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Retter des Pop: Prince:Lasst uns ausflippen

Im Vergleich zu Michael Jackson hat der rüschige Prince das gesündere Karrieremodell gewählt - auch wenn er zunächst Misstrauen weckte. Zum 25. Jubiläum von "Purple Rain".

Marc Deckert

1984 waren Teenager wirklich nicht zu beneiden. Die Popkultur litt unter Lähmungserscheinungen. Die kreativen Energien des Punk, New Wave und Post Punk waren im Verebben und hinterließen ein Vakuum. Hip-Hop war unterwegs, aber in Europa noch kein Identifikationsmodell. Michael Jackson war inaktiv. Die Hitparaden dominierte der von Trevor Horn produzierte Bombastsound der Gruppe Frankie goes to Hollywood. Für das Video zu "The Wild Boys" ließen sich Duran Duran auf Windmühlenflügel spannen. Klaus Lage war in Deutschland ein Popstar. Das heißt, die Tür für einen Retter stand so weit offen, wie es überhaupt nur ging. Fragte sich nur, wer die dankbare Rolle übernehmen würde.

Prince Rogers Nelson, kurz Prince, war zu Beginn des Jahres 1984 noch kein Weltstar. Sein Album "1999" hatte sich zwar gut verkauft und zwei Hits lanciert, "1999" und "Little Red Corvette", einen Song, der nicht von einem Auto, sondern von einer Vagina handelte. Doch bei denjenigen, die am dringendsten gerettet werden mussten, erweckte der kleine Mann aus Minneapolis Misstrauen. Die einen, die vom Punk herkamen und schwarze Kleidung liebten, sagten sein Auftritt sei zu bunt, zu pompös, zu rokoko. Die anderen, die vom Funk herkamen und schwarze Musik liebten, warfen ihm vor, er könne sich ja nicht entscheiden, ob er nun Sly Stone, Curtis Mayfield, Jimi Hendrix oder doch Little Richard sein wolle. Und alles auf einmal konnte man nicht sein. Es war einfach zu viel des Guten.

Prince selbst schien sich auch nicht entscheiden zu können: "I'm not a woman, I'm not a man, I am something that you'll never understand" hieß es am Anfang eines seiner Songs. In seiner Band "The Revolution" gab es Männer und Frauen, Weiße und Schwarze, einen extrem heterosexuellen Mann (ihn selbst) und zwei virtuose Lesben. Auf der Suche nach einer Botschaft von Prince stieß man schnell an Grenzen. Körperliche Liebe spielte auf jeden Fall eine große Rolle. "I wanna grind, grind, grind" heißt es in der Masturbationshymne "Darling Nikky".

Die Frage, ob Prince massenkompatibel sei, beschäftigte sogar Hollywood: Der selbstbewusste Star hatte von seinem Management verlangt, ihm einen Spielfilm auf den Leib zu schneidern, mit seinem Namen auf dem Plakat. Den Film bekam er auch, aber was für einen: In "Purple Rain" fährt Prince auf einer violetten Honda durch die Gegend, die doppelt so groß ist wie er selbst. In dem vage autobiographischen Plot geht es um zwei konkurrierende Bands, "The Revolution" und "The Time", die im angesagten Club "First Avenue" um die Gunst eines Publikums mit asymmetrischen Haarschnitten und Schulterpolstern kämpfen.

Die Hauptdarsteller - Bandmitglieder oder Leute aus der Entourage von Prince - waren alle keine Schauspieler. Die unbekannte Appolonia Kotero spielte die weibliche Hauptrolle, die man eigentlich nicht als solche bezeichnen kann, weil die Figur weder über Motivation noch Charakter verfügt. Seltsame Subplots durchziehen die Liebesgeschichte, die man durchsichtig nennen müsste, wäre das Drehbuch nicht so mangelhaft, dass sie dadurch schon wieder undurchsichtig wird.

Am 27. Juli 1984 startete "Purple Rain" in den US-Kinos unter schlimmstem Zähneklappern seiner Finanziers - und wurde sofort ein Kassenerfolg. "Purple Rain" funktionierte nicht nur dort, wo man es erwarten konnte, in den großen Städten, sondern auch in den ländlichen und konservativen Gegenden Amerikas - der Film spielte 70 Millionen Dollar in den heimischen Kinos ein. Dieser moderate bis gute Erfolg steht aber in keinem Verhältnis zum Erfolg des Soundtracks. Das Album blieb 24 Wochen lang an der Spitze der amerikanischen Charts. Und so liegt die Erklärung, was das Phänomen "Purple Rain" ausmacht, eigentlich auf der Hand. Man muss es etwas pathetisch sagen: Es ist die Macht der Musik.

Prince beginnt das Album - und den Film - mit einer symbolischen Eingemeindungsgeste. Er betritt die Bühne und spricht sein Publikum mit den Worten eines Predigers an: "Dearly beloved, we're gathered here today to get through this thing called life . . ." Er spricht über das Leben und das ewige Leben mit messianischem Sendungsbewusstsein, aber was dann einsetzt, ist keine Predigt, sondern schlicht einer der umwerfendsten Partysongs der achtziger Jahre: "Let's go crazy".

Natürlich ist "Purple Rain" nicht von vorne bis hinten ein Meisterwerk. Hört man das Album heute wieder, dann fällt auf, dass Prince selbst in seiner besten Zeit keineswegs unfehlbar war. Es gibt "Darling Nikky", eben jene Ode auf die reinigende Kraft der Masturbation, über die sich Tipper Gore, die Gattin von Al Gore, aus den falschen Gründen empörte. Und es gibt den kruden Song "Computer Blue", in dem das traurige Schicksal von gefühllosen Maschinenhirnen beweint wird. Prince war nie ein intellektueller Musiker.

Der Klang des Albums ist zudem stark seiner Zeit verhaftet: eine krachige Snare-Drum, die ganz in den Vordergrund gemischt ist. Quietschende Synthesizer und Gitarren, die klingen sollen wie Synthesizer. Doch die Haltung hinter der Musik unterschied sich von der Konkurrenz: Prince ersetzte das Achtziger-Jahre-Idealbild des Musikers als hybrides Maschinenwesen und gebärdete sich in seinen Rüschenhemden wie ein romantischer Virtuose des 19. Jahrhunderts. Seine lässige Fingerfertigkeit machte sogar das Gitarrensolo, ein unter modernen Hörern längst fragwürdig gewordenes Stilmittel, wieder salonfähig.

"Purple Rain", der letzte Song des Albums, endet denn auch mit einem Gitarrensolo, so ergreifend und aufwühlend, dass jeder Einwand kleinlich wirken muss. In den Schluss-Szenen des Films, wenn der Club förmlich unter den mächtigen Akkorden erbebt und die Massen ihren neuen Star feiern, wird auch klar, wie sicher sich Prince gewesen sein muss, dass der Song Hitpotential hatte. Denn ohne einen wirklich großen, einen kathartischen Song hätte auch das erlösende Ende niemals funktioniert.

Nach einer beeindruckenden Serie guter Alben in den achtziger Jahren wurde es tatsächlich viel stiller um Prince, das ist wahr, doch dem Gemeinplatz, dass er "nie mehr etwas Gutes" machte, muss man mit aller Macht entgegentreten. Sicher, seine späteren Platten entfalteten nie mehr jene Wirkung wie "Purple Rain", "Parade" oder "Sign o' the times". Auch die beiden aktuellen Veröffentlichungen "MPLSound" und "Lotus Flow3r" sind nicht dazu angetan, eine Wiedergeburt auszurufen. Aber das Karrieremodell Prince - sich zurückziehen und langsam zum Klassiker reifen - wirkt im Nachhinein sehr gesund, nicht nur im Vergleich zu Michael Jackson. Jüngst trat Prince beim Montreux Jazz Festival auf. Im vergangenen Jahr spielte er auf dem großen US-Festival in Coachella am Rande der Mojave-Wüste - als Headliner nach Kraftwerk. Er beendete sein Set gebührend: mit einem gigantischen, circa achtminütigen Gitarrensolo.

Wenn das Radio "Purple Rain" spielt, blendet es meistens nach fünf Minuten aus. Nun, zum 25. Jubliläum, empfiehlt es sich, den Song wieder einmal ganz zu hören, alle glorreichen neun Minuten. Und sich dabei in einen glücklichen Teenager zu verwandeln.

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Quelle:
SZ vom 27.7.2009/jeder
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