Süddeutsche Zeitung

Retrokolumne:Große Pose, dicke Hose

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Die erstaunlichsten und interessantesten Pop-Wiederveröffentlichungen. Diesmal mit neuen "Guns N' Roses", den "Eurythmics" - und der Antwort auf die Frage, welches eigentlich die wichtigste kleine Insel der Popgeschichte ist.

Von Max Fellmann

Guns N'Roses. Schwierig. Ganze Abende lang könnte man streiten. Für die einen war die Band in den Achtzigern die ultimative Verdichtung von Hard Rock, Glam, Hair Metal, großer Pose und dicker Hose. Für die anderen war das, was Guns N'Roses dem Schaffen ihrer Vorreiter AC/DC und Aerosmith hinzuzufügen hatten, unnötiger Quatsch. Bei diesen beiden Lagern ist es bis heute geblieben, auch wenn die Band in der Zwischenzeit ungefähr zweihundert Jahre lang gar nicht existierte. Und sind wir inzwischen schlauer? Nun, es gibt eigentlich keine alten Guns-N'-Roses-Fans, die ihre damalige Leidenschaft heute anders sehen; es gibt aber auch so gut wie niemanden, der die Band damals abgelehnt und dann später für sich entdeckt hätte. Allerdings füllten die Reunion-Konzerte der vergangenen Jahre (naja, Teil-Reunion, drei von fünf Originalmitgliedern) problemlos Fußballstadien in aller Welt. Da war es nur logisch, die Geschichte der Band noch einmal aufzurollen, angefangen beim 1987 erschienenen Debütalbum. Die Neuauflage von "Appetite For Destruction" hat es sofort auf Platz 2 der deutschen Charts geschafft, in einer Luxusversion mit viel unveröffentlichtem und ungehörtem Zusatzmaterial. Die Ausgabe aber, die Guns N'Roses am meisten gerecht wird, ist die "Locked N' Loaded Edition". Sie kostet knapp 1000 Euro, steckt in einem speziell gefertigten Leder/Holz-Koffer und enthält nicht nur 73 Songs, ein 96-Seiten-Buch und Videos, sondern auch fünf Totenkopf-Ringe, Gitarrenplektren im Totenkopfdesign, Replikationen von Konzertflyern, Bannern und Plakaten, dazu ein Vinyl-Pflegeset mit Untersetzer und Plattenputztuch, ein handgefertigtes Kreuz, ja, Kreuz, zahlreiche Bilder und - na gut, so eine Zeitungsspalte hat ja nur begrenzt Platz. Jedenfalls ist die Box so bizarr prunkvoll, wie es Guns N'Roses immer sein wollten.

Anders gesagt: für die einen bester Rock'n'Roll, für die anderen unnötiger Quatsch. Kleine Insel, großer Einfluss: Unglaublich eigentlich, wie wichtig ausgerechnet Jamaika für den Lauf der Popgeschichte war. In den Sechzigern und Siebzigern kamen dort Menschen auf die Idee, das, was gerade neu aus Amerika rüberschwappte, also Rock'n'Roll, Pop, Country, Folksongs, nachzuspielen und mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln weiterzuentwickeln. Ähnliches passierte damals in vielen Ecken der Welt, aber besonders in Jamaika führte es nicht einfach zu Kopien, sondern zu neuen Musikstilen: Ska, Rocksteady, Reggae, Dub. All diese Varianten jamaikanischer Musik fanden dann wieder ihren Weg in den angloamerikanischen Raum, bis der Offbeat weltweit etabliert war. Als einer der wichtigsten Reiseveranstalter für die Weltumrundung fungierte das Label Trojan Records. Die Betreiber der kleinen Plattenfirma, zwei Exil-Jamaikaner, begannen in den Sechzigern, die Musik ihrer Heimat nach England zu bringen, vor 50 Jahren erschienen die ersten Singles. Jetzt feiert das Label sein Jubiläum und bietet eine herrliche Gelegenheit, die ganze Geschichte nachzuvollziehen: Das gewaltige " Trojan Records Box Set " enthält auf etlichen CDs, Vinyl-LPs und Singles 130 Highlights und Raritäten von Desmond Dekker bis Gregory Isaacs, von den Upsetters bis zu den Pioneers, von "Red Red Wine" bis "You Can Get It If You Really Want". Und zum Nachlesen gibts ein hübsches Buch: "The Story of Trojan Records". Wer die Trojan-Geschichte aber im Zusammenhang kennenlernen und vor allem wissen will, unter was für abenteuerlichen Umständen in Jamaika Musik gemacht wurde, der ist mit den fast 600 Seiten von Lloyd Bradleys Klassiker "This Is Reggae Music: The Story of Jamaica's Music" besser bedient.

Und noch mal kurz zurück in die Achtziger: Drei Alben der Eurythmics sind gerade neu aufgelegt worden, neu gemastert, edles Vinyl: "Be Yourself Tonight" (1985), "Revenge" (1986) und "Savage" (1987). Das erste der drei war das Album, auf dem Annie Lennox und Dave Stewart zeigten, dass sie mehr auf Lager hatten als kühle Wave-Elektronik. Verblüffend viel Soul bewiesen vor allem zwei Hits: "Sisters Are Doin' It for Themselves", das Lennox im Duett mit Aretha Franklin sang, und "There Must Be an Angel (Playing with My Heart)" mit Stevie Wonders großartigem Mundharmonika-Solo. Auf den folgenden beiden Alben ist dann schon zu erkennen, dass die zwei gern neue Ufer entdecken wollten, aber nicht recht wussten, in welche Richtung sie segeln sollten. "Revenge" enthielt noch ein paar solide Ohrwürmer, aber die Idee, "Savage" nahezu komplett mit dem Synclavier zu produzieren, einem damals ganz neuen Sampler, war nicht so gut. Plötzlich klangen die Eurythmics, die doch gerade eben erst die Sonne entdeckt hatten, mehr nach Kühlkammer als jemals zuvor.

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Quelle:
SZ vom 17.07.2018
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