Nachruf auf Richard Rogers, Architekt des Centre Pompidou:Uhrwerk unserer Städte

Nachruf auf Richard Rogers, Architekt des Centre Pompidou: Der Architekt Richard Rogers vor dem wohl berühmtesten seiner Bauwerke, dem Centre Pompidou in Paris.

Der Architekt Richard Rogers vor dem wohl berühmtesten seiner Bauwerke, dem Centre Pompidou in Paris.

(Foto: Martin Bureau/AFP)

Er kehrte das Innere seiner Bauwerke nach außen und stritt für eine menschenfreundliche Urbanität: Der große Demokratisierer unter den Architekten, Richard Rogers, ist tot.

Von Alexander Menden

Keine Epoche hat den Modernisten Richard Rogers stärker beeinflusst als die Renaissance. Das mag auf den ersten Blick überraschen bei einem Architekten, dessen "erster Gott" nach eigener Aussage der Amerikaner Frank Lloyd Wright war, und dessen vielleicht berühmtestes Werk, das Pariser Centre Pompidou, optisch wenig mit Säulenordnungen oder den Baukategorien Leon Battista Albertis zu tun hat.

Die Verbindung zur Renaissance ist aber allein schon biografisch folgerichtig, denn geboren wurde Richard Rogers 1933 in Florenz. Vom Fenster seines Hauses aus hatte er einen direkten Blick auf den Duomo. Seine Mutter habe einen wichtigen Einfluss auf seine Geschmacksentwicklung gehabt, sagte er später. Sie habe ihm nicht nur "die Angst vor dem Neuen" genommen, sondern durch ihre minimalistischen Töpferarbeiten auch einen Sinn für geradlinige Ästhetik mitgegeben.

Im Jahre 1938 musste der Fünfjährige mit seiner Familie der jüdischen Herkunft des Vaters wegen Italien Richtung Großbritannien verlassen. Rogers erzählte oft, wie elend die ersten Jahre im Exil für ihn waren. War es schon schwer genug, sich als italienisches Kind in der englischen Schulumgebung zurechtzufinden, kam erschwerend hinzu, dass er eine ausgeprägte Lese- und Rechtschreibschwäche hatte. Das führte damals rasch zu dem Urteil, das Kind sei dumm. Später stellte Rogers sich als Sprecher einer Dyslexie-Aufklärungskampagne zur Verfügung. Diesem wenig glücklichen Start zum Trotz verfolgte Richard Rogers, befeuert vom offiziellen Eintritt Britanniens in die Moderne beim "Festival of Britain" 1951, das Ziel, Architekt zu werden.

Rogers' Idee: "das griechische Forum und der elektronische Palast der Zukunft"

Frank Lloyd Wrights Werk lernte er während eines Aufenthalts an der Universität Yale kennen. Dort traf er seinen späteren Büropartner Norman Foster. Und bereits in den frühen Projekten des gemeinsamen Büros "Team 4" zeigt sich jenes Engagement für möglichst offene Raumgestaltung, die Rogers' gesamte Arbeit prägt. Das Haus, das Team 4 im Jahr 1968 für Rogers' Eltern in Wimbledon baute, ist heute eines der architektonisch bedeutendsten Londoner Wohnhäuser des 20. Jahrhunderts. In der klassischen Moderne wurzelnd und durch Stirnwände aus Glas optisch durchlässig, bleibt sein Innenraum komplett flexibel gestaltbar.

Hier war bereits angelegt, was alle großen Entwürfe der späteren Jahre auszeichnete: Sowohl ausgeführte wie das Lloyd's Building in London, 1986 fertiggestellt, mit seinem Setzkastensystem, das einzelne Gebäudeteile leicht ausbau- oder ersetzbar macht, als auch nie umgesetzte Wettbewerbsbeiträge wie das "Tokyo Forum". Es hätte laut Rogers' Entwurfsnotizen "eine neue Art von Ort" sein sollen, "an dem Menschen sich treffen können, das griechische Forum und der elektronische Palast der Zukunft".

Seine Gebäude seien aufgebaut und funktionierten wie eine Uhr, erklärte Richard Rogers einmal: "Man erkennt alle Bestandteile, die Mechanik ist offengelegt." Architekten seien "Wissenschaftler und Künstler zugleich", ihre Arbeit sei Ausdruck eines sichtbaren Konstruktionsprozesses. Hierin findet sich auch der philosophische Bezug zur Renaissance, denn sein Ziel, Architekt, Wissenschaftler und Künstler zugleich zu sein, war nah am Renaissance-Ideal - und ein Idealist war Rogers immer.

Nachruf auf Richard Rogers, Architekt des Centre Pompidou: Das Lloyd's Building in London, 1986 fertiggestellt, hat ein Setzkastensystem, das einzelne Gebäudeteile leicht ausbau- oder ersetzbar macht.

Das Lloyd's Building in London, 1986 fertiggestellt, hat ein Setzkastensystem, das einzelne Gebäudeteile leicht ausbau- oder ersetzbar macht.

(Foto: Simon Dawson/Reuters)

In Reinform baute Rogers diese Idee gemeinsam mit Renzo Piano im Jahre 1977: Das Pariser Centre Pompidou ist bis heute die Apotheose demokratisierter öffentlicher Architektur in Europa. Hier sind alle Elemente vereint: Die farbcodierten, nach außen verlagerten Rohrsysteme, die alle Reparatur- und Wartungsarbeiten von den Menschen im Gebäude fernhalten. Die ebenfalls nach außen verlagerte Rolltreppe, die, wie die Rohre, zugleich visuelles Strukturelement der Fassade ist. Die Offenheit und maximale Rearrangierbarkeit der Innenräume.

Das Centre Pompidou solle, so sagte Rogers damals, "ein Ort für alle Menschen sein, jung und alt, arm und reich, Menschen aller Religionen und Nationen - eine Mischung aus Times Square und dem British Museum". Diese dynamische, pulsierende, lebende Struktur, die ihre Funktionen ausstellt, soll Kultur der breiten Masse zugänglich machen. Rogers sah solche Gebäude als konsequente Manifestation seines gesamtgesellschaftlichen Engagements, sei es bei den Anti-Irak-Kriegs-Demonstrationen, seiner fundamentalen Ablehnung des Brexit oder im Schlagabtausch mit der royalen Geißel alles Modernen, Prinz Charles, der ein großes Rogers-Projekt in Chelsea durch geheime Interventionen torpedierte.

Nachruf auf Richard Rogers, Architekt des Centre Pompidou: Das Centre Pompidou solle, so sagte Richard Rogers, "ein Ort für alle Menschen sein, jung und alt, arm und reich, Menschen aller Religionen und Nationen - eine Mischung aus Times Square und dem British Museum".

Das Centre Pompidou solle, so sagte Richard Rogers, "ein Ort für alle Menschen sein, jung und alt, arm und reich, Menschen aller Religionen und Nationen - eine Mischung aus Times Square und dem British Museum".

(Foto: Loic Venance/AFP)

Das menschliche Maß auch im Übergroßen zu finden, das war Richard Rogers' Ziel - selbst an nominellen "Nicht-Orten" wie dem erstaunlich eleganten, lichtdurchfluteten Heathrow-Terminal 5. Seine Architektur war nie Selbstzweck, sondern Mittel zur Realisierung der Idee einer Gesellschaft, deren Menschen miteinander in Kontakt bleiben. Das vor allem ist es, was Richard Rogers mitnahm aus der Renaissance-Stadt Florenz: Die offenen Plätze, all die Orte, die Menschen eine Bühne bieten, ihnen Gelegenheit geben, Ideen auszutauschen. Dieser Forumsgedanke verleiht Städten nach Rogers Ansicht überhaupt erst ihre Existenzberechtigung.

Das heißt nicht, dass sein Büro, Rogers Stirk Harbour + Partners dem Hang zum Superlativ vollständig widerstand. So stellte es 2015 in London das 225 Meter hohe Leadenhall Building fertig. Seinen Spitznamen "Cheese Grater" (Käsereibe), verdankt es einer sich nach oben hin verjüngende Keilform, die wiederum einer stadtplanerischen Besonderheit Londons geschuldet ist: 13 Blickachsen in der britischen Hauptstadt sind gesetzlich vor jeder Verbauung geschützt. Dazu gehört auch der Blick von der Fleet Street auf die St Paul's-Kathedrale. Um nicht störend hinter dem Kuppelbau aufzuragen, lehnt sich das Leadenhall Building von der Fleet Street aus gesehen gleichsam aus dem Bild. Eine Rogers-typische Besonderheit in der eng bebauten City of London war die Neuschaffung begrünten öffentlichen Raumes: Unter den Stelzen des erhöhten Foyers bietet sich den Angestellten der umgebenden Firmen eine der wenigen Gelegenheiten, in der Betonwüste des Bankenviertels auf einer bepflanzten Fläche ihren Lunch einzunehmen.

Rogers beobachtete mit Sorge, dass die Möglichkeit zum unmittelbaren menschlichen Austausch schwand, während die Städte immer weiter wuchsen. In seinen viel beachteten "Reith Lectures" mahnte er zudem, dass es vor allem die wuchernden Städte seien, welche die gegenwärtige Umweltkrise verschärften. Richard Rogers setzte diesen Problemen das Konzept einer umweltbewussten, sozial verantwortlichen postindustriellen urbanen Kultur entgegen. "In jeder zivilisierten menschlichen Gesellschaft", befand er, "sollte Zugang zu gut gestaltetem öffentlichem Raum ein grundlegendes Menschenrecht sein." Jetzt ist Richard George Rogers, Baron Rogers of Riverside, mit 88 Jahren in London gestorben.

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