Retrokolumne:Unterwegs auf Neuland

Archivsammlungen des deutschen Trios "Harmonia" und der US-Band "Savant" machen noch einmal das Versprechen der frühen Sequenzer-Musik hörbar, dass Maschinen die besseren Musiker sind als die oft enttäuschenden Menschen.

Von KARL BRUCKMAIER

Irgendwie hatte man immer gehofft, die Landkommune von Hans-Joachim Roedelius, Dieter Moebius und Michael Rother (schad', dass er nicht Roether heißt) sei anders gewesen. Sie klang schließlich anders. Nicht nach Blues und Rock und Marihuana und auch nicht nach Indien und Körnermühle, sondern nach etwas, das Mitte der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts modern wirken konnte - nach Pop Art, nach Sequenzern, nach Minimalismus, nach Maschinen eben. Maschinen, die mehr wussten und konnten als der immer wieder so enttäuschende Mensch.

Michael Rother kam damals von NEU!, wo der Name ja auch Programm war, kam aus Düsseldorf, kam rhythmisch und melodisch aus einem vielversprechenden Über-Morgen: "I don't live today, maybe tomorrow ..." Roedelius und Moebius waren überhaupt keine Musiker und trauten sich in West-Berlin als Cluster einfach, sich und ihrem Leben elektronischen Ausdruck zu verleihen. Zusammen nannten sich die drei Harmonia, ein Wort, dem man auch lange nachschmecken konnte, Harmonium, Harmonie, harmolodisch - dabei stand es bloß zufällig auf einem Schild, das auf die Liedertafel im Nachbarort verwies. Und ebenso banal wie die Namensfindung war wohl seinerzeit das Leben in diesem verfallenden Gutshaus in Forst im Weserbergland, das auf den Fotos in der soeben veröffentlichten Gesamtwerk-Box der Band - "Complete Works" (Groenland Records) - nachzuvollziehen ist: dieselben löchrigen Pullis, angeranzten Sofas, feuchten Wände und ungenügenden Sanitäreinrichtungen wie in allen Wohngemeinschaftsprojekten jener Jahre.

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1974 erschien "Musik von Harmonia", das seinerzeit zwar nur von wenigen, dafür aber von Brian Eno und David Bowie beachtete Debütalbum der Band. Mit 40 Jahren Abstand ist es die interessanteste Veröffentlichung der Gruppe, tastend, auf Neuland unterwegs, unverdorben und hingebungsvoll. Produzenten-Legende Conny Plank nahm sich dann des Nachfolgealbums "Deluxe" an, das mit seinen kindlichen Reimen und von den Zeitläufen gelegentlich überholten Effekten eher harmlos und antiquiert wirkt, obwohl es wohl als offensiver Schritt Richtung Pop gedacht war. Der Rest sind Live-Mitschnitte und die Aufnahmen, die 1976 entstanden, als Brian Eno - unterwegs in Richtung Hérouville bei Paris, um mit David Bowie an "Low" zu arbeiten - in Niedersachsen bei Rother und Co. Station machte. Harmonia war damals eigentlich schon Geschichte, die Kommunarden gingen getrennte Wege - die sich erst 2007 bei einem Reunion-Konzert ein letztes Mal kreuzten.

Roedelius wurde im September durch eine Konzertreihe in Berlin gewürdigt; Moebius ist in diesem Sommer nach langer Krankheit verstorben; Rother tourt gelegentlich und schreibt Filmmusiken. Gemeinsam haben sie ein Stück Popgeschichte geschrieben, das mit den "Complete Works" noch einmal ins Bewusstsein einer neuen Generation zielt: So ging einst Avantgarde - sich zurückziehen und nach dem Punkt suchen, von dem aus sich die Welt aus den Angeln heben lässt.

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Kerry Leimer musste sich gar nicht zurückziehen. Er scheint schon immer eine isolierte, kaum beachtete Musikerexistenz geführt zu haben, sowohl solistisch als K. Leimer sowie als Mitglied der Gruppe Savant. Und wie einst Roedelius und Moebius - von denen er aus Zeitungsartikeln wusste - sagt dieser gebürtige Kanadier mit Wohnsitz Seattle von sich, eigentlich kein Musiker zu sein, kein Instrument tatsächlich spielen zu können. Erst die Selbstermächtigung durch Pop und die in den Siebzigerjahren immer stärker werdende Idee, das Studio mit seinen Maschinen sei selbst ein Instrument und nicht nur dazu da, sogenannte handgemachte Töne von "richtigen" Musikinstrumenten einzufangen, haben es ihm gestattet, einen tönenden Ausdruck seines Selbst zu schaffen. Und erst unsere digitale All-Gegenwart ermöglicht es ihm, international Gehör zu finden, auch wenn Leimer auf dem selbstbetriebenen Label Palace of Lights damals einige Stücke auf Vinyl herausbrachte.

Letztes Jahr erschien die Retrospektive "K. Leimer - A Period of Review", jetzt folgt mit dem Savant-Album "Artificial Dance" Teil zwei der vom enthusiastischen Label RVNG betriebenen Wieder- oder Erstentdeckung dieses bescheidenen Exzentrikers. Auch hier spielen sich, wie bei Harmonia, die Instrumente, die Leimer und Freunde verwenden, teils noch wie von selbst, werden die Grenzen der Technik einerseits akzeptiert, doch andererseits durch die dilettantische Herangehensweise in Frage gestellt. Das Ergebnis ist eine ruhige, irgendwo zwischen Ambient, Rock und Weltmusik-Rip-off anzusiedelnde Klangwelt. Entschieden, doch bescheiden. Ruhig, doch drängend. Hier tat und tut einer etwas Schönes, weil er nicht anders kann. Savant ist also keinesfalls nostalgisch, sondern nur: unentdeckt. Da wartet ein ganzer Seelenkontinent auf uns.

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