Retrospektive des Künstlers Frank Walter:Ein Bildungsbürger aus Antigua und Barbuda

Retrospektive des Künstlers Frank Walter: „King Size Soul“ heißt dieses Werk von Frank Walter, der insgesamt 5000 Gemälde hinterließ.

„King Size Soul“ heißt dieses Werk von Frank Walter, der insgesamt 5000 Gemälde hinterließ.

(Foto: Axel Schneider, Frank Walter, VG BILD-KUNST, Bonn 2020)

Das Frankfurter Museum für Moderne Kunst zeigt die erste Retrospektive des karibischen Künstlers und Weltreisenden Frank Walter, der über 5000 Gemälde und 50 000 Manuskriptseiten hinterließ - eine große Entdeckung.

Von Catrin Lorch

Es ist ein kleines Bild, das allein auf dieser gewaltigen Wand hängt, die sich über alle Stockwerke bis hoch unter die gläserne Decke des Frankfurter Museums für Moderne Kunst zieht. Die Halle ist sonst der Ort für große Installationen, für Videoleinwände oder massive Einbauten. Denn so ein Saal ist auch ein Test für die Kunst: Kann sie das stemmen? Das Stück Karton ist nicht einmal einen halben Meter hoch, man glaubt, ein Haifischmaul zu erkennen, einen Eisberg. Aber dann sind da auch drei perfekt gezogene Kreise, sauber ausgemalt in Rot, Gelb und Blau. Kein wirklich abstraktes Bild also, aber auch keine richtigen Motive. Dass es keinen Titel hat und nicht datiert ist, hilft auch nicht weiter. Schon, weil kaum einer den Namen des Maler - Frank Walter - kennt. Aber der Blick mag sich nicht losreißen von der lasierend gemalten Gouache, dem sanftgrau ausbalancierten Farbklang, der auf einem Meerblau schwebt, das so glatt ist wie ein Stück Hard Edge Malerei.

Es ist das erste Mal, dass das Werk des 1926 in Liberta auf Antigua geborenen Frank Walter in einem großen Museum gezeigt wird. Zeitlebens hat der Maler, Dichter, Schriftsteller, Bildhauer sich um eine Ausstellung bemüht, jahrelang standen sorgsam zusammen gestellte Gemäldeserien, sauber in Pappkartons verschnürt, in seinem Atelier bereit. Doch er sollte die Entdeckung seines Werks nicht erleben. Er starb im Jahr 2009 und hinterließ nicht nur 5000 Gemälde, sondern auch 50 000 sauber mit der Schreibmaschine getippte Manuskriptseiten, eine Autobiografie, Gedichte, Hefte voller Überlegungen und Notizen und unzählige Schnitzereien. Dass seine Verwandten dieses Erbe verwahrten, es vor Hurrikanen schützten und Insektenfraß, das ist nicht selbstverständlich. Doch als vor zwei Jahren Antigua & Barbuda erstmals mit einem Pavillon bei der Biennale von Venedig vertreten waren, da standen die Kisten und Schachteln bereit und hatten, wie in einer Flaschenpost, in ihre Zeit gefunden. Denn so ein ausgreifendes, zuweilen fast manisches Werk, noch dazu von einem Autodidakten irgendwo am Rand der Zivilisation produziert, bekam noch vor wenigen Jahren bestenfalls das Etikett "Outsider-Kunst" angeheftet. Erst seit Kuratoren wie Okwui Enwezor den postkolonialen Diskurs über die Kunst etablierten, ist die Wissenschaft auch bereit, einen Lebenslauf wie seinen als künstlerische Vita zu lesen und damit zu arbeiten.

Dass Frank Walter sich zeitlebens nicht als Randfigur begriff, sondern seine Biografie, vor allem aber seine Bildungsgeschichte als zutiefst europäisch empfand, wurde zum Lebensmotiv. Zum einen entstammte Frank Walter sowohl den Nachfahren von Sklaven als auch einer Familie von deutschen Plantagenbesitzern. Auf der Grammar School wurde der begabte Schüler zudem gemeinsam mit britischen Jungen, die während des Zweiten Weltkriegs in die Tropen verschifft worden waren, in Latein und Geschichte unterrichtet.

Später brachte er es zum ersten schwarzen Manager einer Plantage überhaupt. Der erfolgreiche junge Mann verordnete sich dann - in der Tradition der Bildungsreise - als Mittzwanziger selbst einen Studienaufenthalt in Europa, bei dem er fortgeschrittene Techniken kennenlernen und, begleitet von seiner bildschönen Cousine, seine Kenntnis deutscher Kultur vertiefen wollte. Doch in England angekommen, begegnete er vor allem Rassismus und Armut. Tagsüber schuftete er in Fabriken und Bergwerken, seine Studien organisierte er selbst, belegte Kurse in Colleges und arbeitete in öffentlichen Bibliotheken. Dass er in den wenigen Monaten, die er Ende der Fünfzigerjahre in Westdeutschland verbrachte, nicht nur bei Mannesmann im Ruhrgebiet malochte, sondern auch perfektes Deutsch erlernte und ausgedehnte Rhein-Wanderungen unternahm, fand seinen direkten Nachhall in philosophischen Exkursen, Gedichten und vor allem seinen Bildern.

Wenn man die Motive, denen er sich nach seiner Rückkehr nach Antigua im Jahr 1967 widmete, jetzt in ihrer Gesamtheit erlebt, dann erstaunt es, wie sie an der Oberfläche den Kanon einer bürgerlichen, fast biedermeierlichen Malerei nachzeichnen. Porträts, Freundschaftsbilder, Tiere, Landschaften, vor allem Panoramen - ein paar Brocken Berg, Horizontlinien, Wasserflächen, Himmel, Palmen. Leichthändig wechselt er zwischen Figuration und Abstraktion, zwischen traumhaften Szenerien und sehr konkreten Abbildungen. Während Frank Walter im Hauptberuf Parteien gründet, Plantagen beackert, den Eisenwarenladen der Familie führt und zuletzt ein Foto-Studio betreibt, lebt er dennoch ganz in der Kunst. "Der damit verbundene, subversive Akt", so schreibt Susanne Pfeffer im Katalog, "war für Frank Walter die einzige Möglichkeit, den Anspruch zu erheben, ein eigenes, selbstbestimmtes und selbstdefiniertes Leben zu führen".

Pfeffer hat ganz auf die zeitgenössische Kunst gesetzt, das Museum frei geräumt und die gut vierhundert Bilder von Frank Walter durch zeitgenössische Arbeiten ergänzt, von Rosemarie Trockel, Kader Attia und Isaac Julien. John Akomfrahs gewaltige Video-Installation "The Unfinished Conversation" (2012) führt gleich im Erdgeschoß sozusagen einen Doppelgänger des Künstlers ein, die biografische Filmcollage würdigt den im gleichen Jahr in der Karibik geborenen Soziologen Stuart Hall. Dessen Interviews ersetzen die Leerstelle, die der im Jahr 2009 verstorbene Künstler in so einer Präsentation hinterlässt, dessen Atelier zeitlebens nicht von Kunstkritikern, Fernsehteams oder Fotografen besucht wurde. Eine der wenigen Fotografien zeigt ihn als freundlichen älteren Herrn, der vor einer kleinen Bude seine Bilder als Souvenirs anbietet.

Auch wenn dieses Werk stilistisch nicht stillsteht, der Maler in seinem einsamen Atelier sich kaum um formale Entwicklung, um Schulen oder Stile zu scheren schien, sie alle entstammen unverwechselbar Frank Walter. Die Verwandtschaft der grün bewucherten Horizontlinien mit der Romantik und die Nähe seiner schablonierten Farbfelder zur Abstraktion belegen, dass er sich auch in eine Kunst- und Kulturgeschichte hinein malte. "Die europäische Welt war meine Welt, nicht weil ich mich zwang, sie zu mögen oder sie zu akzeptieren; sie war von Natur aus meine Welt. Ich konnte sie nicht mehr entbehren, so wie ich nicht auf meine Gliedmaßen hätte verzichten können."

Frank Walter füllte sein eigenes Profil auf einem undatierten Portrait mit kreidigem Weiß. Und so viel ist sicher: Im Kanon ist noch Raum für so einen Kopf. Der nicht einfach hellhäutig ist, sondern ganz weiß. Viel weißer als Europäer, so weiß wie eine Buchseite von Kant oder ein noch unbemalter Bogen Papier.

Frank Walter. Eine Retrospektive. Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main. Bis 15. November. Der Katalog kostet 39,80 Euro.

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