Süddeutsche Zeitung

Retrokolumne:Erhabene Alltäglichkeit

Lesezeit: 3 min

Die interessantesten Pop-Wiederveröffentlichungen der Woche. Diesmal mit "The Band" und "Ivor Raymonde" - sowie der Antwort auf die Frage, warum "Teenage Fanclub" vollkommen zu Recht jedermanns Lieblingsband ist.

Von Thomas Bärnthaler

Die Suche nach der Seele der amerikanischen Musik, die sich hinter dem Begriff "Americana" oder "Roots Rock" verbirgt, jenem Genres also, die bis heute so unterschiedliche Figuren wie Bon Iver, Father John Misty oder Cat Power verbindet, erscheint als Generationen übergreifendes, großes, komplexes Projekt. Umso erstaunlicher mutet es an, dass alles vor ziemlich genau 50 Jahren in einem pinken Haus in einem Kaff namens West Saugerties, New York angefangen haben soll. Dort schrieb die Band The Band 1967 die Songs für ihr ein Jahr später erschienenes Debüt "Music From Big Pink", das als erstes Roots-Rock-Album der Popgeschichte gilt und nun in einem neuen, whiskeyklarem Remix vorliegt. Im Keller jenes Hauses hatte die Band ein Jahr zuvor mit Bob Dylan alte Lieblingslieder aus Blues, Gospel, Country und Folk gecovert. Die daraus resultierenden "Basement Tapes" kursierten bald als Bootlegs und erschienen 1975 als Album. Für die kanadische Band, die damals nur Eingeweihten als Dylans Begleitcombo bekannt war, waren jene Sessions die Initialzündung, sich selbst als Band mit eigener Stimme zu finden. "Big Pink" wird durchweht vom freien Geist einer ländlichen Musikerkommune, deren kreative Kraft nicht auf Egos beruhte, sondern auf freundschaftlichem Kollektivdenken. Songwriter Robertson wusste, dass sein Singstimme armselig war, also ließ er Drummer Levon Holm oder Pianisten Richard Manuel den Vortritt. Songs wie "The Weight" oder die Dylan-Komposition "I Shall Be Released" knüpften dort an, wo man mit den Basement Tapes angelangt war, einem Sound, der Folk, Honkytonk, Country, Rock und Rhythm & Blues verband. Für The Band war "Big Pink" der Beginn einer ruhmreichen Karriere, für Generationen von Americana-Musikern, die bis heute in einsamen Blockhütten am Great American Songbook weiterschreiben, wurde es zum Mythos.

Wer heute das Schaffen der schottischen Indieband Teenage Fanclub verfolgt, kann kaum glauben, dass diese vier gesetzten Gentlemen, die bei Auftritten gerne Lesebrillen und Scheitel tragen, einmal als die Hoffnung des Grunge galten. Teenage Fanclub versagten sich dieser Zuschreibung und wurden stattdessen jedermanns heimliche Lieblingsband. Jetzt erscheinen ihre ersten 5 Alben auf Creation Records neu auf Vinyl inklusive diverser Bonustracks. Schon auf ihrem Debüt "Bandwagonesque" waren die dröhnenden Grungegitarren nur ironisch gemeint. Geliebt wurde das Album, weil es alle abholte, die anfällig waren für Refrains, die man mitsingen will, für Melodien, die einen anfassen; für alle also, die mit den Byrds und den Beatles, der Musik der Elterngeneration, groß geworden waren. Auf "Thirteen", ihrem zweiten Album, setzten sie ihrem Idol Alex Chilton von Big Star ein hinreißendes Denkmal, auf "Grand Prix" aus dem Jahre 1995 waren alle Einflüsse (Neil Young, Jangle Pop, Siebziger-Rock ohne Rockstar-Attitüde) dann schon zu einer eigenen Handschrift verschmolzen, die ähnlich euphorisierend wirkte wie das Beste von Oasis, nur ohne das Mackertum. Nicht umsonst sangen Teenage Fanclub lieber von Tränen, die cool waren, als von Champagner-Supernovas. Noch beseelter wurde es auf "Songs From Northern Britain" (1997) und auf "Howdy" (2000), als die Band in Songs wie "I Don't Want Control Of You" das große Glück im Kleinen besang, im Privaten, in der Liebe und den Triumphen des Alltags. Dabei klang die Band nie bieder oder weltfremd. Eher waren und sind Teenage Fanclub einer Form von Vollendung und Zeitlosigkeit auf der Spur, die nur findet, wer das Erhabene im Schönen sucht.

Der Name Ivor Raymonde dürfte nur Experten mit einschlägigem Nerdwissen etwas sagen. Dabei war der Brite vor allem in den Sechzigern eine wegweisende Figur hinter den Kulissen der britischen Popinvasion: als Orchester-Arrangeur, Studiomusiker, Talentscout und Komponist. Nachzuhören auf der feinen Kompilation "Paradise: The Sound of Ivor Raymonde", die sein Sohn Simon, manchem bekannt als Gründungsmitglied der Cocteau Twins, zusammengestellt hat. Ivor Raymonde schrieb die Melodie für Hits wie "I Only Want To Be With You" von Dusty Springfield, verlieh dem Walker-Brothers-Song "My Ship Is Coming In" die nötige Melodramatik und verpasste David Bowies ersten Gehversuchen ("Love You Till Tuesday") ein Paar liebliche Streicher. Er konnte Bombast-Pop und Northern Soul und später sogar New Wave und erwies seine Dienste so unterschiedlichen Leuten wie Tom Jones, Ian Dury und Sonny Childe. Manchmal sang er auch selbst. Der Sampler lenkt nicht nur den Blick auf ein Ausnahmetalent, sondern taugt auch als eigenwillige und manchmal obskure Reise durch 40 Jahre Popgeschichte.

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SZ vom 14.08.2018
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