Süddeutsche Zeitung

Retrokolumne:Zuckrig zynisch

Lesezeit: 3 min

Die interessantesten Pop-Wiederveröffentlichungen. Diesmal mit Siebziger-Disco-Soul von Jaye P. Morgan, der Musik von Joan Baez' Schwester Mimi Fariña - und der Antwort auf die Frage, welche Band es einst gelang, Bitterkeit cool und sexy klingen zu lassen.

Von Ann-Kathrin Mittelstraß

Irgendwo in den USA genießt in diesem Moment eine 87-jährige Dame ihren wohlverdienten Ruhestand und silversurft hoffentlich ab und zu im Internet. Dann sieht sie vielleicht, wie diverse Musikblogs sich gerade nicht mehr einkriegen, dass ihre fast vergriffene und vergessene, unbetitelte Disco-Soul-Platte aus den Siebzigern jetzt endlich wieder neu aufgelegt wurde. Jaye P. Morgan heißt diese Dame (ja, wie die Bank, ein Spitzname aus Schulzeiten, als Mary Margaret Morgan Kassenwart ihrer Klasse war) Morgans Karriere begann in den Fünfzigern als Big-Band-Sängerin. Außerdem trat sie regelmäßig in Entertainment-Shows im Fernsehen auf. 1976 legte sie mit Mitte 40 dann eine radikale Neuerfindung hin: Auf ihrem selbstbetitelten Album wird sie zum Disco-Vamp. Als hätte sie nur darauf gewartet, dass ihr endlich mal jemand die funkigen Grooves schneidert, um die sie ihre fantastische Stimme schmiegen konnte. Dieser Jemand war der junge David Foster, der hier seinen ersten Auftrag als Produzent hatte, bevor er danach mit Earth, Wind & Fire, Barbra Streisand und Whitney Houston arbeiten und mit Grammys vergoldet werden sollte. Foster holte damals die besten Sessionmusiker aus ganz Los Angeles in die Sound City Studios. Das hört man: die Uptempo-Funknummern und souligen Balladen, auf denen sich Jaye P. Morgan räkelt, klingen perfekt. So perfekt, dass man sich heute fragt, wieso dieses Album damals so untergegangen ist. Laut dem Pariser Label WeWantSound, dem die Wiederveröffentlichung zu verdanken ist, war es eine teure Privatpressung, die Platte wurde nie ordentlich beworben und vertrieben. Nach dem Flop war Jaye P. Morgan übrigens wieder Jurorin in einer Fernsehshow, bis sie ihre nackten Brüste zeigte. Im Studio 54 wäre sie offensichtlich nicht nur wegen ihrer Musik besser aufgehoben gewesen.

Die Neunziger sind auch schon eine Weile her. Man denkt daran, wenn man wieder einmal das Musikvideo zum Song "Lovefool" der schwedischen Band The Cardigans ansieht und einem als erstes die strichdünn gezupften Augenbrauen von Sängerin Nina Persson auffallen. Soweit ist es schon. Heute, wo sich junge Frauen für ihre Instagrammibilität dicke Balken wie die Kardashians über die Augen malen, verspürt man allein beim Anblick dieser Augenbrauen fast wieder Sehnsucht nach den Neunzigern. Es passt jedenfalls in die aktuelle Nostalgiewelle, dass gerade alle sechs Alben von den Cardigans neu - und teils zum ersten Mal überhaupt - auf Vinyl erschienen sind. 1996 wurde die Band mit ihrem Song "Lovefool" berühmt. Zum Selbstbild der leicht versnobten skandinavischen Rockband passte er eigentlich nicht, viel zu vergnügt. In der Teenie-Kultserie Beverly Hills 90210 sind sie dann aber trotzdem aufgetreten. Vielleicht um auf dem nächsten Album "Gran Turismo" (1998) die vielen neu gewonnenen Pop-Fans so richtig mit sich runterzuziehen. Das Album war nämlich vor allem schwermütig, mit düsteren elektronischen Sounds. Die zuckrige Ironie, die man immer schon aus Nina Perssons Stimme herausgehört hatte, schlug um ins Zynische: "Do you really think that love is gonna save the world? / Well, I don't think so." Nie mehr klang Bitterkeit so cool und sexy wie bei den Cardigans. Überhaupt: Es war immer diese herrliche Müdigkeit in Nina Perssons Stimme, die einem sogar über mittelmäßige Songs hinweg half. Live werden natürlich nur die Hits gespielt. Seit einigen Jahren tourt die Band wieder. Neue Musik gibt's schon seit 2005 nicht mehr.

Joan Baez wird demnächst die Deutschlandkonzerte auf ihrer Abschiedstournee spielen, weshalb wieder viel geschrieben werden wird über die mittlerweile 78-jährige Folk-Ikone. Ein Name, der dabei meist nur als Fußnote auftaucht, ist der ihrer vier Jahre jüngeren Schwester Mimi Fariña, die auch Folk-Sängerin war. Mimis Stimme war nicht so einmalig wie die ihrer Schwester, aber auch gut - und am allerbesten, wenn sie die von Joan begleitete. Man höre nur wie die beiden mehrstimmig Donovans "Catch the Wind" singen. Mimi litt ihr Leben lang unter den ständigen Vergleichen und gab zu, dass sie am Ende erleichtert war, als sie aufhörte. Davor hat sie aber ein paar Platten hinterlassen. Schöne traditionelle Appalachen-Folk-Alben. Später tourte Mimi ab und zu mit ihrer Schwester. 1985 traute sie sich ein letztes Mal ins Studio. Auf dem Album "Solo" begegnen einem zum Teil Songs wieder, die man von Joan Baez kennt, die aber Mimi Fariña geschrieben hat. Ja, Joan hatte die bessere Stimme, aber Mimi fiel das Songschreiben leichter als ihrer berühmten Schwester. "Solo" hat sie wahrscheinlich einfach noch für sich gebraucht. 2001 starb Mimi Fariña mit 56 Jahren an Krebs.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4325110
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.02.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.