nur im Theater, hin zu seinem "Musikdrama".

Der andere Protagonist der Jahrhundert-"Entfremdung" ist Karl Marx, der die Revolution der industrialisierten Arbeitswelt, die Geburt des Kapitalismus, analysierte und zum kommunistischen "Gebrauch" beförderte. Dass Marx und Wagner zeitgleich im selben Museum zu Hauptdarstellern deutscher Geschichte und ihrer Folgen werden konnten, kommt einer höheren historischen Fügung gleich. Inbegriffen der Zweifel des Ausstellungbesuchers, ob die Kategorie von Wagners "deutschem Gefühl", darin die negative Empfindung der Ohnmacht und Frustration plus Wille zu Wandel und Erneuerung, eine präzisere Deutung überhaupt zulässt, ob sie nicht im atmosphärisch Vieldeutigen, im emotionalisiert Ungefähren stecken bleibt.

Richard Wagner in Kunst und Politik: Kräfte des Begehrens: "Tannhäuser im Venusberg", anonym, in der Art von Eugène Delacroix, 1861.

Kräfte des Begehrens: "Tannhäuser im Venusberg", anonym, in der Art von Eugène Delacroix, 1861.

(Foto: Peter Schächli/Werner Coninx Stiftung, Zürich)

Vergleichbar schillernd das zweite der Wagner-Kapitel, genannt "Eros". Dokumentiert mit allerlei Zeugnissen sind nicht so sehr Tristan und Isolde, Lohengrin und Elsa, vielmehr die Kräfte des Begehrens von Menschen und Dingen. Wagners im Leibes- und Modegenuss erfüllte Sehnsüchte. Die Existenz des weiblichen Körpers mit Korsett und Krinoline, die Rolle von Wagners verfügbaren Frauen als Partnerin oder Geliebter, Muse oder Managerin. Das Konzept der bürgerlichen Ehe lehnt er ab, das Allmachtsprinzip Liebe, bewiesen im "Ring des Nibelungen", ist bedroht durch die brutale Gegenkraft der Macht gesellschaftlich-politischer Herrschaft. Götterdämmerung wird unausweichlich.

Erst mit der deutschen Reichsgründung 1871, Bayreuth-Walhall rückt näher, wird "Zugehörigkeit" zum zentralen Thema, die Frage, was "deutsch" und deutsches Selbstverständnis sei. Wesentlich die Erfahrung von Gemeinschaft, das Erlebnis Sprache und Mythen. "Deutsch" sei, weiß Wagner, was "den in uns verständlicher Sprache Redenden heimisch ist". Also: "Was deutsch und echt" sei, weiß Hans Sachs in den "Meistersingern". Es gibt für Wagner das Gegenteil, das fremde, andere, das "Jüdische". Wagner wird der Propagandist seiner Festspielidee des "Gesamtkunstwerks" in Bayreuth.

Im vierten Kapitel der Schau erwartet das Publikum der Schock

Den endgültigen Schock erwartet der Besucher der Ausstellung mit dem vierten Kapitel, "Ekel" überschrieben. Der Begriff bezieht hart, unmissverständlich das fundamentale Ärgernis, die Katastrophe im Wagner-Imperium, erst recht heute, mit ein, seinen Antisemitismus, der in der aggressiven, doppelt (1850, 1869) veröffentlichten Schrift "Das Judenthum in der Musik" und ihrem ideologischen Umfeld sehr nahbar dokumentiert wird. Eine der entscheidenden Fragen, ob antisemitische Stöße das Musikdrama beschmutzen, abgesehen von antisemitisch schillernden Figuren wie Mime, Beckmesser oder Kundry, wurde und wird noch immer, nicht in dieser Ausstellung, heiß diskutiert - bis hin zur Frage, ob im "Parsifal" die "Vernichtungspauke" im Orchester gegen das Jüdische im Einsatz sei. Ekel und Reinheit, Sünde und Erlösung: die Urkräfte in Wagners Mythenwelt.

Richard Wagner in Kunst und Politik: Mythen: "Siegfried und Mime", Gemälde von Hans Thoma, 1877.

Mythen: "Siegfried und Mime", Gemälde von Hans Thoma, 1877.

(Foto: Städel Museum, Frankfurt am Main.)

Die Berliner Ausstellung taugt nicht, etwa erwartbar, zum wonnigen Eintauchen in Wagners Musikdramen und deren Sog. Umso mehr zur Beschäftigung mit seinen Denkgebäuden, den Gesellschafts-, Musik- und Bühnenideen, wie sie hier die Wagner-Sängerin Waltraud Meier und der intellektuell wagner-gewappnete Regisseur Stefan Herheim in Videobeiträgen abhandeln. Das Rätsel aber, wie beides, Wagners schlimme Ideologie und sein Musikdrama, in Genuss und Rausch der Besucher zusammenpassen, kann die Ausstellung leider nicht lösen.

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