Südstaaten-Roman "Der Wassertänzer":Captain America auf der Tabakplantage

The author Ta-Nehisi Coates, in 2017.

Im Bund mit dem europäischen Roman und mit Spiderman: Ta-Nehisi Coates.

(Foto: COLE WILSON/The New York Times/R)
  • Der amerikanische Journalist Ta-Nehisi Coates wurde durch seine Rassismus-Thesen im Jahr 2015 mit einem Schlag berühmt.
  • In seinem Roman "Der Wassertänzer" erfüllt Coates, was er selbst gefordert hatte: Er bricht mit den Erzählkonventionen der Weißen.
  • Es gelingt ihm unter anderem dadurch, dass er seinem Helden Superkräfte verpasst.

Von Felix Stephan

Im Jahr 2015 veröffentlichte der amerikanische Journalist Ta-Nehisi Coates das Buch "Zwischen mir und der Welt", in dem er den Rassismus zum zentralen Gestaltungsprinzip der amerikanischen Gesellschaft erklärte. Das Buch, das in der Form eines 150-seitigen Briefes auftritt, den ein schwarzer Amerikaner an seinen Sohn schreibt, um ihn auf die Welt vorzubereiten, in die er hineinwächst, machte Coates aus dem Stand zum gefragtesten schwarzen Intellektuellen der USA. Toni Morrison rief ihn zum legitimen Nachfolger James Baldwins aus, Obama lud ihn ins Weiße Haus ein, das Abgeordnetenhaus zog ihn als Experten zu einer Debatte über Reparationen für die Nachfahren amerikanischer Sklaven heran. Und während all dieser Zeit lag in der Schublade von Ta-Nehisi Coates ein fast 600-seitiger Roman, den er lange vorher begonnen hatte. "Der Wassertänzer" war in gewisser Weise die Vorarbeit der Essays. Gut möglich, dass die 150 Seiten "Zwischen mir und der Welt" auch deshalb so kraftvoll sind, weil ihnen dieser Roman vorangegangen ist.

Das Buch spielt zum größten Teil auf einer Tabakplantage in Virginia. Dort arbeitet der Ich-Erzähler Hiram Walker auf dem Feld, bis er zum Hausbediensteten aufsteigt, weil er wegen seines ungewöhnlich guten Erinnerungsvermögens auffällt und außerdem der Sohn des Plantagenbesitzers ist. Seine Haut ist heller als die der meisten anderen Sklaven und insgeheim erlaubt er sich den Traum, dass er den ganzen Betrieb eines Tages erben wird. Dann aber kommt der Moment, in dem sein weißer Halbbruder, der offizielle Sohn des Plantagenbesitzers, nichts mit seiner Zeit anzufangen weiß und einige Sklaven zusammenruft, damit sie zu seiner Unterhaltung um die Wette laufen. Auch Hiram befiehlt er, an dem Rennen teilzunehmen, woraufhin dieser versteht, wo sein Platz in der Hierarchie dieser Plantage auf ewig sein wird. Obwohl er der schlauere, fleißigere und anständigere der beiden Söhne ist, bleibt er doch Verfügungsmasse. Jederzeit könnte er verkauft werden.

In diesen Anfangskapiteln klingt "Der Wassertänzer" stellenweise seltsam vertraut: Die Ausritte durch das weite Land entlang der Herrenhäuser und Obstgärten, das Sonnenlicht, das sich im Geäst der Bäume bricht, der adoleszente Protagonist, der scheu die unerlaubten Gefühle in seinem Herzen ergründet, während im Hintergrund ein ganzer Stand langsam verschwindet, das liest sich alles wie Eduard von Keyserlings Erzählungen über die letzten Tage der deutschsprachigen Aristokratie im Baltikum. Bei dieser Melodie, dieser Erzählanlage hätte Ta-Nehisi Coates es belassen können und es wäre ein schöner Roman geworden, der dem Stimmenarsenal des Autors ein neue Farbe hinzugefügt hätte. Er hätte aber andererseits auch keine eigene Antwort gefunden auf das Problem, das sich die großen schwarzen Erzähler der Gegenwart auffallend eng an der klassische europäischen Romanform orientieren, wenn sie es darauf anlegen, als Erzähler erster Güte ernst genommen zu werden. Die Qualitätskriterien orientieren sich nach wie vor am europäischen Kanon und es war nicht zuletzt Ta-Nehisi Coates selbst, der forderte, dass sich die schwarze Kultur von den narrativen Konventionen der Weißen emanzipieren müsse, um auf eigenen Beinen zu stehen.

Coates bietet für das soziale Problem seiner Erzählung eine unbürokratische Lösung an: Superkräfte

Ta-Nehisi Coates biegt in seinem Roman also bald ganz woandershin ab und verleiht seinem Protagonisten Superkräfte. Wenn Hiram Walker in der Nähe von Wasser ist und es ihm gelingt, zu seinen "tiefsitzenden Erinnerungen" vorzudringen, ist er in der Lage, sich und andere zu teleportieren, was ihn zu einer potenziellen Heilsfigur der versklavten Schwarzen im Süden macht, die Tag und Nacht davon träumen, in den Norden zu entkommen, wo Schwarze als freie Bürger leben. Trotzdem kommt eine Flucht selten ernsthaft in Frage.

Viel zu viele sind erwischt und gehenkt worden, zu viele zurückgelassene Familien mussten für erfolgreiche Ausbrüche bezahlen. In vielen amerikanischen Kritiken wurde der Roman wegen seiner fantastischen Elemente mit dem lateinamerikanischen Magischen Realismus assoziiert. Doch vieles spricht dafür, dass es sich vielmehr um eine Technik aus der amerikanischen Popkultur handelt. Anders als die Geister bei Gabriel García Márquez verkörpert Coates' Protagonist Hiram Walker nicht das Echo indigener Spiritismen, sondern funktioniert eher wie ein Marvel-Superheld: Er bietet für das eklatante soziale Problem seiner Erzählwelt eine unbürokratische Lösung an.

Die Verwandtschaft zwischen Batman, Spiderman und Hiram Walker hat wiederum mit dem Autor zu tun: Neben gesellschaftspolitischen Essays und historischen Fantasy-Romanen schreibt Ta-Nehisi Coates Comics für Marvel. Er ist dort zuständig für den schwarzen Superhelden "Black Panther", einen Prinzen aus dem hoch entwickelten afrikanischen Königreich Wakanda, das unsichtbar unter einer Art Glasglocke verborgen liegt, und dem Rest der Welt technologisch weit voraus ist. Auch hier liegt der Trost der Erzählung darin, dass sie den Rückständigkeitskomplex der Kolonialisierten mit der Fantasie einer technisch fortschrittlichen, mächtigen afrikanischen Zivilisation Linderung verschafft. Die Verfilmung von "Black Panther" war 2018 einer der erfolgreichsten Filme des Jahres.

Coates erzählt die Geschichte aus der Perspektive eines afroamerikanischen Kollektiv-Ichs

Im Vokabular des Marvel-Universums erzählt "Der Wassertänzer" die "Origin Story" von Hiram Walker, also jene Phase jeder Superhelden-Biografie, in der ein gewöhnlicher Mensch an sich selbst ungewöhnliche Kräfte feststellt und herausfinden muss, was es damit auf sich hat, wie weit die Kräften reichen, wie sie sich beherrschen lassen. Dieses krachpopuläre Erzählmuster verschneidet Ta-Nehisi Coates mit dem Setting eines impressionistischen Südstaaten-Romans, und erzählt die Geschichte so nicht nur auf sehr amerikanische Weise, sondern vor allem aus der Perspektive eines afroamerikanischen Kollektiv-Ichs. Der romantische Held ist in diesem Roman ein Sklave. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, wie der Roman den Freiheitsbegriff existenziell ausweitet und der Schuldfrage auf diese Weise eine gewisse Ambivalenz verleiht. Die Plantagenbesitzer zeichnet Coates als Unfreie, die an ihre Ländereien gefesselt sind. Im Norden stellt der Protagonist fest, dass es dort mit der Freiheit nicht weit her sein und es Sachen im Leben gebe, "von denen man sich nicht befreien kann", und er erkennt, "dass wir letztens Endes alle irgendwie gefangen gehalten werden."

Später kehrt Walker auf die Plantage zurück und erlebt ihren finalen wirtschaftlichen Niedergang, ein Anblick, der ihn entschieden melancholisch macht. Der politische Essayist Ta-Nehisi Coates unterscheidet zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern, zwischen Herren und Sklaven sehr viel schärfer als der Romanschriftsteller. Das hat wahrscheinlich mit dem Protagonisten zu tun: Hiram Walker ist der Sohn eines weißen Plantagenbesitzers und einer vergewaltigten Sklavin, in gewisser Weise also eine Allegorie auf Amerika selbst. Beide Linien laufen in seiner Person zusammen und es ist die Erinnerung, aus der er seine besondere Kraft schöpft.

Ta-Nehisi Coates: Der Wassertänzer. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Blessing Verlag, München 2020. 544 Seiten, 24 Euro.

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