Süddeutsche Zeitung

Retrokolumne:Elegisches Dösen

Die besten Pop-Reissues. Diesmal mit einer schlechten und einer sehr guten Nachricht von "Prefab Sprout" - und der Antwort auf die Frage, welcher Popstar eine Spotify-Playlist kuratiert, mit der man eine ganze Hochzeit bestreiten kann.

Von Thomas Bärnthaler

Die schlechte Nachricht zuerst: die englische Band Prefab Sprout, der die Welt ein paar der elegantesten Popsongs der Achtziger und Neunziger wie "Cars & Girl", "When Love Breaks Down" oder "Electric Guitars" verdankt, wird nie mehr auftreten. Das teilte der 61-jährige Sänger und Songschreiber Paddy McAloon kürzlich einem Reporter der Irish Times mit, der sich die Mühe machte, das rätselhafte Verstummen dieses Höchstbegabten zu ergründen, der im nordenglischen Durham das zurückgezogene Leben eines rauschebärtigen Eremiten mit Gehstock führt. McAloon, so ist dort zu lesen, leidet am Meniere-Syndrom, einer Erkrankung des Innenohrs mit extremen Schwindelattacken, Tinnitus und Hörverlust. Er kann Musik nur noch in Zimmerlautstärke ertragen. Das erklärt auch, warum er seine bislang letzte Komposition, die 2017 auf Youtube erschien, nur noch zärtlich in eine Videokamera flüsterte, zur Akustikgitarre: "America", McAloons Antwort auf Trumps Mauerpläne, besang die Berge versetzende Kraft der Einwanderung und war als Lebenszeichen auch deshalb so anrührend, weil da einer aufrichtig Werte wie Empathie und Menschenwürde verteidigte. Womit wir bei der guten Nachricht wären. In wenigen Tagen wird "I Trawl The Megahertz" wiederaufgelegt, das rätselhafte und seit Langem vergriffene Album, das McAloon 2003 allein aufgenommen hat, als er noch kränker war als heute. Damals litt er an einer Netzhaut-Ablösung beider Augen, fürchtete sogar zu erblinden, konnte jahrelang weder lesen noch unter Leute. Trost fand er in Hörbüchern und im nächtlichen Radioprogramm. Irgendwann hat sich beides in McAloons Kopf wohl zu einer eigentümlichen neuen Musik verbunden, die gerade durch ihr Driften Geschichten zu erzählen vermag. Das Album ist als sinfonischer Bewusstseinsstrom angelegt, basierend auf Radiofundstücken und -mitschnitten, die McAloon in Cut-up-Manier neu zusammengesetzt und mit eigenen Ideen zu einer fiktiven Lebensbeichte einer Frau verdichtet hat, die um die Themen Isolation und Vergänglichkeit kreisen. Was einem eben so durch den Kopf geht, wenn man halbblind darniederliegt. Man wird auf diesem Album keine dieser perfektionistischen Popsongs finden, für die Prefab Sprout berühmt sind, allein das Titelstück dauert 22 mäandernde Minuten. Dafür treten Einflüsse stärker hervor, die McAloons Songschreiben immer schon grundierten: Komponisten wie Gershwin, Debussy, Ravel oder Leonard Bernstein; der frühe Jazz in Gestalt einer irrlichternden Trompete, die immer mal wieder aus dem Äther auftaucht; überhaupt Filmmusik im weitesten Sinne, denn was McAloon hier zusammen mit einem Kammerorchester vertonte und zu einer Art Suite arrangierte, war ja ein Film, den so nur er sah in seinem Kopf. Klingt prätentiös, ist aber in den besten Momenten von einer irritierenden, intimen und jenseitigen Schönheit. Ein elegisches Dösen in finsterer Nacht. Nur einmal, gegen Ende des Albums, im Stück "Sleeping Rough", wird McAloon kurz wach und erhebt selbst seine Stimme. "I'll grow a long and silver beard and let it reach my knees", singt er da. Er werde sich einen langen, silbernen Bart wachsen lassen bis zu seinen Knien. Der ist ihm bis heute geblieben. Trotz seiner Leiden - und das ist vielleicht die beste Nachricht - scheint sein Tatendrang zurück zu sein. Für Spike Lees neuen Film, "Chasing Invisible Starlight", hat er ein paar Songs beigesteuert, und im September soll es ein neues Prefab-Sprout-Album geben.

Apropos Sendungsbewusstsein: Mit Aufkommen der Streamingdienste hat sich ja für Künstler ein ganz neuer Kanal der Außendarstellung aufgetan. Nicht wenige nutzen sie gelegentlich, um ihrer Hörerschaft sorgsam kuratierte Spotify-Playlisten nahezubringen. Man kann dabei nicht nur wunderbare neue Musik kennenlernen, sondern auch viel erfahren über die betreffenden Musiker und ihre aktuellen Gemütslagen. Nick Cave etwa hat kürzlich eine Liste mit "Hiding Songs" auf Spotify veröffentlicht, die ihn, wer hätte es gedacht, als Freund tieftrauriger Wehklagen ausweisen. Dazu zählen natürlich Stücke seiner Säulenheiligen wie John Lee Hooker und Leonard Cohen, aber auch Songs von Brian Eno, Nina Simone und Bill Callahan. Von Radiohead-Sirene Thom Yorke existiert auf Apple Music und auf Spotify ein "Pitchfork Radio"-Mix mit jeder Menge psychedelischer Ambient-, Avantgarde- und Elektronikmusik von Karl-Heinz Stockhausen bis zum niederländischen Sound-Frickler Machinefabriek. Father John Misty wiederum sieht seine "Father John Misty"-Liste auf Spotify als fortlaufendes Projekt an, das er stetig erweitert. Mit seiner mehrstündigen Zusammenstellung ließe sich spielend eine ganze Hochzeit bestreiten, auf der man mal zu Marlene Dietrich oder Burt Bacharach die Gläser klirren lässt, und mal zu Django Reinhardt oder den Bee Gees schwoft. Wenn das mal nicht lauter gute Nachrichten sind.

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Quelle:
SZ vom 29.01.2019
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