Rhetorik der Griechenland-Krise:"Tsipras und Varoufakis sind Punker"

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Das Dienstfahrzeug als politisches Statement: Griechenlands Finanzminister Varoufakis steigt nach einem Tag in seinem Athener Büro aufs Motorrad. (Foto: AFP)

Alles nur Taktik? Rhetorik-Professor Dietmar Till spricht über die Nüchternheit der EU-Verhandlungspartner, griechische Politiker auf Eskalationskurs - und gefährliche Metaphern.

Von Johanna Bruckner

Grinsende Griechen gegen geschäftsmäßige EU-Verhandlungspartner - die Schuldenkrise ist auch ein Spiel mit Metaphern. Dietmar Till ist Leiter des Instituts für Allgemeine Rhetorik an der Uni Tübingen. Er erklärt, welche Strategie hinter dem Auftreten von Tsipras, Varoufakis und Merkel steckt.

SZ: Taktik, Machtspielchen, persönliche Eitelkeiten - handeln die Protagonisten der Griechenland-Krise rhetorisch einfältig?

Dietmar Till: Das mag von außen so erscheinen. Aber aus der Innensicht verfolgt jeder sein eigenes Anliegen - auch mit den rhetorischen Mitteln, die er für zielführend hält. Es ist das Wesen dieser Auseinandersetzung, dass es sehr spezielle und vielleicht nicht zu vereinbarende Partikularinteressen gibt. Die können aus Sicht der Gegenpartei unlogisch, übertrieben oder kindisch erscheinen.

Als Beobachter denkt man oft: Hört endlich auf mit dem Kindergarten!

Das ist ein sehr hegemonialer Blickwinkel auf Griechenland, wenn wir hier in Deutschland sagen 'Kindergarten!' und 'Die sollen sich mal nicht so anstellen, es führt doch ohnehin kein Weg dran vorbei!'. Häufig liest man auch, die Griechen müssten endlich zur Räson kommen, vernünftig werden. Ich glaube aber, dass die Syriza-Koalition durchaus einen Plan hat und auch zuletzt kalkuliert vorgegangen ist.

Der griechische Premier Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis wirkten lange nicht wie in die Ecke gedrängte Akteure.

Ja, wobei es einen Unterschied gibt: Tsipras mag innerhalb des EU-Establishments ein Sonderling sein, er verzichtet auf eine Krawatte und ist vergleichsweise jung. Bei Varoufakis dagegen ist das gegenkulturelle Moment viel stärker ausgeprägt.

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Gegenkulturelles Moment?

Er trägt Motorradklamotte, läuft mit heraushängendem Hemd herum, verbreitet eigentlich immer gute Laune. Tsipras und Varoufakis richten sich gegen die neoliberale Ordnung, das äußert sich auch in dem Image, das sie sich geben: Sie wollen sich nicht einreihen in die Riege der anderen europäischen Politiker. Sie zelebrieren eine Gegenkultur, fast wie im Punk - Tsipras und Varoufakis sind Punker. Deshalb wirken sie auch so sympathisch, weil sie sich nicht konformistisch verhalten. Ob das wirtschaftspolitisch erfolgreich ist, ist eine andere Frage.

Aber ist eine Wir-schaffen-das-Symbolik nach innen nicht alternativlos - welcher Grieche will schon eine Regierung, der die Resignation ins Gesicht geschrieben steht?

Selbstbewusst aufzutreten, ist nach innen wichtig - aber vielleicht noch entscheidender ist die Wirkung von Mimik, Körpersprache und Rhetorik nach außen. Varoufakis macht das sehr gut, das war zuletzt am Samstagnachmittag in Brüssel zu beobachten: Er hat keine Interviews gegeben, aber beim Betreten des Gebäudes gegrinst. Das strahlt Selbstbewusstsein aus. Man kann nicht wie ein Trauerkloß in solche Verhandlungen gehen - dann hat man schon verloren.

Aber wie lange geht dieses Machtgebaren noch gut?

Irgendwann wird es in wirtschaftlicher Hinsicht zu einer Entscheidung kommen, möglicherweise nach dem Referendum am Sonntag. Solche Prozesse sind ja nicht beliebig beeinflussbar mit Imagemaßnahmen. Wobei Tsipras und Varoufakis bisher erfolgreich sind mit ihrer harten, entschlossenen Linie: Jüngst hat die EU erneut Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Man hat das Gefühl, die griechische Regierung schafft es, das Heft des Handelns immer wieder an den Gegner weiterzureichen. Und Syriza ist eine sozialistische Partei, die sich als Gegner des gesamten Systems begreift - ich glaube, die ziehen ihre Agenda durch.

Tsipras hat den Ausgang des Referendums mit seiner Person verknüpft.

Aus rhetorischer Sicht ist das nur logisch. Es mag nicht verantwortlich sein, die Situation bis hin zu Neuwahlen und einem möglichen Chaos im Land eskalieren zu lassen - aber Tsipras wirkt in seiner Unnachgiebigkeit glaubhaft. Auch hier gilt: Ob sein Verhalten politisch klug ist, steht auf einem anderen Blatt.

Bei den EU-Verhandlungspartnern dominiert dagegen zur Schau getragene Nüchternheit. Das ist auch gewollt?

Ja. Das war schön am Samstag bei der Pressekonferenz mit Dijsselbloem (Vorsitzender der Euro-Gruppe, Anm. d. Red.) zu sehen: In dem brodelte es, er war wahnsinnig sauer über die Ankündigung der Griechen, ein Referendum über das EU-Sparprogramm abzuhalten, das merkte man an seiner Körperspannung. Aber die Erklärung, die er dann abgab, war nüchtern. In der Sache hart, aber im Ton fast versöhnlich. Das ist keine Schwäche, sondern eine Gegenstrategie.

Inwiefern?

Die Griechen inszenieren mit dem Referendum die ultimative Entscheidung. Und die EU sagt: Moment mal, wir sind eigentlich noch gar nicht fertig mit unseren Verhandlungen, da ist noch Spiel. Damit unterhöhlt sie die Schicksalshaftigkeit, die die griechische Regierung aufzubauen versucht. Das ist rhetorisch clever - und politisch vermutlich auch. Die EU, und auch Deutschland, hat ja viel zu verlieren. Merkel versucht alles, um im Land keine Diskussion etwa über einen Schuldenschnitt aufkommen zu lassen.

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Die Griechen bangen um ihr Geld. Was genau muss das Land wann zurückzahlen? Wie viel Geld steht für Deutschland auf dem Spiel?

Gutes Stichwort. Wenn über die Schuldenkrise gesprochen wird, sind Metaphern omnipräsent: Da ist die Rede vom 'Patienten Griechenland' und davon, dass sich die Griechen jetzt ein Beispiel an der sparsamen schwäbischen Hausfrau nehmen müssten. Mancher Beobachter hält diese Vereinfachungen für gefährlich.

Zunächst sind medizinische Metaphern in der Politik nichts Neues: Das geschwächte Osmanische Reich wurde im 19. Jahrhundert als "kranker Mann am Bosporus" bezeichnet. Über dieses Sprachbild wird vieles transportiert: Es braucht einen Arzt zur Genesung. Es gibt eine Asymmetrie zwischen Arzt und Patient. Der Arzt weiß, wie man behandelt. Der Patient hat den ärztlichen Anordnungen zu folgen, wenn er gesund werden will. Wenn Metaphern gezielt eingesetzt werden, können sie unser Denken und Meinen über Sachverhalte beeinflussen - aber die Gefahr für diejenigen, die sie benutzen, ist immer, dass die Metapher eine Eigendynamik entwickelt.

Wie das?

Nehmen wir das Beispiel "Rosskur": Das ist eine pseudo-medizinische Behandlungsmethode, bei der der Patient auch sterben kann. Wenn nun also gefordert wird, Griechenland müsse einer Rosskur unterzogen werden, lässt das einen breiten Interpretationsspielraum zu. Politiker benutzen im Übrigen sehr wenig Metaphern, dazu gibt es empirische Studien. Sie scheinen Angst davor zu haben, dass ihnen die Deutungshoheit entgleitet.

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