Süddeutsche Zeitung

Retrospektive zu Kelly Reichardt:Wegabschneider

Kelly Reichardt liebt Umwege, wie sie etwa in ihrem Film "Meek's Cutoff" in Szene gesetzt werden. Und sie liebt die Unabhängigkeit - die sechs Filme, die sie bislang trotzdem machen konnte, werden nun in einer kleinen Reihe im Münchner Filmmuseum gezeigt.

Von Fritz Göttler

Umwege sind besser, das lehren uns diese Filme, sie zwingen uns, uns mehr Zeit zu nehmen, und bieten jede Chance, vom Weg abzukommen und sich zu verlieren - was immer das beste ist für Leute, wenn sie sich mal aufgemacht haben.

Viel Zeit nimmt auch Kelly Reichardt sich, die eine der letzten Independents ist. Sie brauchte manchmal Jahre, um einen neuen Film zu finanzieren, um sicher zu sein, dass sie keine Kompromisse würde eingehen müssen, damit er sein Geld einspielt. Und ein wenig haben diese Probleme, eine Produktion aufzustellen, natürlich auch damit zu tun, dass sie eine Frau ist.

Um ihre Unabhängigkeit zu bewahren, lehrt Kelly Reichardt Film in New York. Sechs längere Filme hat sie gemacht in den letzten zwanzig Jahren, das Münchner Filmmuseum zeigt sie alle in diesen Tagen, einschließlich des allerneusten, "Night Moves", in Vorpremiere, bevor er dann im August in unsere Kinos kommen wird.

Abkürzungen sind das Schlimmste, das zeigen diese Filme, "Meek's Cutoff" zum Beispiel, drei Siedlerfamilien unterwegs durch die Wüste, der Oregon Trail 1845, mit Ochsenkarren, das Wasser geht zur Neige. Und auf den Scout, den sie angeheuert haben, den merkwürdigen Meek, und seine immer neuen Wegvarianten haben die Männer und die Frauen, unter ihnen Michelle Williams, immer weniger Verlass.

Die Natur spielt mit in den Filmen von Kelly Reichardt, die Wüste in "Meek's Cutoff" oder die Wälder in "Old Joy" und "Night Moves". Sie dreht am liebsten mit kleinster Mannschaft, und je länger sie am Drehort weilen und je tiefer es hineingeht, desto mehr wird das ganze Team Teil des Waldes und der Wüste.

Betroffen von den Abnutzungen des amerikanischen Liberalismus

In "Old Joy" wollen zwei alte Kumpel - der eine wird gespielt vom Folkmusiker Will Oldham, der andere von Daniel London - noch einmal eine Quelle im Wald aus der Jugend aufsuchen, aber die Märchenhaftigkeit, die dieser Unternehmung anhängt, treibt Kelly Reichardt dem Film gleich aus. Im Dickicht des Waldes wird die weite Distanz schmerzlich spürbar, die sie von ihrer Vergangenheit trennt. "Oregon ist so weiträumig und der Wald spricht so viel von sich selbst."

In diesen Filmen gibt es den Verlust politischer Offenheit und Freizügigkeit zu beobachten, sie zeigen eine Generation, die sich betroffen sieht von den Abnutzungen des amerikanischen Liberalismus: "Meine ersten politischen Erinnerungen gehen zurück auf eine Pool Party, bei der ich schnell aus dem Pool musste, um im Fernsehen zu sehen, wie Nixon abdankte."

In "Wendy and Lucy" erlebt man Michelle Williams, die unterwegs ist zu einem Job in Alaska, doch dann geht unterwegs das Auto kaputt, sie verliert ihren Hund Lucy, ihre Sicherheit, ihren Drive, kommt ins Trödeln.

In "Night Moves" (am Donnerstag kommender Woche) sieht man Jesse Eisenberg, Dakota Fanning und Peter Sarsgaard ein Boot mit Sprengstoff vollgepackt an einem Staudamm placieren, sie wollen auf die Zerstörung der Natur aufmerksam machen. Ein Akt von Ökoterrorismus, der aber überhaupt nicht wie eine entschiedene politische Tat wirkt, sondern wie eine einzige verunsicherte Verzettelung. Es ist ein realistischer Film, ein coming of age der politischen Anarchie. Sie hat ihre Unschuld verloren.

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Quelle:
SZ vom 18.06.2014/pak
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