Süddeutsche Zeitung

Retrokolumne:Tröstendes Mantra

Die Wiederveröffentlichungen der Woche. Diesmal mit zwei ganz unterschiedlichen Fällen von kultureller Aneignung im Pop bei Moby und "Vampire Weekend" - und der Antwort auf die Frage, was der Feminsimus den "Spice Girls" verdankt.

Von Ann-Kathrin Mittelstrass

Kulturelle Aneignung ist ein Vorwurf, der die Band Vampire Weekend seit ihrem ersten Album verfolgt. Ihr Image als weiße Preppy Boys, die ihre Musik mit afrikanischen Einflüssen aufmischen, hat ihnen nicht nur anerkennende Paul-Simon-Vergleiche eingebracht. Auf dem neuen Album "Father Of The Bride" fühlt man sich aber wieder in der Ansicht bestätigt, dass Sänger Ezra Koenig sein Musiknerdwissen nicht unbedacht, sondern klug und humorvoll einsetzt. Wer sich die Mühe macht und seinen Anspielungen nachgeht, kann sich auf einmal in Dauerschleife The Five Stairsteps hörend wiederfinden. Mitte der Sechziger in Chicago gegründet, galten sie als die "First Family of Soul" - ein Titel, der später an die Jackson Five weitergegeben wurde. Die Five Stairsteps waren vier Brüder und eine Schwester, die, wie ihre Mutter befand, in Reih und Glied aufgestellt wie eine Treppe aussahen, daher der Name. Bis Ende der Sechziger hatten sie einige Hits in den R 'n' B-Charts. Ihr größter folgte 1970 mit "O-o-h Child". Wie in einem tröstenden Mantra singen die Geschwister hier davon, dass alles irgendwann leichter und die Welt heiterer wird. Dieser Optimismus wird sich heute nicht mehr gegönnt. In der Vampire-Weekend-Anspielung heißt es, dass alles gerade ganz schön seltsam ist und bleiben wird. Die positive Message von "O-o-h Child" findet sich auf dem Album "Stairsteps" (Buddah Records, 1970) dann noch mal im Beatles-Cover "Getting Better". Ein charmantes Album, das da am besten klingt, wo es sich dem Soul-Pop öffnet und nicht zu brav die Fünfziger beschwört.

Margaret Thatcher und Winston Churchill wurden von den Spice Girls bereits höchstpersönlich zum "Original Spice Girl" erklärt. Im Moment gibt es mit der noch eine kleine Weile amtierenden britischen Premierministerin Theresa May offenbar eine weitere aussichtsreiche Kandidatin. Geri "Ginger Spice" Horner (ehemals Halliwell) hatte May auf die gerade laufende Reunion-Tour eingeladen. Es gehe ihr dabei nicht um Politik, sondern darum, eine Frau zu unterstützen, die nur ihren Job mache und dafür regelmäßig verbal hingerichtet werde. Den Job hat May nun bekanntlich hingeschmissen, Zeit hätte sie also. Die Frage, die sich manchen stellt, ist aber nicht, ob May kommt oder nicht, sondern: Was ist eigentlich aus der "Girl Power" geworden? Dem Schlachtruf, mit dem die Spice Girls Mitte der Neunziger angetreten sind und der Freundschaft und Solidarität unter Frauen feiert? Theresa May ist schließlich mitverantwortlich für die Austeritätspolitik in Großbritannien, von der vor allem einkommensschwache Frauen betroffen sind. Die Botschaft "Girl Power" hatte schon immer ihre Widersprüche. Klar, sie war auch ein Marketing-Slogan, noch dazu einer, der Feminismus sehr vereinfacht hat. Aber er ist bei einer ganzen Generation von Mädchen und jungen Frauen angekommen. Die Spice Girls haben Feminismus vor langer Zeit in den Mainstream gebracht. Man denkt daran, wenn man sich ihre "Greatest Hits" anhört, die gerade als limitierte Picture Disc auf Vinyl neu aufgelegt wurden. Dünne Stimmen hatten sie alle, aber dafür eine Energie und Ungeschliffenheit, die die damals fast ausschließlich männliche Britrock- und Boyband-Welt blass aussehen ließ.

Mit dem Album "Play" gelang dem New Yorker Produzenten Richard Melville Hall alias Moby vor 20 Jahren der Durchbruch. Es verkaufte sich weltweit rund zwölf Millionen Mal. So bedingungslos gefeiert wie damals wird "Play" heute allerdings nicht mehr, denn auch hier steht der Vorwurf der kulturellen Aneignung im Raum. Zu den prägnantesten Songs des Albums gehören schließlich die, auf denen Moby Samples von Blues-Gesängen von Afroamerikanerinnen aus den Dreißigern und Vierzigern verarbeitete. Er hatte sie in den "Sounds Of The South"-Field Recordings des berühmten Musikethnologen Alan Lomax entdeckt. Obwohl viele weiße Elektro- und Dance-Acts in den Neunzigern Samples verwendet hätten - Fatboy Slim etwa oder die Chemical Brothers -, störe bei Moby, so das Magazin Fact, vor allem die Rekontextualisierung. Für den Song "Honey" etwa pickte sich Moby aus den vielen Versen des Originals von Bessie Jones nur den mit dem sexuellen Subtext heraus und packte ihn in einen Dance-Track. Damit werde ein Bild konstruiert, das Schwarze als sexuell aktiver darstelle als andere. Während Moby die Komplexität der kulturellen Aneignung offenbar unterschätzte - ihre Vermarktung unterschätzte er nicht. Er verkaufte jeden einzelnen der 17 Songs auf dem Album für Werbung, Filme oder TV-Shows, zum Teil mehrfach, und verdiente damit viel Geld. Von dem dürften die Nachfahren der gesampelten Blues-Musiker nicht viel gesehen haben.

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Quelle:
SZ vom 04.06.2019
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