Süddeutsche Zeitung

Retrokolumne:Subversiver Kitsch

Lesezeit: 3 min

Die interessantesten Wiederveröffentlichungen der Popmusik. Diesmal mit den "B-52's" und "Shakespears Sister" - und der Antwort auf die Frage, wer in der ewigen Bestenliste der weiblichen Gesangs-Duos im Pop ganz weit oben stehen sollte.

Von Jan Kedves

Was könnte besser in eine Retrokolumne passen als Musik, die schon zum Zeitpunkt ihrer Erstveröffentlichung retro war? Wobei The B-52's andererseits auch retrofuturistisch waren. Als sie 1979 mit Songs wie "Planet Claire" und "Rock Lobster" debütierten, kombinierten sie turmhoch toupierte Bienennest-Frisuren und Reime über teuflische Roadtrips in altmodischen Fünfziger-Heckflossen-Straßenkreuzern mit diesem neuartigen, irre quietschigen New-Wave-Rock-Sound. So etwas hatte man noch nicht gehört. Und auch so eine Bandbesetzung hatte man noch nicht gesehen. Normalerweise hätte man ja angenommen, dass in einer Band mit drei Männern und zwei Frauen so einiges laufen müsste. Aber The B-52's aus Athens, Georgia, sangen über "boys in bikinis" und "girls on surfboards", und sie wirkten kein bisschen aneinander interessiert, jedenfalls nicht auf erotische Art. Schon komisch! Deswegen sind sie heute queere Ikonen. Vor allem aber ist es das Verdienst der B-52's, den Wahnsinn der USA nach dem Zweiten Weltkrieg - die Raumfahrt- und Atom-Euphorie, die UFO-Paranoia, das verstrahlte Design und die Mode - in subversiv kitschige Party-Hits gefasst zu haben. Das 1979 von Chris Blackwell in den berühmten Compass Point Studios in Nassau, Bahamas, produzierte Debütalbum "The B-52's" ist vor einigen Monaten bereits als Vinyl-Reissue erschienen. Besonders schön darauf noch einmal zu hören: "Dance This Mess Around", der Song, in dem Fred Schneider mit seiner ultra-kauzigen Sprechstimme all diese realen oder ausgedachten Teenie-Modetänze der USA aufzählt: den "Shy Tuna", den "Camel Walk" und den, haha, "Hip O Crit", den "Heuchler".

Ganz neu erschienen ist gerade auf Doppel-CD die "30th Anniversary Expanded Edition" (Rhino) des zehn Jahre später erschienenen Hit-Albums "Cosmic Thing". Darauf hört man eine ganz andere Version der B-52's. Die Band ließ dieses Album nämlich 1989 von Disco-Großmeister Nile Rodgers und von Don Was produzieren. Der Sound ist poppiger, synthetischer, grooviger, nicht mehr so störrisch-wavig wie zehn Jahre zuvor. Hits wie "Love Shack" oder "Roam" bringen bis heute jede lahme Party wieder in Schwung. Dass man hier immer noch die B-52s hört, liegt einerseits daran, dass Fred Schneiders Sprechstimme so unverkennbar ist. Kein Frontmann hat es, in Abwesenheit jeglichen Gesangstalent, je zu solcher Meisterschaft im Sprech-Bellen gebracht. Andererseits wird man, egal was für ein Musikstil darunter liegt, immer dort die B-52's hören, wo sich die beiden Sopransirenen der Sängerinnen Cindy Wilson und Kate Pierson so gut ergänzen, gegenseitig anfeuern, ins Hysterische hochschaukeln und mit Kratzigkeit überbieten. Wenn es eine ewige Bestenliste der weiblichen Gesangs-Duos im Pop gäbe, dann müssten die beiden ganz weit oben stehen, vielleicht sogar auf dem ersten Platz?

Gleich danach kämen natürlich die Shakespears Sister. Die schreiben sich weiterhin ohne "e" und ohne Apostroph am Ende von Shakespeare, auch wenn das anfangs, 1989, ein Tippfehler war. Siobhan Fahey ist die mit der tiefen, rauchigen Stimme und dem diabolischen Grinsen. Marcella Detroit ist die Zurückhaltendere, die mit opernhaftem Drama ins Falsett und noch höher ins Pfeifregister flattert. Die Stimmen umarmen sich perfekt. Mit den Alben "Sacred Heart" (1989) und "Hormonally Yours" (1992) bewiesen Shakespears Sister, dass sich Frauen im Pop als Goth-Priesterinnen neu erfinden können. Vorher hatte Fahey in der Girlgroup Bananarama überzuckerte Dance-Pop-Hits gesungen und viel gelächelt, auf der Suche nach Ernsthaftigkeit und weniger Marionettentum war sie ausgestiegen. Detroit hatte vorher unter anderem Namen, Marcy Levy, zum Beispiel Eric Claptons Country-Blues-Hit "Lay Down Sally" mitgeschrieben und 1979 im Duett mit Alice Cooper gesungen ("Millie and Billie").

Als Duo waren Shakespears Sister drei Jahre lang die coolsten, ernstesten Frauen im Pop. 1993 gab es dann Streit. Warum genau, lässt sich hier aufgrund der Komplexität der involvierten Egos nicht darlegen. Sicher ist nur, dass 25 Jahre lang Sendepause herrschte. Die ist nun vorbei, Shakespears Sister veröffentlichen diese Woche mit "Singles Party (1988-2019)" (London) ein Best-Of-Album, auf dem die Hits "(Hello) Turn Your Radio On" und "Stay" in neu gemasterten Versionen erstrahlen. Als Beweis der überwundenen Fehde sind auch zwei neue Stücke dabei, unter anderem der nahezu perfekte Country-Glamrock-Song "All The Queen's Horses". Ihn haben Shakespears Sister in der Wüste von Joshua Tree in Kalifornien geschrieben und dort auch gleich ein Video gedreht, in schwarz-weiß, klar. Aber, oh weh, im Video zanken sie! Am Ende vertragen sie sich aber wieder.

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Quelle:
SZ vom 16.07.2019
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