Süddeutsche Zeitung

Retrospektive:Der Klang der Farben

Harald Sohlberg malte menschenleere Landschaften und Orte seiner norwegischen Heimat. Er betrachtete sich als Komponist, der wesentliche Details hervorhebt und zu einem harmonischen Ganzen fügt.

Von Gottfried Knapp

Wie sich der Kunstgeschmack im Lauf eines Jahrhunderts verändern, ja ins Gegenteil verkehren kann, das lässt sich an einem Hauptwerk der norwegischen Malerei besonders anschaulich zeigen. Als Harald Sohlberg (1869 - 1935), der neben Edvard Munch wohl wichtigste norwegische Maler seiner Zeit, in einer Winternacht im verschneiten, mondhell erleuchteten Hochtal von Rondane beim Anblick der Berge "von einem Gefühlsrausch überwältigt" wurde, wollte er etwas von den "unvorstellbar starken Kräften der Natur" in Bildern der Welt mitteilen. Er näherte sich dem Motiv in verschiedenen Versuchen, bis er seinem Ideal nahekam. In einer Ausstellung zum hundertjährigen Bestehen der norwegischen Verfassung 1914 hat er das Endprodukt in Kristiania ausgestellt, doch von der Kunstkommission ist es erst einmal kategorisch abgelehnt worden. Als ein Sammler vier Jahre später das fast zwei Meter breite Gemälde erwarb und der Nationalgalerie schenkte, wurde es bereitwillig aufgenommen und im Museum so prominent platziert, dass seither kein Direktor gewagt hat, das bald schon sehr populäre Bild zu verleihen.

Bei einer Umfrage in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ist Sohlbergs "Winternacht in Rondane" von den Bürgern Norwegens zum beliebtesten Gemälde des Landes erklärt worden. Dieser Publikumsliebling wird nun an der Spitze einer ganzen Reihe weiterer Meisterwerke von Sohlberg zum ersten Mal das Land verlassen: Das Museum Wiesbaden zeigt in Kooperation mit dem Nationalmuseum Oslo die erste Retrospektive des Künstlers auf dem europäischen Festland. Sie dürfte nicht nur für Freunde der Landschaftsmalerei die Entdeckung des Jahres sein.

Harald Sohlberg hat, ähnlich wie sein Künstlerfreund Munch, aktuelle Zeitströmungen wie den Symbolismus und den Jugendstil in seinem Werk kreativ weiterverarbeitet, doch anders als Munch hat er Menschen aus seinen Landschaften und seinen Ansichten bewohnter Gegenden konsequent ausgeblendet. Ihn interessierten die Konflikte, die sich zwischen Personen oder zwischen der Natur und den in ihr ausgesetzten Individuen entwickeln, gar nicht, er versuchte die Spannungen wiederzugeben, die sich in ihm selber beim Betrachten von Naturerscheinungen aufbauten. Um von diesen tiefen Erfahrungen etwas an die Betrachter weiterzugeben, hat er ein bildnerisches System entwickelt, das ihn aus der Masse der Landschaftsmaler seiner Zeit deutlich heraushebt und ihm zu einem eigenen Stil verhalf.

Bei seinem kurzen, aber intensiven Besuch in Weimar 1897 hat Sohlberg vor den Bildern von Caspar David Friedrich und Arnold Böcklin etwas für seine Arbeit Entscheidendes erkannt. Er entdeckte, dass die korrekte Wiedergabe der real vorhandenen Gegenstände, wie er sie bis dahin angestrebt hat, die Wirkung eines Landschaftsgemäldes eher schmälert. Er wandte sich also vom Naturalismus ab und legte sich eine eigene Theorie zurecht: Nur wer sich beim Malen einer Landschaft auf Einzelelemente beschränkt, diese Details im Bild aber markant hervorkehrt und rhythmisch kombiniert, wird es schaffen, die gewählten "Details, das Monumentale und die großen dekorativen Effekte zu einer Gesamtheit" zusammen zu zwingen.

Und so wie er seine Landschaftsgemälde, um ihnen Kraft zu geben, motivisch aus wenigen herauspräparierten Elementen zusammengesetzt hat, so komponierte er sie auch farblich aus wenigen, präzise aufeinander abgestimmten Haupt- und Nebentönen zusammen. Seine Haltung zur Gegenstandswelt ist also im Ansatz schon modern. Er merkt, dass das, was er beim Anblick einer Landschaft, eines Hauses, eines Gartens empfindet und als Erlebnis weitergeben will, sich nur mit bestimmten Farben und Formen, die miteinander harmonieren, oder, um die Musik zum Vergleich heranzuziehen, in bestimmten Tonarten und Akkorden ausdrücken lässt. Er selber hat sich solcher musikalischer Kategorien bedient, als er seine Art des Komponierens beschrieb. Die Realität wird in eine Tonart versetzt, die den herausgegriffenen Details zur Harmonie verhilft.

In seinem berühmtesten Gemälde, der "Winternacht in Rondane", hat Sohlberg die beiden fast symmetrisch emporragenden Berggipfel in einen Moll-Akkord von kalt leuchtendem Blau getaucht und davor im Stil Caspar David Friedrichs das bizarre Astgewirr kahler Bäume kulissenartig postiert. Hier ist er in seiner farblichen und formalen Stilisierung, seiner quasi modernen Vertonung des Motivs also sehr weit gegangen. Bei den Einsichten in die schneebedeckten Straßen der alten Bergwerksstadt Røros aber verblüfft zunächst die fast bedrängende Präsenz der rot bemalten Holzhäuser und der an ihnen bis zum Dach hinauf brandenden Schneewehen. Doch auch hier, wo exakt gemalte realistische Details triumphieren - Sohlberg hat ein paar Jahre lang in Røros gelebt - beziehen die Bilder ihre Spontanwirkung vor allem durch den Rhythmus, den die zu den Hauseingängen freigeschlagenen Wege im Einklang mit den sie begleitenden, das Bild dominierenden Schneewällen erzeugen.

Wie Munch hat sich auch Sohlberg intensiv, ja leidenschaftlich mit den magischen Lichtphänomenen der nie ganz im Dunkel versinkenden nordischen Sommernächte auseinandergesetzt. Vor allem das flüssige Gold, das die auf dem Horizont entlangrollende oder nur kurz hinter dem Horizont verschwindende Nachtsonne über den Himmel gießt und über Gewässer fließen lässt, hat zu immer neuen Kompositionen eingeladen. Und auch die paar Versuche im symbolistischen Genre - die "Meerjungfrauen" etwa, die bei Dämmerung aus dem Wasser auftauchen - lassen sich mit dieser Faszination erklären.

Am schönsten ist die Atmosphäre einer warmen Sommernacht wohl in dem Gemälde beschworen, das Sohlberg 1899 auf dem blumengeschmückten Balkon eines Holzhauses gemalt hat. Der Titel "Sommernacht" wird in diesem teils überscharfen, teils verschwimmenden Ausblick auf Nahe- und Ferngelegenes zum sinnlichen Ereignis. Auf dem Tischchen in der Balkonecke sind die im Abendlicht funkelnden, mit Getränken und Obst gefüllten Kristallgefäße fast mit Händen zu greifen. Die Personen aber, die diesen kleinen Altar des Genießens ins Freie gestellt haben, scheinen sich selber als Störung in dieser atmosphärischen Momentaufnahme empfunden zu haben. Sie haben sich zurückgezogen. Nichts lenkt also ab von der Stille, die sich über die Landschaft gebreitet hat. Die Bäume und Büsche vor dem Balkon beginnen schon im Dämmer zu verschwimmen. Lediglich die Spitzen, die hinaufreichen in das Grünblau des Fjords, zeichnen sich deutlicher ab. Erst die Trennlinie zwischen Erde und Himmel gewinnt wieder etwas von der brillanten Schärfe, die im Vordergrund wirksam ist. Über ihr wird das allmähliche Verschwinden des Lichts zum kosmischen Ereignis.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2019
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