Retuschiertes Foto von Gerhard Schröder vor Gericht:Das geköpfte Küchenbild

Der Kanzler-Fotograf Konrad R. Müller klagt die Werktreue eines seiner authentischen Bilder ein: Ein Streit um die Auswüchse der visuellen Manipulation und Schröders Bild in der Geschichte.

Hans Leyendecker

Sieht so der echte Gerhard Schröder aus? Die Haare "sind gekürzt worden". - "Links mehr (. . .) als auf der rechten Seite. Das verändert die Proportionen", monierten Richter der achten Zivilkammer des Landgerichts Hamburg.

Das linke Ohr sei "oben beschnitten und bearbeitet worden. Es wirkt jetzt leicht abstehend und scheint tiefer zu hängen als das rechte Ohr". Die Gesichtsfarbe ist mal "eher ins Rötliche" gehend oder "gelblich blässlich". Der "Kragen des Jacketts ist so aus dem Original ausgeschnitten worden, dass der Eindruck vermittelt wird, als hänge der Kopf im Anzug".

Nein, das war nicht Original-Schröder, jedenfalls nicht der, den der Fotograf Konrad Rufus Müller im Sommer 2002 zur Verwendung auf Großflächenplakaten und Flyern der SPD im Bundestagswahlkampf porträtiert hatte: Das "authentische und natürlich wirkende Bild eines im Leben stehenden souveränen und gepflegt auftretenden tatkräftigen Mannes", urteilten die Richter, sei durch die Änderungen am Computer "weitgehend verloren gegangen".

Fotograf Müller, Jahrgang 1940, habe wegen eines "schwerwiegenden Eingriffs" in sein "Urheberpersönlichkeitsrecht" Anspruch auf Geldentschädigung. Verurteilt zur Zahlung von 25.000 Euro an Müller wurde die Hamburger KNSK Werbeagentur GmbH, die vor fünf Jahren den Bundestagswahlkampf der SPD durchgeführt hatte. Die Werber, die ein Kanzler-Porträt Müllers retuschiert hatten, legten Berufung ein.

Der Fall mit der Geschäftsnummer 308 O 460/06 handelt von einem selten gewordenen Streit um Urheberrecht und Eingriffe in die Werkintegrität. Es geht um einen der berühmtesten Fotografen der Nachkriegszeit und die Auswüchse der visuellen Zeitenwende. Nebenakteure in dem Gerichtsstreit sind Personen der Berliner Zeitgeschichte.

Nimmermüde manipulieren heutzutage Profis und Amateure Bilder mit dem Computer: Ob Gelbstich oder Blendenverlust, der Rechner gleicht alles aus. Composer schmelzen aus Motiven verkaufsträchtige Symbolbilder. Nie war es einfacher, das vermeintliche Abbild der Wirklichkeit am Bildschirm zu verändern. Immer mehr Bilder lügen.

So winkte Angela Merkel 2005 bei der Eröffnung der Bayreuther Festspiele den Fotografen zu. Unter dem Arm war ein deutlicher Schweißfleck zu erkennen - ein übereifriger Mitarbeiter des Onlineangebots des Bayerischen Rundfunks retuschierte das unvorteilhafte Foto. Der Siemens-Vorstandsvorsitzende Klaus Kleinfeld trug eine Rolex. Angesichts der Debatte über die Pleite von BenQ erschien das alte Foto einem seiner Mitarbeiter unpassend. Die Rolex verschwand.

Vor der 8. Zivilkammer in Hamburg, wo der Fall Müller gegen KNSK verhandelt wurde, kollidierte also die alte, klassische Fotografie mit der neuen Fotowelt, und es ging um Fragen nach Glaubwürdigkeit und Authentizität. Müller, dessen Fotos malerischen Charakter haben, das wurde den Richtern rasch klar, ist kein Rohstofflieferant.

Sieben deutsche Kanzler hat Müller porträtiert, er saß am Krankenbett von Bruno Kreisky auf Mallorca, Wladimir Putin, den er monatelang begleitete, hat ihm Butterbrote geschmiert. François Mitterrand, Anwar el-Sadat und Friedrich Dürrenmatt mochten die Fotos, die er von ihnen machte.

Müller verwendet nie künstliches Licht, er verzichtet auf Studioaufnahmen und retuschiert seine Fotografien niemals nachträglich. Seine Fotos, meist in Schwarzweiß, zeigen die Kerben des Alters, die Gravuren des Lebens. Augen und Mund, das ist seine Philosophie, müssen zusammenpassen. Müller ist eigen. Er hat sich geweigert, einen jungen Literaten zu fotografieren, weil der "noch kein Gesicht" habe.

"Fotografiert werden mag man das, was Müller tut, ja gar nicht nennen. Nur die alte Rollei und ein Stativ. Jedes Bild ein Unikat, einzeln und von Hand abgezogen, fast möchte man sagen: geschöpft" - so hat Gerhard Schröder im Oktober 2000 bei einer Ausstellung im Deutschen Historischen Museum zu Berlin Müllers Werk beschrieben. Schon, als er Ministerpräsident in Niedersachsen war, hatte Schröder sich für Wahlkämpfe von Müller porträtieren lassen. Dass Müller 2002 den Auftrag bekam, den Kanzler für die SPD im Wahlkampf zu fotografieren, war nicht überraschend.

Damals sah es für Schröder übel aus. Bevor der große Regen kam und die Elbe aus ihrem Lauf geriet, sprach der andere, der Kandidat Edmund Stoiber, schon von seinem "Amtsvorgänger" und die Leute begrüßten den Bayern mit "Herr Bundeskanzler". Müller packte seine Rollei ein, fuhr nach Hannover und fotografierte Schröder in dessen Haus in der Küche. Sensible, natürliche Fotos. Es regnete und mancher meinte, auf dieses Foto komme es an. Müller wählte ein Format aus, das in erster Linie das Gesicht Schröders zeigte. Es betonte die Gesichtszüge des Kanzlers.

Als er die Aufnahmen machte, wusste er, dass die Spezialisten der KNSK Werbeagentur den Hintergrund auswechseln wollten. Der sollte heller werden. Am 27. August 2002, etwa drei Wochen vor der Wahl, bekam er von der Agentur den Plakatentwurf. Unter "Eilt!" teilte er sofort Schröders Büroleiterin Sigrid Krampitz mit , er sei "entsetzt! Der Mann sitzt viel zu tief auf dem Plakat". Der Kopf falle "nach rechts unten. Farbe des Gesichts ist grauenhaft + hat nichts mit meinem Bild zu tun". Damit Schröders Vertraute ihn auch verstand, strichelte er später eine Zeichnung und skizzierte die problematischen Stellen.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum Schröder für seine Biographie auf ein Müller-Foto verzichtete.

Detmar Karpinski, einer der KNSK-Geschäftsführer, kann sich heute noch daran erinnern, dass es damals "sehr hektisch" zuging. Müllers Fotos seien "nicht gerade ideal" gewesen. Der Kanzler habe "relativ müde und abgespannt" dreingeschaut. Alles sehr düster. Ein weiterer Fototermin sei nicht drin gewesen, also "musste am Computer nachgearbeitet" werden.

Der damalige Wahlkampfleiter der SPD, Franz Müntefering, so steht es in Schriftsätzen der Anwälte der Agentur, habe "in Absprache mit weiteren Mitarbeitern aus der Parteizentrale entschieden, dass eine entsprechende Retuschierung stattfand". "Es ist unsere Gepflogenheit, den Kunden einzuschalten", bestätigt Karpinski.

Retuscheur Münte? "Falsch", sagt die Bonner Anwältin des SPD-Parteivorstandes, Susanne Kleinheyer-Wilke, die als Nebenintervenientin den Verfahren beiwohnte. Weder Müntefering noch der ebenfalls als Zeuge benannte Staatssekretär Karl-Josef Wasserhövel könnten sich daran erinnern, "einen solchen Auftrag erteilt zu haben". "Rohmaterial" - also in diesem Fall das Foto Müllers - sei der SPD-Wahlkampfleitung nicht vorgelegt worden. Ein komplizierter Fall.

Für das Geschichtsbuch

In der juristischen Literatur findet sich wenig Vergleichbares. Berühmt wurde die Klage eines Berufsfotografen, der wegen seines Werks "Petite Jacqueline", das den Kopf eines Mädchens darstellte, in die Liste der 400 hervorragenden Fotografen der Welt aufgenommen wurde. Als ein Ausschnitt - lediglich die Augenpartie des Mädchens- für den Schutzumschlag eines Buches verwendet wurde, klagte der Fotograf und der Bundesgerichtshof erkannte 1971 "eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Urheberrechts". Der Fotograf erhielt umgerechnet 2500 Euro.

Angesichts der "mittlerweile eingetretenen Geldentwertung" sowie der "Rufschädigung" durch die Fotomontage klagte Müllers Berliner Anwalt Simon Bergmann auch unter Verweis auf "Petit Jacqueline" auf 250.000 Euro. Die Anwälte der Agentur waren beinhart. Eine juristische Kontroverse, teilten sie Müllers Anwälten im Juli 2004 süffisant mit, wäre "für den Ruf Ihres Mandanten sicherlich kontraproduktiv. Auch würde der amtierende Bundeskanzler einen solchen Prozess bestimmt nicht schätzen. Er würde sicherlich an den in Hamburg seinerzeit geführten Prozess über das Haarfärben erinnert werden".

War das eine Drohung? Eigentlich ging es Schröder, wie jedem Kanzler, um sein Bild in den Geschichtsbüchern, aber Müller hatte noch immer einen Satz des Niedersachsen aus der Siegesfeier in der Nacht zum 23. September im Willy-Brandt-Haus im Ohr: "Und das trotz deines Fotos", hatte der ihm zugerufen. Das saß. Ausgerechnet Schröder, bei dem Kunstsammler, Maler, Schauspieler und Filmemacher oft zu Gast waren, der den Lyriker und Büchner-Preisträger Durs Grünbein oder auch den Maler Markus Lüpertz mit nach Lateinamerika nahm, und mit den Müllers in Positano Urlaub gemacht hatte, schien vergrätzt.

Kurz vor der Bundestagswahl 2005 traten der Kanzler und der Fotograf bei der Präsentation eines Bildbandes mit dem wehmütigen Titel "Mensch, Schröder" in Berlin auf. Der Mann mit den Falten und dem Lächeln, das zu den Augen passt, und der Maler-Fotograf gingen sehr anständig miteinander um. 20 Jahre hatten sie miteinander zu tun. Die alte Harmonie ist dahin. Auf dem Cover der 2006 erschienenen Schröder-Memoiren war kein Müller-Foto. Das fiel nicht nur den Insidern auf.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: