Süddeutsche Zeitung

Retrokolumne:Herrliches Gerumpel

Neue Erinnerungen an "Slade", die "Scorpions" und Nick Mason - und es gibt endlich eine Antwort auf die immer schon drängende Frage, was für eine Band "Pink Floyd" war, bevor es losging mit den Laserlichtern und den fliegenden Schweinen.

Von Max Fellmann

Die tiefsten Gräben der Welt: a) Marianengraben (11034 Meter), b) Tongagraben (10882 Meter), c) der Graben zwischen Roger Waters und David Gilmour (nicht in Metern messbar). Seit über 30 Jahren pflegen die beiden ehemaligen Pink-Floyd-Kollegen ihren gründlichen Hass aufeinander, jeder beansprucht für sich, der wahre Fackelträger des gemeinsamen Werks zu sein. Oje. Trotzdem füllen sie mit ihren jeweiligen Konzerten riesige Hallen, die Hits spielen sie ja beide. Rick Wright, der Keyboarder, ist 2008 gestorben. Und Nick Mason, der Schlagzeuger? Schaut sich das alles aus sicherer Distanz an. Ab und zu spielt er mit, mal beim einen, mal beim anderen. Aber vor zwei Jahren dann erinnerten ihn befreundete Musiker daran, was für bahnbrechende Musik er mal gemacht hat, als junger Mann, in den ganz frühen Tagen von Pink Floyd. Lang vor den Hits wie "Money" und "Another Brick In The Wall". Sie erinnerten ihn an die wilden psychedelischen Stücke mit Syd Barrett und an die Zeit, als Mason noch Dschinghis-Khan-Bart trug und auf dem Schlagzeug rumwirbelte wie ein LSD-gefüllter Derwisch. Die Stücke dieser Zeit lassen Waters und Gilmour bei ihren Konzerten in der Regel weg. Er aber spielte sie, fühlte sich wieder ein bisschen jung, nannte die Band Nick Mason's Saucerful Of Secrets und gab Konzerte vor euphorischem Publikum. Jetzt, zwei Jahre später, erscheint der Konzert-Mitschnitt "Live At The Roundhouse" (als CD wie DVD). Und der führt einem noch mal ausgiebig vor, was das eigentlich für eine Band war, Pink Floyd, bevor es losging mit den Laserlichtern und den fliegenden Schweinen und den weißen Pappmauern. Die Brachialität, mit der "Interstellar Overdrive" losbricht: früher Punkrock. "Lucifer Sam" vom Debütalbum: herrliches Gerumpel. "Set The Controls For The Heart Of The Sun": großartig mäandernde Orient-Meditation.Verblüffend, wie gut "Atom Heart Mother" in voller Länge live funktioniert. Und dann mit Augenzwinkern doch noch ein Klassiker, das unverwüstliche "One Of These Days" mit dem alles zerschmetternden Echo-Bass. Ein bisschen schade ist zwar, dass vieles hier klingt wie eine solide gemischte Liveband von heute, also etwas arg bodenständig - dabei stand den Stücken des Debüts von 1967 der dünn scheppernde Sound ganz gut. Und was machen die anderen? Weiter wie immer. Roger Waters veröffentlicht Anfang Oktober das Live-Album "Us + Them". Was für ein holzhammerdeutlicher Titel: zugleich ein Pink Floyd-Song - und markante Formel für die ewige Trennung. Tja.

Warum ist eigentlich die Band Slade so merkwürdig im Nebel der Zeit verschwunden? Mitte der Siebzigerjahre hatten die vier Engländer mehr Hits als Queen oder Led Zeppelin, in England kamen 17 Singles hintereinander in die Top 20, sechs sogar auf den ersten Platz, in Deutschland waren es immerhin neun Songs in den Top-10. Aber im Gegensatz zu anderen Bands ihrer Zeit kriegen Slade heute viel weniger Nostalgie und Retro-Huldigung ab (außer von Thomas Gottschalk). Dabei kommt alle paar Jahre verlässlich eine neue Sammlung der Klassiker auf den Markt - demnächst das Doppelalbum "Cum On Feel The Hitz". Da lässt sich wieder nachhören, was für Hymnen Slade schreiben konnten, wie geschmeidig sie prolliges Posertum mit liebenswerter Selbstironie verbanden. Und vor allem: was für eine unverwüstliche Nebelhorn-Stimme der Sänger Noddy Holder hatte. Für die Nachwelt waren sie vielleicht immer zu sehr Gaudibrüder, nur die Typen mit dem Weihnachts-Hit "Merry Xmas Everybody". Ja, vielleicht fehlte ihnen hier und da etwas der Tiefgang. Aber was soll's, große Unterhaltung war es allemal. Und ist es immer noch.

Zum Tag der deutschen Einheit veröffentlichen die Scorpions ihren Wende-Hit "Wind of Change" von 1990 noch mal in einem Box Set mit Foto-Buch, Gesangs-Noten, dem handgeschriebenen Text im Faksimile und einem echten Berliner Mauerstein. Bleibt die Frage, welche historische Bedeutung dem Lied denn tatsächlich zukommt. Antwort von Sänger Klaus Meine: "In Zeiten von COVID-19 und all den wilden Verschwörungstheorien in äußerst unruhigen Zeiten ist ,Wind Of Change' wie eine Umarmung' ein guter Freund aus einer Zeit, in der die Hoffnung auf eine friedliche Welt sich zu erfüllen schien. Der Traum vom Frieden lebt in diesem Song weiter." Na dann.

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Quelle:
SZ vom 22.09.2020
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